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Interview
Aufm Tellerrand die Muichstraßn - ein Dichtergespräch über bayerische Verhältnisse
Der Lyriker und Herausgeber Anton G. Leitner wurde im Laufe der letzten Monate hart angegangen. Nach seinem Lyrikprojekt beim Ökumenischen Kirchentag erreichten ihn, seinen Verleger und zahlreiche hohe Kirchenfunktionäre Briefe, die Leitners Arbeit mit bedenklichem Vokabular kritisierten; es wurde sogar gefordert, die weitere Verbreitung seiner Bücher zu verhindern. Die Attacken eskalierten nach dem Rauswurf Helmut Zöpfls bei den „Münchner Turmschreibern“.
Ein Gespräch über bayerische Verhältnisse zwischen den Dichtern Anton G. Leitner und Gerrit Wustmann.
GW: Lieber Anton, was ist denn bei Euch in Bayern los? Ich habe gelesen, dass die Turmschreiber den Zöpfl rausgeworfen haben – das scheint ja einigen Wirbel zu verursachen. Von Zöpfl hatte ich davor noch gar nichts gehört gehabt. Hoffentlich hab ich nichts verpasst…
AGL: Prof. Dr. phil. Dr. rer nat. Dr. phil. habil. Dr. theol. et scient. patr. Dr. paed. hc Helmut Zöpfl, emeritierter Pädagogikprofessor an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München und Träger unzählbarer staatlicher Verdienstorden, war lange Zeit in Bayern so etwas wie ein Hofdichter der CSU. Zöpfls Verse waren so einfach gestrickt, dass sie insbesondere von den Führungspersönlichkeiten jener Partei, die sich gerne mit Bayern gleichsetzen lässt, verstanden werden konnten. Nachdem Zöpfl seinen Freunden wie Ex-Wissenschaftsminister Dr. Thomas Goppel das Wesen des Alls mit Versen wie „In unserer Muichstraß, da gibt’s guat und gern / ganz grob gsagt Trillionen von Stern“ umfassend erklärt hatte, stand der Eroberung des Weltraums vom bayerischen Raumfahrtzentrum Oberpfaffenhofen aus nichts mehr im Wege…
GW: Ja, ich hab mal gegoogelt und bin auf einige Gedichte von Zöpfl gestoßen. Das ist alles recht beschaulich und banal. Er schrieb in einem kleinen Artikel, in dem er sich furchtbar über Deine Anthologie „Die Hoffnung fährt schwarz“ echauffierte, die Gedichte darin seien „unverständlich“. Ich fand das vor allem deshalb interessant, weil ich bisher immer den Eindruck hatte, dass Du in Deine Sammlungen generell eher einfache, gut zu verstehende Gedichte aufnimmst, um auch diejenigen zu erreichen, die mit der Komplexität der modernen Lyrik eher wenig anfangen können. Und dann kommt der Zöpfl mit seiner Pokalsammlung an akademischen Titeln und versteht diese Gedichte nicht… Vielleicht liegt das daran, dass er selbst so ein FriedeFreudeEierkuchenDichter ist. Oder hat er sich so sehr auf seine Zielgruppe eingeschossen? Gefälligkeitsgedichtchen für lokale Regenten haben ja eine lange Tradition. Literarisch konnte man das Zeug schon immer vergessen.
AGL: Diese Art von Mundart ist weniger Art im Sinne von Kunst (wie sie die Mundartdichter der sog. Wiener Gruppe pflegten), sondern eher Kunstgewerbe. Ein solcher lyrischer Musikantenstadl passt in jene Zirbelstube, die sich einst Stoiber in der imposanten bayerischen Staatskanzlei hat einrichten lassen.
GW: Stoiber hätte selbst dichten sollen! Da ist uns ein großer Dadaist an die schnöde Politik verloren gegangen!
AGL: Vielleicht hängt in dessen Zirbelstube sogar heute noch ein gereimter bayerischer „Haussegen“ von Zöpfl. Dieser Mann mit einer unverbrüchlichen Vorliebe für das grobe „Reim-dich-oder-ich-fress-dich“-Schema scheute sich nicht, einen eigenen „Haussegen“ zu texten und auf Hinterglasbildchen in Umlauf zu bringen, gefasst in einen dekorativen Zinnrahmen. Professor Dr. mult. Zöpfls „Haussegen“ hängt noch heute in altmodischen Pensionen in der bayerischen Provinz. Man kann ihn dann, wie ich es neulich getan habe, an der Rezeption einfach verrücken, womit der Haussegen dann im buchstäblichen Sinne des Wortes schief hängt. Allerdings verändert sich die Welt auch in Bayern: Die CSU hat ihren Freiherrn zu Guttenberg und die altehrwürdige Schriftstellergilde „Münchner Turmschreiber“ hat Fenster und Türen weit geöffnet, um einen frischen Wind hereinzulassen: Zöpfl raus, Ani, Leitner, Wecker rein.
GW: Die Turmschreiber, was ist das eigentlich für ein Verein? Ist das wirklich so ruhmreich, bei denen Mitglied zu sein? Literaten, die Parteien oder der Kirche nahe stehen sind mir generell suspekt. Von Köln aus betrachtet wirkt das alles recht katholisch-provinziell. Der Zöpfl ist da, soweit zu erfahren war, rausgeflogen, nachdem er eins Deiner Gedichte kritisiert hatte, denn angeblich darf man bei den Turmschreibern nicht die literarische Qualität der anderen kritisieren. Wenn ich Dir jetzt sage, dass ich auch nicht restlos alles toll finde, was Du veröffentlichst, wäre das in Turmschreiberkreisen ein Rauswurfgrund?
AGL: Die 1959 in München gegründeten Turmschreiber sind so etwas wie ein süddeutscher PEN-Club, allerdings verfügen sie im Gegensatz zum PEN über ein wirkliches Publikum. „Turmschreiber“-Jahrbücher und Kalender mit Gedichten und Geschichten erreichen bis heute Verkaufszahlen im fünfstelligen Bereich. So alte Hasen im Literatur- bzw. Musikbetrieb wie Friedrich Ani, Konstantin Wecker oder ich würden nicht die Berufung zum „Münchner Turmschreiber“ annehmen, wenn das durchweg ein Haufen von frömmelnden oder erzkonservativen Spießern wäre. Da sind Leute dabei wie der fränkische Mundartdichter Fitzgerald Kusz, die Prosaistinnen Tanja Kinkel oder Petra Morsbach oder Kabarettisten wie Christian Springer, allesamt nicht gerade kreuzbrave Scheuklappenkünstler(innen). Es gibt Linke und Rechte bei den Turmschreibern, Gläubige und Freigeister. Zöpfl war der Rechtsaußenposten. Er ist nicht rausgeflogen, weil er andere Turmschreiber kritisiert hat, sondern weil er Kollegen wie mich hinter ihrem Rücken schlecht redete. Zur bayerischen Mentalität passt eher die offene Feldschlacht als hinterfotziges Intrigantentum. Zöpfl hat sich bis heute keinem offenen Gespräch gestellt und das war und bleibt unser Problem mit ihm.