Eine Annäherung in 4 Punkten
1.
Albert Ostermaier nimmt letzte Mythen der Menschheit, Liebe und Lust und Tod – die traditionellen Themen –, ins Visier seiner Verse. Diagnose: Herzversagen. Seine ‚Liebesgedichte’ sind Faustschläge aufs Herz der Poesie, Wiederbelebungsversuche an einer totgeliebten Gattung. Nach jedem Gedicht könnte das Epitaph stehen: Hier lieg’ ich, von der Lieb’ erschlagen.
Interessante Analyse! Dies ist nicht der Klappentext des aktuellen Gedichtbandes „ÜBER DIE LIPPEN“ von Albert Ostermaier, obwohl er es sein könnte, sondern des frühen Lyrikbands „Herz Vers Sagen“ (edition suhrkamp) aus dem Jahr 1995. Man könnte jetzt natürlich über die Sinnhaftigkeit und/oder die Zielgruppe dieses Gebrauchstextes rätseln, muss aber nicht. Denn er beschreibt bloß die Realität. Ostermaier liebt es, über die Liebe zu schreiben, greift sein Thema immer wieder auf, arbeitet sich daran ab und füllt damit Bücher. Lieben tut jeder und jede irgendwann, was liegt daher näher, als dieses Lieben zu Texten zu verwursten, die von anderen, Liebenden oder Geliebt-Habenden, dann gekauft werden. Ein Erkennen kann (oder könnte) sich bei der Lektüre einstellen, meist ohne Umwege, aber in konsequenter kleinschreibung und ohne satzzeichen, manchmal braucht es VERSALIEN und
das
wird alles dann
schnell
gebrochen in
verse
et voilà, schon sind sie da, meistens zumindest, jene leicht übertragbaren Schwingungen, denn: Ach und ja, so war es, so war sie, so ist sie halt eben und noch immer ist sie, die Liebe, zuweilen berechenbar („damit / die quote stimmt“1), manchmal schön, manchmal grauslich und oft, viel öfter tut sie weh, ojemine.
2.
Albert Ostermaier, der junge Lyriker und Dramatiker in Brecht- und Toller-Tradition, machte sich bekannt mit Gedichten, deren Schlag aufs Herz zum Herzschlag seiner Poesie wurde.
Und wieder der Schlag aufs Herz, vielleicht vom gleichen Klappentexter (Suhrkamp hat Tradition), vermutlich wieder mit der Faust (siehe Punkt 1), auch wenn dies nicht explizit dasteht, vielleicht aus Tradition – medizinisch, so viel sei hier angemerkt, natürlich Humbug, aber es geht ja nicht um Wissenschaft, sondern um Dichtung bzw. die Punchkraft von Gedichten, diesmal jenen aus „fremdkörper hautnah“ (edition suhrkamp 1997). Eigentlich schade, dass nicht dasteht, welche Gedichte Ostermaier derart aufs Herz schlugen, dass er nun fremde Herzen in seiner Poesie schlagen lässt und nicht mehr das eigene pochen lassen kann, aber sei’s drum. Ostermaier selbst würde vermutlich solche Transplantationen – der Logik nach müssten es mehrere gewesen sein – strikt abstreiten und jeder andere an seiner Stelle würde es ihm wahrscheinlich gleichtun. Man will ja schließlich keinen Ruf als Kopist kriegen und sich damit behindern, sondern lieber am eigenen epigonalen Status herumbasteln und mauern „mit worten die mein herz erfand“2, klipp und klar, also das eigene Herz meint er, Punktum. Und wenn man lange genug Worte und das eigene Herz geliebt und ein wenig Glück gehabt hat, dann erscheinen diese nicht mehr im Suhrkamp-Taschenbuchformat, sondern gebunden, und ein Ruf wird und nicht mehr gekleckert und mit Fäusten geschlagen wird, sondern auf andere Art geklotzt, denn
3.
Albert Ostermaier sei ein „Virtuose in der Sprache der Liebe“, heißt es nun einem Zitat (wiederum auf der Klappe), dessen Quelle nicht angegeben wird, er sei einer, der „das Abenteuer des Unbeschreiblichen in einer ganz eigenen, die Sprache und Botschaften der heutigen Liebe wie ein Echolot durchstreifenden Lyrik“ beschwört. Ihm gelinge „hier ein Zauberwerk der Sprache“, und mit „hier“ ist sein aktuellster Lyrikband gemeint, „ÜBER DIE LIPPEN“, ein Liebes- ABC in 80 Texten, das von „a“ wie „abhängigkeit“ bis „z“ wie „zugrundegehen“ reicht. Nun ist prinzipiell gegen Gefühle wenig zu sagen, auch, weil man bei diesen mit Rationalität nicht weit kommt. Aber a) muss man nicht aus jeder Gefühlsregung ein Gedicht machen wollen (siehe Punkt 4), schon gar nicht mehrere, weil sich dann schnell Redundanz einschleicht und b) wenn man es doch macht, müsste man noch nicht zwingend ein Buch daraus machen wollen. Allerdings ist es auch nicht verkehrt, denn das Thema Liebe zieht und es kann angenommen werden, dass Liebesgedichte sich gut verkaufen lassen. Und es kann auch angenommen werden, dass der eine oder die andere möglicherweise erfreut, vielleicht sogar begeistert von diesen Texten sein wird. Allein: Wenn man einen Lyrikband vorlegt, läuft man Gefahr, dass c) dieser auch als Lyrikband rezensiert, sprich: kritisiert wird, obwohl er mit dem Gefühlshaushalt einiger LeserInnen kompatibel und daher für diese unkritisierbar sein mag. Ein Versuch sei hiermit erlaubt, beginnend mit einem Nichtzitat:
Du hast mir eine Szene gemacht. Und was ich dir vorspiele, sprichst du mit. Wir werden unseren Text vergessen und proben immer wieder den gleichen Kuss. Wir haben alles andere gestrichen.
Dieser allein wegen seiner Kürze ausgewählte, doch für Ostermaiers Dichten exemplarische Text ist keiner, der genau so in diesem Buch vorkommt. Ostermaier ist ein Tausendsassa, bekannt als Theaterautor und Romanschriftsteller und eben auch Lyriker. Da können die Genres schon mal durcheinanderkommen. Was er mit dem Titel „drama“, versieht, lautet in seiner Version so:
du hast mir eine
szene gemacht und was
ich dir vorspiele sprichst
du mit wir werden unseren
text vergessen und proben
immer wieder den gleichen
kuss wir haben alles andere
gestrichen
Womit die alte, heikle Frage im Raum steht: Was ist ein (Liebes)Gedicht? Reichen Kleinschreibung und willkürliche Zeilenbrüche, um aus einem Prosatext ein (Prosaliebes) Gedicht zu machen? Oder, anders gefragt: Wo bleibt die uns Lesenden angekündigte Virtuosität des Dichters in der Sprache der Liebe? Wo bleibt das behauptete Zauberwerk der Sprache?
Es ist die Sprache eines Routiniers, konventionell und wenig originell, mit vielen Nebensätzen und einem Wuchern mit Enjambements, die als Stilmittel quasi zu Tode geritten werden. Inhaltlich bietet er deutlich zu oft Geschöntes, also Oberflächen und wenig Tiefgang und man muss unwillkürlich ans Etikett „Wiederbelebungsversuche an einer totgeliebten Gattung“ (s.o.) denken. Obermaier liebt Pathos, scheut auch Verkitschung nicht. Da ist einer bzw. eine, der/die verlassen wurde und nun von Wunden spricht, in einem Ton zwischen larmoyantem Sudern, Selbstbezichtigungen bis hin zum Liebäugeln mit einer Selbsterniedrigung, ein Ton auch, der manchmal in Sadismus und Aggression umschlägt. Zuweilen fühlt man sich an Schilderungen Pubertierender erinnert, die, „von der Lieb’ erschlagen“, ihre rohen Gefühlsaufwallungen noch recht ungelenk artikulieren. Leider muss der Autor, damit es wirklich jede(r) versteht, auch noch alles auserzählen und lässt seinen kurzen Texten keinerlei Geheimnis. Schlussendlich bleibt ein Eindruck, der zwischen schaler Seichtheit und seichter Schalheit changiert, was umso enttäuschender ist, als der Autor als Singer-Songwriter begonnen hat, wie er in einem Interview erklärte, dem Phrasierung, Rhythmus, Klang und Timing wichtig sind. Davon ist in den aktuellen Gedichten leider wenig zu bemerken.
Damit aber nicht genug, denn Ostermaier liest viel, „machte sich bekannt mit Gedichten, deren Schlag aufs Herz zum Herzschlag seiner Poesie wurde“ (s.o.). Doch nicht nur mit Gedichten. Denn eines Tages schlug oder drückte ihm offenbar kein Geringerer als Roland Barthes (1915-1980) aufs Herz, präziser, dessen „Fragmente einer Sprache der Liebe“, die der Autor vermutlich genau und mehrmals gelesen hat und die er dann versuchte, zum Herzschlag seiner Gedichte zu machen. Er hat auf dessen Liebes-ABC zurückgegriffen, das ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschienen ist, allerdings zu besseren Buchzeiten, hat die Titel seiner Gedichte den Titeln der Essays entlehnt und sie in derselben Reihenfolge angeordnet. Und er hat gleichsam als Rechtfertigung für diese Texte ein gekürztes Zitat von Roland Barthes vorangestellt, dem er statt der ursprünglichen Prosaform eine rechtsbündig ausgerichtete Gedichtform verlieh:
4.
Jede Figur ist nichts anderes als der Stoff einer Dichtung,
wie in der Epoche der Romantik – der Zeit
in der jeder Brocken einer Sprache der Liebe,
der einem in den Sinn kam, sofort Lust auf einen Vers,
das Verlangen nach einem Gedicht weckte.
1977 sind in Paris die „Fragments d’un discours amoureux“ des als Wissenschaftler und Intellektueller bereits berühmten Roland Barthes erschienen, haben schnell die Bestseller-Listen erobert und bis heute nichts an ihrer Eindringlichkeit verloren. „Es ist also ein Liebender, der hier spricht und sagt:“ stellt Barthes von Anfang an klar. Seine Fragmente sind Szenen bzw. Figuren, die lose durch die Ordnung des Alphabets miteinander verknüpft werden. Was Barthes vielfältige Ausführungen über Liebe, die Dynamiken ihrer Diskurse und ihre Sprache vor allem auszeichnet, ist die poetische Schönheit, Genauigkeit und Tiefgründigkeit seiner Essays, die wir durch die deutsche Übersetzung von Hans-Horst Henschen3 erfahren können. Ostermaier hingegen hat diese Konzentrate wohl gelesen und versucht, sie mit eigenen Worten nachzubilden, doch er hat sie dabei zu oft banalen Schlagertexten verschnulzt. Denn nicht „jeder Brocken einer Sprache der Liebe“, der einem in den Sinn kommt und Lust auf eigene Verse weckt, wird zu mehr als bloß „Faustschläge[n] aufs Herz der Poesie“. Oder, um es anders sportlich zu sagen: Durch den Bezug zu Roland Barthes hat sich Ostermaier die Latte allzu hoch gelegt, damit auch die Fallhöhe. Doch er zog es vor, unten durchzuschlüpfen, was schade ist.
- 1. aus dem Gedicht „ratschlag für einen jungen dichter“ in „Herz Vers Sagen“ (edition suhrkamp, Frankfurt/Main 1995)
- 2. aus dem Gedicht „sursum corda“ in „fremdkörper hautnah“ (edition suhrkamp 1997)
- 3. Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe. Erweiterte Auflage. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen. Unveröffentlichte Figuren: Übersetzung Horst Brühmann. Suhrkamp Verlag 2015
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