Von Einsiedlern, die eigentlich gar keine sind

Aufsatz

Autor:
Bernd-Ingo Friedrich
 

Essay

Von Einsiedlern, die eigentlich gar keine sind - über 60 Jahre Eremiten-Presse Düsseldorf

Herbert Kästner hatte 1993 in einer informativen Miszelle in den Marginalien über eine Veranstaltung des Leipziger Bibliophilenabends mit Friedolin Reske von der Eremiten-Presse Düsseldorf berichtet.1) Die reich illustrierte Festschrift Vier Jahrzehnte Eremiten-Presse lag damals bereits vor.2) Inzwischen hat der Verlag ein weiteres Zehnerjubiläum – den halben Hunderter – feiern können. Nun ist das sechste Jahrzehnt Eremiten-Presse heran, doch leider wieder ohne Festschrift. Es fehlt dafür, wie überall, das – wichtigste.
Das zur Verfügung stehende Kompendium enthält jedoch alles, was man über die Anfänge des Verlags wissen muß. Es betont das Anekdotische und ist also, der reichlich vorhandenen originellen Charaktere und skurrilen Vorkommnisse der Gründerjahre wegen, sehr vergnüglich zu lesen. In diese guten, alten Zeiten sehnt man sich unwillkürlich zurück, wenn man auf den in der Festschrift auf Seite 26 abgebildeten, 1949 zwischen Victor Otto Stomps und Helmut Knaupp geschlossenen Gründungsvertrag der Eremiten-Presse stößt: Ganze zwei Blatt umfangreich, davon gerade einmal eine Seite Schreibmaschinentext!

V. O. Stomps als der legendäre Verlagsgründer steht rechtens immer wieder im Vordergrund, entsprechender Raum wird ihm und seiner Zeit in der Festschrift eingeräumt. Wichtig war Stomps vor allem, neue Autoren zu fördern und mit Hilfe der von Arno Schmidt so genannten „guten Meister zweiten Ranges“, deren beste Werke oft genug die „Ausrutscher“ der sehr guten Meister ersten Ranges überragen, das Bild der deutschen Literatur zu bereichern und Defizite in der Rezeption des literarischen Erbes auszugleichen. In der Präambel zu den Richtlinien für die Verleihung des V. O. Stomps-Preises, den die Stadt Mainz seit 1979 anläßlich der Mainzer Minipressen-Messe alle zwei Jahre vergibt, heißt es:
„Victor Otto Stomps (1897-1970), Schriftsteller, Herausgeber. In seinen Verlagen Rabenpresse, Eremitenpresse, Neue Rabenpresse wurden Bücher, Zeitschriften und Privatdrucke in limitierter Auflage, handgesetzt und gebunden, auf Gebrauchspapiersorten unterschiedlichen Formats gedruckt. Er verwendete für Text und Illustration eine Fülle zum Teil neuer Techniken und bewies Einfallsreichtum durch stets wechselnden Satz. Er war Förderer der Nachwuchsautoren, ohne diese auf Dauer an sich zu binden, und ‚grub’ vergessene Autoren aus. Damit belebte er unter Hinnahme persönlicher Opfer mit Mut und Gespür für sich entwickelnde Kräfte die literarische Szene.“
 
Über zwanzig Jahre erfüllte die Eremiten-Presse alle Charakteristika einer „Presse“, denn in der eigenen Werkstatt wurde alles von Hand gesetzt, gedruckt und gebunden, die literarische und künstlerische Auswahl und deren handwerkliche Ausführung lagen in einer Hand. Oft mußten die Autoren selbst mithelfen bei der Herstellung ihrer Werke, wenn die zwei Hände des Verlegers nicht ausreichten.
Seit 1966, als Dieter Hülsmanns und Friedolin Reske in den Verlag eintraten und ihn ein Jahr später ganz übernahmen, ist es ein „Verlag zu vier Händen” geworden, der 1972 nach Düsseldorf umzog und in einem alten Haus aus Familienbesitz seinen dauerhaften Platz fand. In den Verlagsräumen standen bis vor kurzem zwar noch die Schränke mit zahllosen Schubladen, in denen die alten Bleilettern lagerten, eine Andruckpresse und eine hundertjährige Papierschneidemaschine, aber die Zeit des Selber-Druckens ist vorbei. Nach wie vor tun Friedolin Reske und Jens Olsson, der 1982 für Hülsmanns in den Verlag kam, sehr viel Arbeit selbst: den Satz, das Layout, die Bogenmontage – und auch Verwaltung, Versand und Öffentlichkeitsarbeit.3)

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