"eingekreist" - Kolumne August 2010 - Geschenk für Peter

Kolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Kolumne

Geschenk für Peter

Vierzig Jahre Peter und kein Ende in Sicht. Zu seinem Dreißigsten habe ich gedacht, wenn sich Peter weiterhin von Spiegelei, Bier und Büchsenfisch ernährt wird das nichts mit dem Vierzigsten. Wir standen damals am Steg, einen Haufen Gäste dazu, die Jungs (mittlerweile auch schon in die Jahre gekommen) mit Gitarre, und ich schenkte ihm einen Aschenbecher, den ich kurz zuvor im Bolldorf geklaut hatte. Ein praktisches und obendrein preiswertes Geschenk, das dem Rauchen dient und Peters Leben nicht unbedingt länger als nötig währen läßt.

Dieses Jahr war ich wieder etwas ratlos, was ich Peter schenken soll, bis mir einfiel: Die Sache mit dem Aschenbecher könnte eine schöne Tradition werden. Alle zehn Jahre klaue ich aus einem hallensischen Etablissement einen Aschenbecher. Allerdings bin ich inzwischen auch nicht mehr der Jüngste. Dem alkoholverfallenen Bolldorf einen Aschenbecher zu klauen, war mit dreiundzwanzig keine Kunst. Mit meinen dreiunddreißig sehe ich an mir herab und gewahre bereits die ersten Bierschäden am Körper. Und das muß ich Peter lassen, obwohl er selten eine Biersession ausläßt, sieht er schlanker aus als er gerechterweise sein dürfte. Vielleicht sollte ich ihm lieber einen Mc Donalds Gutschein schenken. Beim Aschenbecherklauen muß man nämlich geschickt sein und möglicherweise schnell rennen können. Vielleicht muß man das alles auch nicht, nur den Rucksack richtig positionieren, einen Griff tun und unauffällig weggehen. Das Problem sind am Ende die Nerven. Ich bin nicht mehr leichtsinnig genug, nicht mehr so unbekümmert, obwohl ich mich nicht erinnern kann, wann ich je leichtsinnig und unbekümmert gewesen sein soll. Vergeßlich werde ich also auch schon. Wir werden alt! Die Jugend ist dahin. Selbst kleine Abenteuer werden gescheut. Und ich habe immer noch kein Geschenk für Peter.
Ich setze mich ins ehemalige Nexus, schaue auf den glänzenden F6-Edelstahlaschenbecher und bestelle erst mal einen Kaffee. Und dann bestelle ich noch einen Kaffee. Und schließlich läuft es immer auf ein Buchgeschenk hinaus. Zum Beispiel auf die Minima Moralia von Theodor W. Adorno. Ich weiß, daß Peter ein großer Fan von Adorno ist. Neben Karl May einer seiner Lieblingsautoren. Über beide hat er in seinem Studium Prüfungen abgelegt. Aus der Minima Moralia gibt es den schönen Satz: „Wirkliches Schenken hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten.“ Doch will ich Peter wirklich so etwas Naives wie Glück bereiten? Vielleicht will ich mir das bloß nicht eingestehen. Wie sonst bin ich plötzlich auf die Idee gekommen, in einem Kramladen das Modell eines „Willys MB Jeeps 1944“ zu erwerben und als Geschenk einzuwickeln. So was macht man nur, wenn man aus ganzem Herzen Freude bereiten will. Denn normalerweise verstehe ich Schenken als Erziehungsmaßnahme. Hat jemand einen ziemlich schlechten Geschmack, kann ich ihm das durch mein Geschenk beweisen. Am liebsten hätte ich Peter eine Kollektion Godard-Filme geschenkt, in Originalsprache, höchstens mit deutschen Untertiteln als Kompromiß. Ich weiß noch, wie am Anfang unserer Freundschaft sie beinah gleich wieder beendet gewesen wäre, als wir den Film Underground von Emir Kusturica in meiner WG sahen, den ich natürlich vorgeschlagen hatte. Nach einer halben Stunde ist Peter gegangen. Nicht für immer, aber, wie gesagt, fast. Er sagte etwas in der Art wie: Der Film sei ihm zu blöd. Und ich sagte auch etwas mit blöd, was sich aber nicht auf den Film, sondern auf Peter bezog. Seitdem gucke ich mit Peter am liebsten amerikanische Kriegsfilme, was unserer Freundschaft sehr zuträglich ist. Dazu trinken wir viel Bier und erläutern, warum die USA im Unrecht sind, bzw. warum Peter im Unrecht ist, wenn er die USA im Recht sieht. Den Jeep haben sie allerdings gut hingekriegt, was jeder versteht, der sich für wohlproportionierte Kriegsfahrzeuge begeistern kann. Und den habe ich jetzt immerhin schon mal als Geschenk.
Bleibt noch der Aschenbecher. Da komme ich nicht drum herum. Zwei Tage vor Peters Geburtstag bin ich erneut ins ehemalige Nexus gegangen (den jetzigen Namen der Kneipe will ich schon aus strafrechtlichen Gründen nicht nennen), zusammen mit meiner katholischen Freundin, die bei jedem bißchen ein schlechtes Gewissen kriegt. Ich liebe sie sehr, aber man kann mit ihr keine Pferde stehlen, geschweige denn einen Aschenbecher. Wenn ich ihr vorher sage, ich werde nachher einen Aschenbecher klauen, schmeckt ihr der Wein nicht mehr und das färbt auf den gesamten Abend ab. Ich mußte also konspirativ vorgehen. Als erstes die Lage einschätzen. Wie ist die Verteilung der Gäste. Drinnen und auf den Stühlen draußen, wo wir saßen, um die laue Sommerluft zu genießen. Es gab nur eine Kellnerin für die Bedienung und einen Koch in der Küche. Das war schon mal gut. Auf unserem Tisch stand ein mächtiger Edelstahlaschenbecher. Als ich ihn näher zu untersuchen begann, wurde meine Freundin schon etwas unruhig. Ich stellte fest, daß er genauso breit war wie der rechteckige Bierdeckel unter meinem Glas. Ich nahm den Bierdeckel und steckte ihn in meine Hosentasche. Von der Breite her würde es gehen. Man muß aber auch die Höhe und Tiefe in Betracht ziehen. Dumm, daß wir wegen des Wetters keine Jacken trugen. Auf Taschen und Rucksäcke hatten wir ebenfalls verzichtet. Der Aschenbecher würde in meiner Hosentasche aussehen wie ein seitlich verrutschter Anus-praeter-beutel, der sich plötzlich bis zum Bersten gefüllt hat. Und wenn der Aschenbecher ausgerechnet auf unserem Tisch fehlte, brauchten wir die nächsten Jahre hier nicht mehr aufzukreuzen. Mir wäre es egal, ist sowieso ein blöder Laden geworden. Auf meine Freundin mußte ich jedoch Rücksicht nehmen. Also bin ich erst mal auf Toilette. Ich stellte fest, daß drinnen kein Mensch saß und daß auf den Tischen dort eine kleinere Variante dieser Aschenbechersorte stand. Ich habe dann meine Freundin überreden können, daß wir lieber zu Hause gemütlich auf der Couch das nächste Glas Wein trinken sollten. Ich bezahlte schnell und es wurde noch ein schöner Abend.
Also herzlichen Glückwunsch Peter. Ich wünsche Dir ein langes Leben, so daß ich weiterhin die Audioproduktion meiner Kolumnen vertrauensvoll in Deine Ohren legen kann.