Die unterschätzte Frau
Seit kurzem sorgt Svenja Flaßpöhlers Essay „Die potente Frau“ für Wirbel im feministischen Diskurs. Warum? Weil die Streitschrift der #metoo-Debatte nicht nur eine Selbstermächtigung von Gewaltopfern abspricht, sondern ihr auch die Reproduktion eines patriarchalen Welt- und Weiblichkeitsbilds unterstellt.
Möglicherweise fragen Sie sich jetzt: Wie bitte? Tja – so in etwa ging es mir auch, ohne dass sich mein Unverständnis nach der Lektüre verflüchtigt hätte. Um jedoch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Flaßpöhler ist gewiss keine Antifeministin, die weibliches Empowerment grundsätzlich ablehnt, sondern bloß eine einigermaßen privilegierte weiße cis Frau aus dem Bildungsbürgertum, die ihre emanzipatorischen Anliegen dadurch vertritt, dass sie andere feministische Positionen leider undifferenziert und falsch wiedergibt und auf den Unterstellungen, die sich daraus speisen, ihre zum Teil steilen Thesen begründet.
Es fällt mir schwer, mich zu entscheiden, wo ich anfangen soll. Möglicherweise beim Opferbegriff, der in Flaßpöhlers Argumentation eine zentrale Stellung einnimmt und den sie so negativ konnotiert wie zahlreiche cis Männer es zu tun belieben, die den Opfern die eigentliche Schuld an ihrem Leid attestieren; ist doch schließlich immer wieder von Frauen die Rede, die sich in die Opferrolle begäben.
Ein wenig interessant ist es schon: Mittlerweile – zumal unter Antifeminist*innen – gilt der Opferbegriff mehr als Schande derjenigen, die eine unglückliche Erfahrung der Repression beschreiben wollen, denn als Perversion unserer Gesellschaft, die strukturelle Diskriminierung und mithin Unterdrückung nach wie vor begünstigt. Wer die pejorativen Begriffe Opferrolle oder Opferstatus bemüht, tut mithin nichts weiter – sei es gewollt oder nicht –, als ein Fehlerverhalten bei jenen zu suchen, die offenbaren, Gewalterfahrungen erlebt zu haben – ob nun verbal oder psychisch –, statt bei denen, die Gewalt ausüben. Implizit bedeuten sie also nicht mehr und nicht weniger als: Wer Opfer ist, ist in erster Linie selbst schuld. Und kennen wir diese Musik nicht von irgendwoher? Weht uns da nicht eine typische, hoffentlich im Aussterben befindliche cis männliche Antwort auf die von Frauen erlebte und angeprangerte Gewalt an?
Opfer abzuwerten, um die eigene Verantwortung nicht weiter zu hinterfragen, ist Frauen und Minderheiten nun beleibe nicht neu. Dabei sind drei Aspekte der Anprangerung des Opfer“status“ bemerkenswert: 1. Dass so getan wird, als würde man sich selbst, bezeichnet man sich als Opfer, vollumfänglich und nicht nur bezogen auf die konkrete Gewalterfahrung als entmachtet begreifen. 2. Dass von einem Zitat Flaßpöhler beinahe krampfthaft[en] [F]esth[alten] an dem [...] Opferstatus Zitatende die Rede ist, während die #metoo-Debatte simultan ein noch nie dagewesenes, weltweites Empowerment zum Vorschein bringt, bei dem Frauen (und auch Männer) die respektgebietende Stärke aufbringen, von beschämenden bis traumatischen Erlebnissen zu berichten, und aktiv fordern: Bis hierhin und nicht weiter! 3. Dass die Offenbarung der Opfererfahrung vor allem im Kontext queerfeministischer Anliegen kritisiert und angefeindet wird, während im Zusammenhang mit einem – was weiß ich – Diebstahl oder Messerangriff niemand auf die Idee käme, Betroffenen vorzuwerfen, sie begäben sich in eine Opferrolle, wenn sie von ihren Erinnerungen berichten.
Eigentlich stellt Flaßpöhler in ihrer Einleitung zunächst eine wichtige Frage, nämlich Zitat was Frauen zur Festigung der männlichen Macht, die immerhin keineswegs mehr rechtlich legitimiert ist, selbst beitragen Zitatende. Denn gewiss: Es wäre naiv zu behaupten, dass sich das Patriarchat allein durch männliches Zutun erhält; sind es doch nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die – nur um ein Beispiel zu nennen – unreflektiert Geschlechterrollen reproduzieren und eine vermeintlich geschlechtergerechte Performance ihres Gegenübers erwarten und postulieren.
Flaßpöhler allerdings behauptet nun, dass es Zitat Initiativen wie #aufschrei, #neinheißtnein und #metoo [sind], die trotz allen emanzipatorischen Willens patriarchale Denkmuster blindlings wiederholen und damit eben jene Wirklichkeit festschreiben, die sie beklagen: Gegen Belästigung ist die Frau machtlos; sie kann sich nicht wehren; das männliche Begehren ist allmächtig, das weibliche nicht existent Zitatende.
Mit Verlaub, aber: Seriously? Nicht nur, dass die Positionen der Initiativen derart verzerrt abgebildet werden, dass es ein Ärgernis darstellt: Flaßpöhler scheint auch nicht zu begreifen, dass es bei #metoo, #aufschrei etc. nicht um Begehren geht, sondern um Macht und Gewalt.
Um es noch einmal zu konkretisieren: Das Problem ist nicht männliches Begehren als solches, sondern ein weit verbreiteter Anspruch auf eine Überlegenheit gegenüber einer Person (zumeist einer Frau), der, wird ihm nicht genügt, mit übegriffigem, häufig sexualisiertem Verhalten behauptet wird. Heißt also: Der Ursprung von Belästigung und Missbrauch ist nicht die Lust aufs Vögeln, sondern auf Macht.
Im Weiteren beklagt Flaßpöhler, es fände innerhalb der #metoo-Debatte keine Differenzierung statt, ohne dass sie davon Abstand nimmt, sich selbst beharrlich in Pauschalismen zu ergehen. So moniert sie – Thea Dorn lässt grüßen! –, dass unter dem Hashtag sowohl von dummen Sprüchen an der Hotelbar als auch von körperlicher Gewalt berichtet wird und die begriffliche Zitat Unschärfe […] den Eindruck systematischer Unterdrückung erweckt und so eine althergebrachte Struktur weiter festschreibt, die da lautet: Männer beherrschen Frauen Zitatende, derweil sie den #metoo-Befürworter*innen, deren vermeintliche Positionen sie wiedergibt, lediglich mit einer Stimme sprechen lässt. Einer homogenen Stimme, die es so überhaupt nicht gibt.
Kommen wir aber zum Vorwurf selbst, der so und ähnlich bereits vielfach von Gegner*innen der Debatte erhoben wurde. In ihm offenbart sich, dass eine Hierarchisierung von Gewalterfahrung erwünscht ist. Allerdings werden dabei zwei wesentliche Dinge nicht bedacht:
1. #metoo stellt weniger eine Zitat Verallgemeinerungstendenz Zitatende als vielmehr ein Maßband dar, das die Bandbreite von Sexismus und dessen Auswirkungen abbildet: Angefangen mit überkommener Geschlechterperformance, Rollenerwartungen und Zoten, die hinzunehmen Frauen tagtäglich gezwungen sind, bis hin zum Extremfall, den sexuellen Missbrauch. Die Debatte zeigt uns, wie komplex sexistische, misogyne Strukturen sind, und dass erst eine seit Jahrhunderten existierende gesellschaftsfähige distanz- und respektlose Grundhaltung gegenüber Frauen, die mit angeblich harmlosen Anzüglichkeiten beginnt, den Weg für Vergewaltigungen ebnet. Denn respektlos verhält sich der, der sein Gegenüber nicht als gleichwertig wahrnimmt. Und wer sein Gegenüber nicht als gleichwertig wahrnimmt, hat zwangsläufig auch eine geringere Hemmschwelle, dessen Grenzen zu überschreiten. Wenn Flaßpöhler also abstreitet, dass sexuelle Belästigung ein strukturelles Problem verkörpert, und behauptet, sexualisierte Gewalt stelle eine Ausnahme dar1, gibt sie allein ihren eigenen blinden Fleck, den sie den #metoo-Befürworter*innen attestiert, zu erkennen. Die rechtliche Gleichstellung mag das eine sein; das reale gesellschaftliche Klima dagegen ist etwas ganz Anderes.
2. Eine Hierarchisierung von Gewalterfahrungen, die vorsieht, dass physische Angriffe verbalen/psychischen stets überlegen seien, ist schon deswegen äußerst fragwürdig, weil unterschiedliche Gewaltformen unterschiedlich erlebt werden. So kann sich jemand von einer Beleidigung weitaus mehr getroffen fühlen als von einem Schlag auf die Nase. Statt zu reglementieren, was als tiefe Verletzung durchgeht und was nicht, könnte man Betroffene vielleicht zur Abwechslung einfach selbst darüber befinden lassen, was sie gekränkt und erschüttert hat und in welcher Intensität. Verlangt dann aber halt mehr unangenehme Auseinandersetzung und Verantwortungsbereitschaft.
Dass #metoo einen Akt des Empowerments darstellt, weil ein Schweigen gebrochen wird, erachtet Flaßpöhler als Zitat fadenscheinige Argumentation, die allein auf ihre moralische Durchschlagskraft setzt Zitatende. Weil:
Was nützt nachträgliches Anprangern von Überschreitungen, die man hätte verhindern können?
Dass Widerstand für Frauen, zumal im beruflichen Kontext, nicht einfach ist, da sie vom Wohlwollen ihres häufig männlichen Umfeldes abhängig sind und Widerstand mit dem Risiko einhergeht, nützliche Kontakte oder den Arbeitsplatz zu verlieren, ist zwar etwas, das Flaßpöhler anerkennt, aber nicht als Rechtfertigung hinnehmen will, Unrecht über sich ergehen zu lassen, denn: Zitat es war noch nie einfach, Selbstbestimmung nicht nur zu fordern, sondern auch konkret zu leben. […] Die Geschichte wäre keinen Deut vorangekommen, wenn Menschen sich zu allen Zeiten mit dem Argument gerechtfertigt hätten, dass sie, würden sie sich wehren, Einbußen zu befürchten hätten. So funktioniert kein Fortschritt. Und so funktioniert auch keine selbstbewusste Weiblichkeit Zitatende.
In dieser prätentiösen Forderung nach Märtyrertum offenbart sich Flaßpöhlers Naivität als ausgesprochen privilegierte Person. Als weiße, heterosexuelle cis Frau, die es ganz nach oben geschafft hat – ohne, wie ich annehme, selbst als Einzelperson entsagungsvolle Kämpfe gegen eine Übermacht bestritten zu haben für den gesamtgesellschaftlichen Fortschritt, stünde sie doch sonst nicht dort, wo sie ist –, den #metoo-Anhänger*innen einen Strick daraus drehen zu wollen, dass sie ihre private berufliche Existenz nicht im Sinne des großen Ganzen geopfert haben, ist schon ziemlich schräg, um nicht zu sagen weltfremd.
Auch was die Verschärfung des Sexualstrafrechts anbelangt, konstatiert Flaßpöhler allein eine Fortschreibung eines Zitat alte[n], bestens bekannte[n] Weiblichkeitsstereotyp[s] Zitatende: Der weibliche Wille sei undurchsichtig, deshalb sähe sich die Gesellschaft dazu veranlasst, ein Gesetz zu erlassen, das die Frau vor verheerenden Missinterpretationen ihres Willens ausreichend schütze.
Dass es sich hierbei selbst bloß um eine Deutung Flaßpöhlers handelt, eine Deutung, die mehr als anfechtbar ist, übersieht die Autorin geflissentlich. Vielleicht wurde das Sexualstrafrecht auch deshalb verschärft, weil etliche Männer aufgrund des vorherrschenden patriarchalen Klimas bisher gut damit durchgekommen sind, die Bedürfnisse ihres Gegenübers zu übergehen und Signale zu ignorieren. Kann ich selbst ein Lied von singen, aber geschenkt.
Angelegentlich des Ja-heißt-Ja-Gesetzes, wie es in Schweden unlängst verabschiedet wurde, und dessen Einhaltung bei erotischen Interaktionen gibt sich Flaßpöhler ebenso ratlos wie zahlreiche Männer. Solle man alle fünf Minuten nach dem Einverständnis fragen? Und Zitat beziehe sich das zustimmende Kopfnicken auf diese Frage nur auf den Kuss oder doch auf das Berühren der Brust? Zitatende. Flaßpöhler meint, dass die juristische Konsensualregelung und das sich Verlieren beim Sex, respektive die Ekstase sich gegenseitig ausschließen, erliegt sie doch der utopischen Vorstellung, dass eine eindeutige Zustimmung bloß durch eine verbale Äußerung oder Kopfnicken und im Sekundentakt zum Ausdruck gebracht werden könne. Wem jedoch nicht sämtliche Sensibilität im erotischen Kontext abgeht, dürfte so einfache wie unmissverständliche Codes wie vehemente Selbstbeteiligung des Gegenübers durch die Erwiderung von Berührungen, Zupacken etc. verstehen. Im anderen Falle: Gut, dass es die Einvernehmlichkeitsregelung gibt.
Zuletzt ärgern die Einlassungen Flaßpöhlers zum dekonstruktiven Feminismus, dem sie eine Abwertung der „heterosexuellen Position“ unterstellt. Das passiert klassischerweise dann, wenn eine Gleichsetzung von Kritik mit Abwertung stattfindet.
Man muss sich schon fragen, wieso Flaßpöhler ihre Vorwürfe allein gegen Frauen richtet. Nicht zuletzt, wenn man bedenkt, dass sie einerseits nicht begreift, dass die Debatte von Gewalt handelt und nicht vom Begehren, und andererseits #metoo eklatant missversteht, wenn sie meint, die Bewegung verfolge das Ziel, Frauen zu Opfern zu machen (als hätten sich nur Frauen bei der Debatte zu Wort gemeldet). Wenngleich Flaßpöhlers Anliegen emanzipatorisch ist: Spätestens wenn Männer wie Denis Scheck „Die potente Frau“ empfehlen, muss an dem gewollt feministischen Ansatz des Buches etwas faul sein.
- 1. Mindestens jede zweite Frau dürfte wenigstens einmal in ihrem Leben eine bedrohliche Konfrontation mit einem Mann gemacht haben. Von Ausnahme kann da keine Rede sein.
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