Kolumne

HOW TO COOK A PHALLUS #2 cutting up the ingredients, oder: (Literarischer) Feminismus wider den „Guss“ und die „Potenz“

1943 erschien How to Cook a Wolf von MFK Fisher, eine Essay-Sammlung und inzwischen Klassiker der amerikanischen Literatur. Was tun, wenn der hungrige Wolf vor der Tür steht und einen fressen will? Fishers Antwort sind über 70 Kochrezepte, die genießbar und schmackhaft machen, was ungenießbar und unschmackhaft, gar bedrohlich scheint. Lilian Peter schreibt an dieser Stelle auf Einladung von fixpoetry einmal im Monat über Frauen und Literatur, über weibliches Schreiben mit dem ständigen Phallus in der Tür.

 

Vor ein paar Tagen habe ich es dann doch gelesen: Die potente Frau von Svenja Flaßpöhler, meine Motivation dazu war eher mittelmäßig, und dass ich es schließlich tat, lag ehrlicherweise vor allem daran, dass ich a) ein Thema für diese Kolumne brauchte, b) ohnehin schon schlechte Laune hatte, und c) das Buch, eher das Büchlein, nur vierzig Seiten kurz ist und man es in einer Stunde durchlesen kann. Der Punkt, den Flaßpöhler in erster Linie machen will, ist, dass Feminismus nicht darin bestehen könne, sich immer nur nachträglich über irgendwas zu beschweren, indem man irgendwelche Hashtags ins Internet schreibt. Geschenkt. Dazu liefert sie noch ein kleines Lamento darüber, dass der Feminismus der 1970er Jahre so viel komplexer gewesen sei, Cixous und Irigaray sei Dank. Ja, hm. Tatsächlich ist ja ihr eigener Text nicht viel mehr als ein etwas zu lang geratener Beschwerde-Tweet, nur dass er nicht im Internet steht, sondern in jenem seit seinem Bestehen als, im Sinne philosophischer Erkenntnis, besonders „potent“ gedachten Medium namens Buch. „Potenz“ will Flaßpöhler in einem ganz bestimmten Sinn verstehen, den sie aus dem Lateinischen ableitet, nämlich als „können“ im Sinne der Möglichkeit, von lat. posse. Nur ist die von posse abgeleitete potentia eben gerade ein Können, das immer mit Macht und Gewalt zu tun hat, ein „Können in Folge von Macht und Stärke“ (Doederleins Handbuch der lateinischen Synonymik). Will man sich schon unbedingt auf das Lateinische berufen, gäbe es zu dieser Art des „Könnens“ durchaus Alternativen, zum Beispiel quire, Können „als Folge der gesamten Qualifikation“ (dasselbe Handbuch). Mir scheint das die deutlich interessantere Form von „Können“, zudem klingt quire für mich zumindest lautlich sympathisch nah an „que(e)r“. Flaßpöhler selbst fordert eine (neue) feministische Sprache, na dann, helfen wir ihr ein bisschen und braten ihre „Potenz“ einmal kurz auf, probieren wir, wie „Können“ als Querdenken schmeckt, als gegen-den-Strich-lesen, Feminismus als Quitenz, die quitente Frau. Sie selbst wird ja nicht müde, zu betonen, sie meine gerade keine bloße Umkehr von Machtverhältnissen, und das mag sogar durchaus sein. Denn die „Potenz“ ihres Textes ergießt sich nicht in „den Mann“, an den sie sich gar nicht erst ranmacht, sondern in das als bloß Leeres, Unterbestimmtes oder nicht-Selbstbestimmtes vorgestellte Andere ihrer eigenen Imagination, und dieses Andere ist die (andere) Frau. Damit wiederholt sie genau jenen klassischen Schreibgestus, der patriarchaler gar nicht sein könnte: Auf der einen Seite (vermeintlich wissende) Potenz, auf der anderen Seite bloße Leere, in die hinein sich die Potenz ergießt, und die dadurch (in der Imagination) Bestimmung erhält, weil sie selbst angeblich vollkommen unterkomplex ist und keine Sprache hat. (Dazu passt auch jene merkwürdige Formulierung, die Flaßpöhler in Diskussionsrunden immer wieder verwendet, dass sie nämlich die Frauen „in die Potenz bringen“ wolle. Hm. Thanks, but no thanks.) Nun ist es mit derartigen Pauschalbehauptungen über eine „Leere“ auf einer „anderen Seite“ halt meist so, dass sie in erster Linie etwas über die eigene Unkenntnis sagen. Wenn zum Beispiel Philosophen sagen, etwas sei doch „nur Literatur“ (immer noch total verbreitet, man sollte es nicht glauben), dann können sie das vor allem deshalb sagen, weil sie keinerlei Literatur lesen und es ihnen schlicht an der entsprechenden Erfahrung und der damit einhergehenden Wandlung im Denken mangelt, die jede Lektüre ist und macht. Sie wiederholen einfach nur einen uralten Reflex (wenn man es pathologisch wenden will, kann man auch sagen, sie wollen die Stimmen der Anderen nicht hören, weil sie Angst haben, dadurch ihre Potenz zu verlieren). Oder wenn der immer wieder gern gebrachte Vorwurf in Zeitungen oder ins Internet oder in Internetzeitungen oder in Zeitungen im Internet gestellt wird, alle Literatur von Absolvent*innen der Literaturinstitute sei langweilig und bieder: Da würde ich immer gerne zurückfragen, echt, du kennst alle Literatur aller Absolvent*innen der Literaturinstitute? Schonmal was von Verlagsselektion gehört, schonmal was von Aufmerksamkeitsökonomie gehört? Und hast du schonmal eins dieser Institute von innen gesehen? Ein Reflex, eine Spiegelung, gibt immer nur das zurück, was man selbst aufgrund der eigenen Selektion und Lektüreerfahrung aufs Papier wirft (oder gießt). Die Erfahrung und Wirklichkeit der Anderen ist meistens, Überraschung: eine andere. Tatsächlich scheint Flaßpöhler sehr wenig über die Verzweigungen und Verästelungen des heutigen Feminismus zu wissen, der in Wirklichkeit komplexer und vielstimmiger ist denn je, weshalb ich ihr (und der eifrigen Erstleserin oder dem eifrigen Erstleser des von mir für 1,29 € gebraucht gekauften Buches, die oder der dauernd wilde Ausrufezeichen an den Rand gemalt hat) hiermit gern einen ganz einfachen Tipp geben möchte: Wenn du dir einen komplexeren Feminismus wünscht, guck einfach mal woanders als auf Twitter, oder guck, was Leute, die twittern, sonst noch so machen und/oder schreiben. (Literaturlisten kann ich dir gern erstellen, schreib mir einfach eine Mail. Sorry für das „Du“, aber das macht man so im Internet.)

Aber nochmal kurz zurück zum Schreibgestus der Potenz, mit dem auch der alte, aber immer noch und immer wieder aktuelle Mythos vom Schreiben „aus einem Guss“ zusammenhängt. Wie so oft, ist auch in diesem Fall Hegels Erguss erhellend, da er der Leserin die alten Bilder immer besonders schön in all ihrer Potenz, Macht und Gewalt aufkocht und vorsetzt (und wohlwissend nur einen Löffel neben das Gericht legt, Messer und Gabel sind bekanntlich für kleine Kinder nicht – und die Frau ist für Hegel ja letztlich eine  „Kindernatur“):

„Der Künstler muß sich schaffend verhalten und in seiner eigenen Phantasie mit Kenntnis der entsprechenden Formen wie mit tiefem Sinn und gründlicher Empfindung die Bedeutung, die ihn beseelt, durch und durch und aus einem Guß heraus bilden und gestalten.“ (Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 229)

oder:

„Das wahrhafte Kunstwerk muß von dieser schiefen Originalität befreit werden, denn es erweist seine echte Originalität nur dadurch, daß es als die eine eigene Schöpfung eines Geistes erscheint, der nichts von außen her aufliest und zusammenflickt, sondern das Ganze im strengen Zusammenhange aus einem Guß, in einem Tone sich durch sich selber produzieren läßt.“ (Ebd. S. 383)

Ein Geist, „der nichts von außen her aufliest“, sondern den einen, einzigen Guss aus sich herausfließen lässt. Aber wohin fließt dieser Guss? Irgendetwas muss er ja begießen. Da es für Hegel letztlich gar kein Außen gibt, besteht dieses Problem für ihn nicht; die Frau ist zwar das, was Bestimmung nur und ausschließlich durch den Mann und dessen Begattung bzw. Begießung erhält, aber auch sie ist Teil des Geistes, nämlich dessen vorbewusste Stufe, die automatisch in ihre höhere Bestimmung übergeht und die von ihrer höheren Bestimmung dann wiederum geehelicht werden muss, um nicht mehr auslaufen zu können (und anschließend wieder aufgelesen werden zu müssen).

Früher gab es übrigens den Beruf des Schriftgießers, zu dem Wikipedia (Lemma „Schriftgießer“) folgendes zu berichten weiß:

„Der Schriftgießer richtet eine Gießvorrichtung mit der Gussform (der „Mater“ für den eigentlichen Buchstaben) und dem Kanal für den Schaft ein und gießt sie anschließend wiederholt mit dem Satzmetall (meist Blei) aus.“

Die „Mater“, zu Deutsch „Mutter“, als leere Form, die der Schriftgießer zuerst herstellt, um dann sein Satzmetall in sie zu gießen. Ich stelle mir vor: Möglichst ununterbrochen, möglichst ohne Pausen zu machen, denn sonst könnten sich Luftbläschen oder andere ungewollte Leerstellen ergeben. Der Literaturwissenschaftler Simon Sahner hat kürzlich auf Twitter einen Thread zu Schreibmythen eingerichtet und diesen eröffnet mit einem Verweis auf Jack Kerouac, der seinen Roman „On the Road“ innerhalb weniger Wochen verfasste und dazu an einen Freund schrieb, „went fast because road is fast… wrote whole thing on strip of paper 120 foot long…“. Sahner kommentiert: „Schon hier deuten sich die Mythen an, die wir bis heute kennen: geschrieben auf fortlaufendem Papier, um im Rausch des Schreibens nie absetzen zu müssen, das Papier rollt sich wie die Straße durch das Zimmer des manisch tippenden Autors.“ Ich denke an Ingeborg Bachmann, die das unentwegte Geklapper von Max Frischs Schreibmaschine hört – bei ihr dagegen kommt und kommt und kommt nichts – jedenfalls kommt nichts, was sie einfach so herunterschreiben könnte, sie hat keine vorgegossene Autobahn zur Verfügung, auf der sie, am Schreiblenker sitzend, nur noch aufs Gas- oder Gusspedal drücken müsste. Ich denke an den kürzlich im online-Magazin des S.Fischer-Verlags hundertvierzehn erschienenen Essay Weibliches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur von Isabelle Lehn, in dem sie über ihre Erfahrung als Dozentin von Schreibkursen sagt:

„Junge Mädchen, die anfangen zu schreiben, verfallen oft darauf, die Perspektive eines älteren Mannes einzunehmen. Sie versuchen, wie Goethe zu klingen, oder wenigstens wie Martin Walser. Weil sie denken, dass nur das Literatur sein kann. Weil sie gelernt haben, dass Literatur nur dann ernstzunehmend ist, wenn sie aus der Perspektive eines älteren Mannes erzählt.“

Als ich das las, erschrak ich: Tatsächlich dachte ich naiverweise bisher, nur mir wäre es lange so gegangen, nur ich hätte dieses Problem gehabt. Schreiben findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in und mit den Stimmen der Literatur, die man liest. Der Schreibmythos vom „Guss“, den man einmal in Gang setzt, und der sich dann von selbst und unentwegt fortsetzt, dürfte auch mitverantwortlich dafür sein, dass das Masterprogramm am Deutschen Literaturinstitut, in dem ich ein Zweitstudium gemacht habe, auf Basis der Vorstellung aufgebaut war, dass man fortlaufend und fortlaufenden Text produziere, man fängt am Anfang an, endet am Ende, schreibt pro Semester 50 Seiten, und hat dadurch automatisch am Ende des Studiums einen fertigen Roman – was sonst – auf dem Tisch liegen. Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass – so schien mir wenigstens – insbesondere Frauen mit dieser Konstruktion und mit dieser Idee vom Schreiben ein Problem hatten (nicht nur Frauen, auch nicht alle Frauen, aber insbesondere Frauen). Ich denke an einen Essay von Johanna Maxl, erschienen in der BELLA triste Nr. 49, mit dem Titel Zwischen den Stoffen, wo sie schreibt: „28 mal verwendet Virginia Woolf das Wort ‚Messer‘ in ihrem Roman Mrs Dalloway, dessen gleichnamige Protagonistin, Clarissa Dalloway, selbst zum Messer wird: ‚She sliced like a knife through everything‘, sie schnitt wie ein Messer durch den Tag.“ (S. 75). Messer kommen in Maxls Essay, aber auch in ihrem Roman Unser großes Album elektrischer Tage noch ein paar mehr vor, aus Messern ist ihr Schreiben selbst gemacht: Nach dem Prinzip des Schneidens, Separierens, Zersetzens, Auseinandernehmens, Zerstreuens, und nicht nach dem Prinzip des Gießens. Dieses Prinzip kennt eine Vielzahl von Formen und ist keineswegs beschränkt auf den Roman, auf den (als „größten, besten, längsten“) die wichtigsten Literaturpreise und die großen Feuilletons hierzulande immer noch, oder immer wieder, fixiert sind, als wäre das der einzige Sinn von Literatur. Volker Weidermann hat irgendwann irgendwo mal gesagt, dass ein Roman heutzutage geschrieben sein solle wie eine Netflix-Serie. Das ist einerseits interessant, denn eine Netflix-Serie ist weder aus einem Guss geschrieben, noch stammt sie aus einer einzigen Feder. Weidermanns Aussage birgt somit in sich die Erkenntnis, dass Literatur heute nicht mehr auf dem alten Mythos des potenten Autors beruhen kann, sondern durch eine Vielfältigkeit von Stimmen gekennzeichnet sein muss. Aber leider zieht Weidermann, andererseits, daraus den falschen Schluss, da er nur unreflektiert aufgreift, was der Betrieb forciert und fordert. Denn nur mal angenommen, die Aussage wäre „wahr“ (was immer „wahr“ in so einem Zusammenhang heißt) – wozu sollte man den Roman noch brauchen, wenn er nichts anderes macht und kann als eine Netflix-Serie – zumal Romane praktisch nie im Kollektiv  entstehen und nicht nur deshalb die Netflix-Serie im Zweifel wahrscheinlich, naja, die bessere Netflix-Serie ist?

Das Problem, auf das die Studie #frauenzählen und der von Berit Glanz und Nicole Seifert initiierte Hashtag #vorschauenzählen im Literaturbetrieb aufmerksam machen – nämlich zum Beispiel, dass Frauen in vielen großen Verlagen unterrepräsentiert sind („Je höher das literarische Prestige eines Verlages, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen.“) – hängt auch, und in nicht zu unterschätzender Weise, mit einem Beharren des Betriebs auf einem ganz bestimmten Schreibgestus und einer ganz bestimmten, gerade in Deutschland historisch extrem aufgeladenen Form von Literatur zusammen, der und die intrinsisch patriarchal ist. Das Interessante ist aber, dass wir, gerade auch Dank #metoo, was unzählbar viel mehr war und ist als Hashtags im Internet, tatsächlich in einer umbrechenden Zeit leben, in der die alte Erzählung, auf allen Ebenen, so tiefe Risse bekommen hat, dass – als ein Nebeneffekt – plötzlich ab und an auch Textformen auf großen Bühnen zu Wort kommen, die noch vor wenigen Jahren kaum solche Aufmerksamkeit erfahren hätten (siehe etwa die Nominierung von Maren Kames’ Lyrikband Luna Luna für den Preis der Leipziger Buchmesse). Eine Netflix-Serie stammt aus vielen Federn, das kann ein Vorteil sein, aber Literatur kann und will dafür ihre eigene Einordnung immer auch untergraben, Literatur ist unendlich viel anderes als eine gegebene Form, in die ein schon mehr oder weniger fertiges Erzählschema gegossen wird. Der richtige Schluss aus der Erkenntnis, dass der alte Mythos ausgedient hat, muss daher sein: Es braucht eine Diversifizierung der Formen und vor allem mehr und breitere Aufmerksamkeit für diversifizierte Formen. Dann klappt’s vielleicht auch irgendwann mit der (quer-quitenten) Quote.

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