Das Thema bullshit, mal wieder – aber gut
Im aktuellen Kursbuch – Nr 191 – geht es um Bullshit.Sprech – die einmal originelle Interpunktionsspielerei funktioniert heute als „eye catcher” nicht mehr recht, dafür ist die Aktualität des Themas desto evidenter, Trump ist mit dem Leitbegriff wohl fast völlig beschreibbar.
Nicht überraschend wird dabei auf Harry G. Frankfurts Essay rekurriert, ehe verschiedene Autoren verschiedene Aspekte beleuchten … wobei es manchmal Aspekte von anderen Themen eher sind, doch die sind manchmal so exzellent, etwa der Josef Früchtls (Idioten. Blödmänner. Assholes. Brauchen moderne Demokratien unverschämte Bürger?), daß das kaum stört. Dabei, das sei vorweggenommen, schwankt das Niveau insgesamt erheblich.
Zuerst wird ein AfD-Alphabet präsentiert, damit mal klar ist, daß bullshit ein Zuhause hat; das wäre (wie auch das Vorwort, mit Verlaub) weniger absehbar vielleicht besser geraten. Viel besser dann Maurice Summen zum Pop, jedenfalls anfangs.
Seit alles poppig sei, sei alles bullshit-affiner:
„Es geht im Pop nicht darum, etwas zu erklären, sondern darum, durch Konsum etwas zu erfahren, was man eben nicht verbalisieren kann. Da Pop fast gleichzeitig in der Kunst- und Musikwelt der 1950er-Jahre in Amerika und Europa entstand und in der Wirtschaft rasch einen cleveren Dritten im Bunde fand, wurde er in gewisser Weise zur Heiligen Dreifaltigkeit im Kapitalismus.
Wie man schon gleich zu Beginn meines Textausflugs sehen kann, lässt sich mithilfe des Begriffs Pop so ziemlich jeder Nonsens behaupten. Deshalb ist Pop auch ein stolzes Enkelkind von Dada, allerdings von Anfang an mit einem ausgeklügelten Businessplan.”
Der Fetisch Unterhaltsamkeit, oft wunderbar kompatibel für reibungslosen Kapitalismus, noch in den Diskursen, wo das Anliegen für Interesse hinreichend sein müßte, sei bedenklich. Politik, Wissenschaft? – „Break on through to the – Powerpoint-Präsentation”… Daß das heute schon im Schulsystem beginnt, mit kindgerechtem, notfalls den Gegenstand also bis zur Unsinnigkeit versimpelndem Unterricht, und zwar mindestens bis in die Einführungsproseminare der Universitäten, könnte man einmal diskutieren: Unfähigkeit oder böser Wille derer, die leichte bullshit-Opfer heranbilden? – Alles geht; und das ist wahr und die Lüge zugleich:
„Pop liebt am Ende immer die Vielfalt und hat die neue Mitte, von der uns auch die Merkel-Raute immer wieder erzählt, maßgeblich mitgestaltet und portionsweise von den Rändern in sein Zentrum getragen. So hat Pop unsere Welt mit seinen Protagonisten ein Stück weit toleranter und attraktiver gemacht.”
Doch:
„Pop, der kein Gegenteil mehr kennt […] und offenbar in der Lage ist, alles und jede(n) in sich aufzunehmen, lässt auf seinen Kreuzzügen des Glücks […] unfassbar viele Menschen auf der Strecke. Oder lässt sie erst gar nicht teilhaben. Pop kostet eine Stange Geld.”
Wobei man hier präzisieren müßte, daß der Geschmack da hilfreich ist: Pop ist nicht immer gleich teuer, Pop wäre eher, daß das schön ist, was einem gefällt, was soziologisch erratbar ist. Im Plattenbau Webern, während die Aristokratie den Donauwalzer schätzt? Nein, eher nicht. Jüngst las ich, daß Coldplay-Fans klüger als die von Rihanna seien. Folgt etwas? „Literatur und Schnullibulli. »My Artpop could mean anything«”… Ein wenig gilt das da schon vom Text, der abzugleiten droht.
„Pop ist nie böse! Pop ist das blühende Leben. Auch wenn es den Tod verhandeln muss. Wie etwa Nick Cave auf seinem letzten Album den tragischen Tod seines Sohnes. Pop macht ein Event aus dem Tod. Und Kondolenz ist längst fester Bestandteil gelebter Pop-Kultur geworden.”
In der Tat, Pop macht den Tod obszön; als ich den Nachruf auf einen Freund von einem Computer einer Berliner, nämlich der Zehlendorfer Gottfried Benn-Bibliothek aus online lesen wollte, beschied mir das System, daß die Seite wegen Pornographie gesperrt sei. Das war falsch, aber vielleicht auch nicht.
Summen aber legt da längst eine Art flockigen Adorno zum Thema vor, dabei, und das mißbehagt vielleicht doch, selbst schnoddrig-poppig: „Der schnöde Rest ist das Problem der Leser.” Der Rest könnte sein, was bleibt, wenn Sprache poppig wurde … ohne einen anderen Aufsatz im Heft, von Seeßlen, der quasi einspringt, wäre Summens Text desaströs.
Dann gibt es eine Anleitung zum bullshit, die etwas lahm ist, Ironie ist eben nicht, das Gegenteil zu behaupten, wie es nicht originell ist, was da an Vorschlägen vorgebracht wird. Mit Georg Seeßlens Sprache der Verblödung bessert es sich wieder. Er spricht u.a. das Problem des Ressentiments an, als welches Kritik heute denunziert wird:
„Und während die Verblöder im Gespensternebel von »System«, »Struktur« und »Markt« verschwinden, dürfen die Verblödeten auf keinen Fall Verblödete genannt werden, denn das wäre arrogant, intolerant und unliberal.”
Bullshit zu beschreiben hieße, die „Entgrammatikalisierung der Verblödung zu beschreiben”, dem folgt also kein Text, sondern ein Katalog: „Entleerung” oder „Transformation” von Begriffen sei vorzubeugen, als deren Mittel der „Verformelung” („Begriffe und Begriffsverbindungen werden zu Floskeln und Riten verdichtet”), aber auch die „Koketterie”, die in Wahrheit ein Ressentiment nach oben nachäfft – und noch manches. Am Ende bleibt statt des Diskurses Geplaudere. Und dort, wo es um Fakten dann gehen müsse, die man mangels Sprache nicht einmal diskutieren kann, was bleibt da? – „Verblödete Sprache ist die Basis von Gewalt.”
So geht die Ausgabe weiter, mal hochkarätig, mal Mittelmaß … und Früchtls Text sei hier nochmals hervorgehoben, der am bullshit den besieht, der sich dessen und überhaupt des Unangemessenen bediene: den Unverschämten.
Dieser sei das ja vielleicht aus „Überzeugung”, er glaube dann, „gute – moralische – Gründe für diese Anmaßung zu haben”; dennoch ist er „nicht in der Lage, andere anzuerkennen, das heißt, sie als ihm gleichgestellt anzusehen”, ohne „Außenperspektive, die ihn lehren könnte, wo seine Grenzen liegen”. Das ist das Schlimme daran, aber zugleich ist Unverschämtheit mit „Vorsicht” zu beurteilen, nämlich „bezüglich politischer Standards und standardisierter Denkformen”:
„Die sozial Ausgeschlossenen haben oft gar keine andere Wahl, als da gegen mit grenzüberschreitenden, provozierenden und dadurch tendenziell unverschämten Protestformen vorzugehen.”
Früchtls Fazit:
„Der unverschämte Bürger (unashamed citizen) ist demnach für eine Demokratie ebenso notwendig wie gefährlich. Er zeigt sich auf der progressiven wie auf der konservativen bis reaktionären Seite, in raffiniert provozierenden politischen Aktionen wie in grölenden Pöbeleien gegen die etablierte Politik, im demonstrativen Einfordern wie im demonstrativen Verhindern von Minderheitenrechten, im mutigen Verteidigen der Zivilgesellschaft gegenüber Autokraten wie in der Vulgarität des politisch-kulturellen Proleten. Unverschämtheit gehört zur Demokratie wie der mündige, für sich selbst sprechende und auf Einlass in den Raum der Macht drängende Bürger”,
so Früchtl in seinem den Raum der Diskussion so eher erweiternden als verlassenden Essay.
Das Heft beschließt eine Zitatcollage, spöttisch ohne Ende und durchaus unterhaltsam, von Kerstin Hensel. Zitate, in der Tat:
„Anmerkung: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, realen Vorkommnissen und Tatsachen sind beabsichtigt und nachprüfbar.”
Wie gesagt, manches am vorliegenden Band ist exzellent, manches nicht; das Exzellente rechtfertigt aber unbedingt den Griff zur vorliegenden Ausgabe.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben