Aufm Tellerrand die Muichstraßn

Interview

Im Gespräch:
Anton G. Leitner und Gerrit Wustmann
 

Interview

Aufm Tellerrand die Muichstraßn - ein Dichtergespräch über bayerische Verhältnisse

GW: Nach offener Feldschlacht sieht mir das weniger aus, was da gerade geschieht. Zöpfl war ja offenbar nicht der einzige, dem Deine Anthologie irgendwie aufgestoßen ist. Da kamen dann plötzlich Ordensschwestern und Abgeordnete, die scheinbar große Angst vor Nihilismus haben, und Lehrer, die ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität zu haben scheinen. Die Damen und Herren scheinen nicht so recht damit klarzukommen, dass es noch andere Weltbilder als ihr eigenes gibt. Ein Lehrer schrieb, er fühle seine christliche Hoffnung mit Füßen getreten. Seit wann ist es denn Aufgabe der Poesie, Ideologien zu befriedigen (mal abgesehen von der bereits erwähnten seichten Gefälligkeitsdichtung)?

AGL: In der Tat ist seit Januar 2010 eine versteckte Kampagne gegen mich als Lyriker und gegen meine herausgeberische Arbeit, insbesondere das Lyrikprojekt des ökumenischen Kirchentags 2010 betreffend, gefahren worden. Es trafen immer ähnlich formulierte Briefe und ganze kopierte Konvolute von erotischen Gedichten, die ich einmal ediert oder selbst geschrieben hatte, bei katholischen Bischöfen oder politischen Würdenträgern ein. Diese Briefe stammen meist aus der Feder älterer pensionierter Herren aus Bayern mit Doktorgrad oder sogar Professorentitel und sind in einem ungewöhnlich aggressiven Ton gehalten. So werde ich als Herausgeber und Verfasser von „primitivster pornographischer Lyrik“ verunglimpft, als „antiamerikanisch“ und „blasphemisch“ tituliert. Meine Anthologie für den Kirchentag „Die Hoffnung fährt schwarz“ enthalte „schwachsinnige Gedichte“, sei ein „Schmarrn“, verbreite „deformierte und desorientierte Weltanschauungen“, sei „unchristlich“, „unverständlich“ und „nicht volksbildend“. Einige dieser Briefe sind nachrichtlich an den ehemaligen bayerischen Kunst- und Wissenschaftsminister Dr. Thomas Goppel (CSU) gerichtet, der heute noch im bayerischen Landtag sitzt und Anfang 2010 den Arbeitskreis „ChristSoziale Katholiken in der CSU“ (CSK) gründete, der extrem konservativen Positionen anzuhängen scheint. Aus dem Umfeld der CSK stammt beispielsweise jene erwähnte Klosterschwester, die beim Kirchentag anfragte, was man tun könne, um die Verbreitung meiner Anthologie zu verhindern. Auch Professor Zöpfl, der Goppel einst Pädagogik gelehrt haben soll, scheint den CSK sehr verbunden sein. Damit schließt sich der Kreis wieder. Schlimm ist, dass sich ehemalige Volkschullehrer unter den Briefeschreibern befinden. Die müssten eigentlich in ihrem Studium gelernt haben, wie man Kinder für die Schönheiten der lyrischen Sprache begeistert und wohin ideologische Dichtung, z. B. die des dritten Reiches, führen kann.

GW: Das scheinen Leute zu sein, denen der Aufstieg zum eigenen Tellerrand bisher zu mühselig war. Theoretisch könnte man sich drüber aufregen, dass Leute wie Goppel – ich habe den Brief gelesen – aus Steuermitteln durchgefüttert werden, ohne dass sie nennenswertes auf die Beine stellen. Man kann sich theoretisch auch darüber aufregen, dass es solch verantwortungslose Leute in Verantwortungspositionen gibt, die nichts Besseres zu tun haben, als anderen ihre rückwärtsgewandte Einstellung aufzudrücken. Das sollte Herrn Goppel doch eigentlich ähnlich gehen. Immerhin ist er Mitglied im Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Ich habe mir eben mal die Website der CSK angesehen. Die propagieren Gott in Gesetz, Schule und Familie, das ist bezeichnend. Leider ist ja die Trennung von Kirche und Staat in Deutschland noch längst nicht wirklich vollzogen. In Gesetz und Schule hat Gott rein gar nichts verloren, der ist in einem säkularen Staat Privatsache, und sonst nichts. Sie propagieren auch ein offen homophobes Gesellschaftsbild, indem sie ihr Gesellschaftsverständnis auf Mann und Frau und die Familie auf Mann, Frau, Kind reduzieren. Nur eine Zeile weiter faseln sie von Toleranz. Ich finde das widerlich und verlogen, aber das kennt man ja aus diesen Kreisen.

Man kann sich, wie gesagt, darüber aufregen, aber lohnt es sich? Ich glaube nicht. Wenn man die Briefe, die gegen Dich gerichtet sind, liest, dann wird einem schnell klar, dass diese Figuren eigentlich nur sich selbst diskreditieren. Von denen angegriffen zu werden dürfte Deinem Ruf nicht schaden, eher im Gegenteil. Solche Leute wird es immer geben. Lass sie machen, wenn sie damit glücklich werden. Solange sie keine zu große Macht mehr gewinnen, kann man sie belächeln.

AGL: So ganz gelassen wie Du kann ich die Sache nicht sehen. Ich sage nur, wehret den Anfängen. Wer literarische Texte als „schwachsinnig“ bezeichnet, d. h. mit Krankheit in Verbindung bringt, und dies als Lehrer für Deutsch und Religion, der darf nicht auf Schüler losgelassen werden. Und so ein Mensch hat auch nichts von christlicher Toleranz begriffen, nichts von Nächstenliebe. Er verhält sich als Denunziant zudem unchristlich, verstößt also gegen seine eigenen fundamentalistischen Maßstäbe und religiös bemäntelten Ordnungsschemen. Wohin es führt, solche Leute und ihr menschenverachtendes Vokabular nicht ernst zu nehmen, davon können doch gerade wir Deutsche ein Lied singen. Einzelne Äußerungen bewegen sich verdammt nah am unseligen Begriffspaar „entartete Kunst“ und solche Worte sollten jedenfalls hierzulande nicht mehr fallen können, ohne dass Leute aufstehen und sich und ihre Werte mit Nachdruck verteidigen. Mit Christentum, so wie ich selbst die Botschaft und das Leben von Jesus Christus verstehe, haben Briefeschreiber dieser Art nichts zu tun. Und die Kirche sollte sich besser von solchen Leuten und ihren Praktiken deutlich distanzieren. Ich schäme mich jedenfalls für derartige Mitbürger, die eingebildet akademische Titel vor sich hertragen wie auf dem Tablett, aber sich tatsächlich fernab von jeder gepflegten Streitkultur bewegen und unkultiviert benehmen. Es fehlt ihnen schlichtweg an der guten Kinderstube, oder einfach gesagt an Bildung.

GW: Ich stimme Dir generell zu. Bedenklich finde ich dass Leute, die offenbar weder das Christentum noch die Demokratie verstanden haben (wie sie mit ihrer Intoleranz und ihren Angriffen auf die Publikationsfreiheit zeigen), beides vor sich hertragen und behaupten, sie würden in deren Namen handeln. Aber war es nicht schon immer so? Nimm doch allein die Institution Kirche: Woher nimmt sie ihre Existenzberechtigung? Aus der Bibel sicherlich nicht. Und die Politik – jedes Kind hat doch inzwischen begriffen, dass die Pöstchen nicht nach Kompetenz, sondern nach Proporz vergeben werden. Unsere selbsternannten Eliten bestehen größtenteils nur noch aus Witzfiguren, die man nicht ernst nehmen kann. Wenn solche Attacken, wie die derzeit auf Dich gefahrenen, aus der Parteispitze kämen, würde ich auch beginnen, mir Sorgen zu machen. Aber sie kommen ja offensichtlich von Hinterbänklern, die nichts besseres zu tun haben. Ganz anders die Tatsache, dass auch Lehrer da mit einfallen, da hast Du Recht.

AGL: Wahrscheinlich ist es das Beste, zur Tagesordnung überzugehen und weiterzuarbeiten. Mit noch mehr Kraft und Energie anzudichten gegen das Vergessen, gute, lesbare Gedichte zu sammeln und zu edieren. Und Kinder und Jugendliche für Gedichte zu begeistern. Wenn’s die Lehrer nicht machen, tun‘s eben wir. Und die gerade abgehandelten Leute sind mit sich selbst genügend gestraft. Wären sie glücklich und zufrieden, würden sie sich nicht zu solchen primitiven Unter-der-Gürtellinie-Attacken hinreißen lassen.
 
 

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