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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Der Morgen kommt immer, stirbt nie

Hamburg

Von Urška P. Černe und Uljana Wolf übersetzt, ist Anja Golobs Gedichtband Anweisungen zum Atmen dieses Jahr in der Editon Korrespondenzen erschienen. Für die slowenische Lyrikerin nach Taubentext, Vogeltext, gemeinsam mit Nikolai Vogel im Münchner hochroth Verlag, schon der zweite Band auf Deutsch in 2018. Beide ergeben eine interessante Sicht auf die ungewöhnliche, fast spontan wirkende Art Golobs, Gedichte zu verfassen. Sie kümmert sich wenig um Stiletablierungen und Konsequenzen, wenn auch der zweite Teil, Der sechste Sinn, stärker in Richtung gemeinsame Textformation aufzubrechen scheint. Golob spricht aus. Wenn das Gedicht vorbei ist, ist es vorbei, wenn es woanders hinwill, bricht es auf. Wie Atmen. Die Texte hinterlassen das Gefühl, mit ihr unterwegs zu sein, in persönlichen Breiten, Stimmungen, Musik (Motto lyrics zu Beginn von Abschnitten). Körper, Baum, Sinne, vielleicht Prag. Man kann den Gedichten eine unmittelbare Romantik nicht absprechen, auch nicht den Humor. Golob meidet die Umschreibung genauso wie indirekte, abstrakte Verhandlungen. Die Kreisungen starten, es gibt den Punkt, wo es in Gang kommt.

Weißt du, was ich gerade tue?
In der prallrunden, reifen Nacht nehme ich dich, rolle herum,
niste in der Luft, dein stummes Hiersein, du bist nicht da,
ich meine, nicht physisch da, aber dein stummes Hiersein
macht mich zum wilden Raubtier, mit Blutgier, kettenlos,
seit Wochen keine Nahrung mehr.

Golobs Direktheit macht aus dem Gedichtband ein richtiges Album, mit tracks wenn man so will. Die Verfahren, die sie je Text anwendet, können wie improvisiert wirken, auf ein überraschendes Thema gestoßen, das dann wiederholt, variiert oder abgezählt wird, ein Sprechgesang. Wohingegen im nächsten vielleicht die Stille die Hauptrolle spielt, nur ihr Rahmen durch wenige Wortstriche festgelegt. Pflanzen und Herzen mäandern durch diese schmalen Anweisungen zum Atmen.

DER FINGER

pflanze finger
finger ist auch dünger
pflanz mich verschanz mich er verfault
auch der zweite auch jegliches das jahr kommt winter
kommt lenz kommt dann wieder herbst ich verschanz
mich geduldig ich werde ranzig
auch regen kommt und dünnt den fingerdünger
auch knochen zehn perfekte puzzle knochen
in erde lauter fingerzeig

Ein freiheitsliebendes Buch, dem man hoffentlich noch weitere zu folgen wünschen darf. Anja Golob hat eine charismatische Stimme, die auf eigensinnige Weise Unvorhersehbares vermag. In der Edition Korrespondenzen ist sie in guter Gesellschaft, ein prima Schritt.

Anja Golob
Anweisungen zum Atmen
Übersetzung:
Urska P. Černe
Übersetzung:
Uljana Wolf
Edition Korrespondenzen
2018 · 80 Seiten · 17,50 Euro
ISBN:
978-3-902951-33-5

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