Worauf es ankommt
wenn ich wählen könnte / würde ich vielleicht / den Pinsel über eine weiße stille Leinwand führen schreibt die argentinische Dichterin Andrea Fontán in ihrem zweisprachigen im hochroth Verlag erschienenen Gedichtband Blumenblätter zwischen den Fingern (pétalos entre los dedos), und mir fallen dabei sofort japanische Tuschzeichnungen ein, die zu der Zartheit ihrer Gedichte und ihrer Worte passen würden.
das, worauf es ankommt
kennt die Antwort nicht
Diese zwei ersten Zeilen wirken wie ein Motto für die weiteren Gedichte, in denen das lyrische Ich sich in Suchbewegungen der Welt und den Bedingungen für den Schreibprozess nähert. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Stille. Sie steht für das Gegenteil, wenn alle mir von irgendeiner unwichtigen Sache erzählen. Schreiben und Stille als Weg der Wahrhaftigkeit
und ich schreibe
und streiche durch und radiere aus und verwerfe
und die Stille taucht nicht auf
oder:
du wirst niemals wissen
ob der Vogel auf deinem Balkon
kam um dir die Stille zu bringen mit seinem Gesang
In einer Stille kann ein Sonnenstrahl den Himmel und ein Lichtfaden das Grün eines Apfels teilen. Eng verbunden mit der Stille ist das Schweigen, wie es in dem wunderbaren Gedicht der Strich heißt:
der Strich
schläft sein Schweigen auf dem Papier ausIch betrachte ihn
ich befrage ihn
ich hoffe er stirbt nichtohne mir zu antworten
Es sind die kleinen Dinge, die in den Gedichten von Andrea Fontán wichtig sind und viel über die Welt erzählen. Am Wegrand warten Blumen und derjenige, der sie wahrnimmt, wird durch den Duft ihrer Blütenblätter Vertrauen in die Welt entwickeln. Ohne Blumen ist der Balkon stumm und ohne die Möglichkeit, den Horizont zu sehen, könnte man sich verlieren.
Über dem letzten Gedicht Schmetterlinge steht ein Haiku von Issa, und so haben wir doch noch einen kleinen japanischen Bezug. Das aus fünf Teilen bestehende Gedicht beschreibt im ersten Teil das Tierchen als
ein Kettenglied
der überlieferten Erzählung der Vergänglichkeit
ein Schmetterling ist also viel mehr, denn er weiß um
die Erzählung welche die Welt enthält
in der Lüge eines Tages
doch letztlich ist es der Mensch, der ihn um seine Freiheit beneidet.
Andrea Forlán gelingt es in ihren Gedichten, mit sparsamen, sehr poetischen Worten einen ganzen Kosmos entstehen zu lassen.
Die Lyrikerin und Übersetzerin Astrid Nischkauer hat auch diesmal wieder die passende deutsche Sprache dafür gefunden.
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