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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Auf der Suche nach einer besseren Verbindung

Hamburg

Sie nennen sich „Code-Zauberer“ und „Data-Gurus“, ihr Job ist ihre „Mission“, und natürlich sind sie weit mehr als nur ein Team – sie sind „eine große Familie“. Dieses familiäre (um nicht zu sagen sektenartige) Wir-Gefühl zelebrieren sie beim gemeinsamen Grillen auf der Dachterrasse, beim Ausflug in den Hochsteilgarten, oder beim entspannten Rumhängen im Ruhe-Raum, in dessen Aquarium Goldfische in den Farben des Firmenlogos herumschwimmen. Die Rede ist, natürlich, von einem IT-Startup. Was da genau programmiert und vermarktet wird, belässt die Greifswalder Autorin Berit Glanz (Jahrgang 1982) im Vagen. Vielmehr geht es ihr um die Atmosphäre permanenter Geschäftigkeit, getragen von einer geradezu spirituellen Identifikation mit den Unternehmenszielen – eine Silicon-Valley-zertifizierte Methode für höchste Effizienz, die längst auch nach Berlin geschwappt ist, wo ihr Romandebüt „Pixeltänzer“ spielt. Innerhalb dieser satirisch angelegten Versuchsanordnung verweist sie die Ich-Erzählerin Elisabeth, genannt Beta, auf eine stellenweise etwas unglückliche Insider-Outsider-Position: Mal scheint Beta unreflektiert aufzugehen in ihrer Rolle als „Junior-Quality-Assurance-Tester“ mit vom Chef bescheinigter „Can-Do-Ausstrahlung“, dann wieder betrachtet sie das „Wir“, dessen Teil sie ist, mit einem distanzierten Schmunzeln, das Glanz anscheinend der Mehrheit ihrer Leser_innen unterstellt. Heraus kommen viele treffende, auch witzige Beobachtungen („Die Backend-Developer hängen an ihren Trail-Mix-Beuteln, als müssten sie die letzten Höhenmeter der Eiger-Nordwand überwinden“), ohne allerdings bekannten Startup-Klischees etwas wesentlich Neues hinzuzufügen. Holprig wird es immer da, wo Beta unvermittelt beginnt, von außen zu berichten, ohne dabei gänzlich aus dem „Wir“ herauszufallen, was dann z.B. so klingt: „Die Besessenheit unserer Branche für Projektmanagement bis in die allerprivatesten Bereiche ist wirklich beeindruckend.“ Außen vor bleibt dabei die kognitive Dissonanz dieser Bruchstellen – anders als etwa in Julia von Lucadous Nahzukunfts-Dystopie „Die Hochhausspringerin“, die ihre Protagonistin durch ein ganz ähnliches Szenario freiwilliger Selbstausbeutung schickt, dabei jedoch ein kaum greifbares, dafür umso nachhaltigeres Unbehagen schafft.

Der Plot von „Pixeltänzer“ ist bestechend schlicht: Über eine App lernt Beta den mysteriösen Hacker Toboggan kennen, der mit ihr eine virtuelle Schnitzeljagd zu spielen beginnt. Mittels versteckter Links verschafft er ihr Zugang zu Textblöcken, die im Folgenden eine Art Roman-im-Roman bilden. Darin geht es um Lavinia Schulz, eine reale, wenn auch lange in Vergessenheit geratene Künstlerin, die in den 1920ern Jahren expressionistische Ganzkörpermasken erschuf, um dann völlig verarmt ein tragisches Ende zu finden. Eine durchaus reizvolle Konstruktion, lassen sich anhand der rund hundert Jahre auseinanderliegenden Biografien zweier im weitesten Sinn kreativer junger Frauen doch allerlei spannende Fragen erörtern: Wie verhalten sich Transparenz und Verhüllung zueinander? Wie viel Opferbereitschaft ist nötig, um etwas wirklich Neues zu erschaffen? Was bedeutet, im Zeitalter disruptiver Technologien, überhaupt noch „Innovation“? War es damals, ist es heute möglich, sich radikal jeder Verwertungslogik zu entziehen?

Parallelen und Unterschiede zwischen den Epochen verdeutlichen insbesondere die Passagen, in denen Beta mit zwei Freunden nach Lübben fährt, in der Hoffnung, Lavinia irgendwie näherzukommen, indem sie ihren Heimatort besucht. Doch ist die Enge, die Lavinia aus Lübben wegtrieb, im digitalen Zeitalter kaum noch zu spüren – kontinuierlich posten die drei Fotos von sich unter dem Hashtag #LazyLübben, erhalten Kommentare von Freunden und lesen Nachrichten aus aller Welt. Einzig im Ferienhaus ist das WLAN schwach, und Beta wandert immer wieder rastlos hin und her, das Smartphone in der Hand, „auf der Suche nach einer besseren Verbindung“ – womit natürlich der Anschluss an die virtuelle Welt gemeint ist, und nicht Lavinias möglicherweise noch irgendwo im Realen hängende Präsenz.

Trotz solcher subtil ironischen Twists lässt sich Betas Faszination für Lavinias Geschichte leider nur schwer nachvollziehen, was v.a. daran liegt, dass der Roman-im-Roman ziemlich blutleer bleibt. Etwas lustlos, wie es scheint, hat Glanz die biografischen Eckdaten, die sich auf Wikipedia finden lassen, mit ein bisschen Handlung verziert und Informationspartikel in Dialoge verstaut, die dementsprechend unnatürlich klingen („Meine Mutter redet unvermindert davon, dass sie selbst am liebsten Violinistin geworden wäre“). Die Atmosphäre der 1920er indes wird mehr behauptet als heraufbeschworen, mit schulbuchhaft verkürztem Vokabular wie „aggressive Aufbruchsstimmung“, „geprägt von Streiks und immer wieder ausbrechenden gewalttätigen Auseinandersetzungen“. So bleibt über weite Strecken das Enträtseln der codierten Zugänge spannender als der Inhalt, der sich bei Erfolg auftut.

Kapitelüberschriften wie „WFE - Wait for Event" oder „SEV - Set Event", Einschübe zu IT-Begriffen und ideologisch aufgeladene Startup-Zitate verheißen eine komplexe Konstruktion, die all diese Stränge irgendwie sinnig zusammenführen wird – ein Versprechen, das die beiden eher unmotiviert nebeneinander her laufenden Geschichten jedoch nicht einhalten.

Als hätte sie gespürt, dass die Rückblenden in die 1920er Jahre nicht recht tragen, lässt Glanz ihre Protagonistin nach jedem Textabschnitt Briefe an Toboggan schreiben, in denen sie das Geschehen rekapituliert und die Verbindung zu ihrer Gegenwart – noch einmal für alle zum Mitschreiben – ausbuchstabiert. Damit tut sie dem Roman keinen Gefallen; eher noch verstärkt die nachträgliche Aufbereitung in mundgerechten Häppchen den Eindruck, dass die Autorin weder ihrem Text noch ihren Leser_innen besonders viel zutraut.

Reichlich naiv kommt schließlich auch das Finale daher: Angespornt von Lavinias unkonventionellem Künstlerleben, möchte Beta aus dem System ausbrechen, etwas völlig Schockierendes, Radikales tun. Und was ist der rebellischste Akt, der ihr und ihren Freunden einfällt? „Eine App zu bauen, die niemand kaufen will“.

Spätestens seit der zweiten Folge der britische Science-Fiction-Serie „Black Mirror“ („Das Leben als Spiel“, 2011), in der eine subversive und durchaus blutig gedachte Aktion sogleich als Marketing-Gag umfunktioniert wird, dürfte das (Über-)Lebensmotto des Spätkapitalismus „Alles ist Ware, alles kann man verkaufen“ im Mainstream angekommen sein. Dass diese Erkenntnis eine gewiefte Programmiererin wie Beta im Jahr 2019 (oder einer nahen Zukunft) aus heiterem Himmel trifft und in eine Sinnkrise zu stürzen vermag, ist doch etwas verwunderlich. Außer natürlich, die Erzählerin war weitaus tiefer in die 1920er Jahre abgetaucht, als es der Leserin anhand der in „Pixeltänzer“ verbauten Textblöcke gelang.

Berit Glanz
Pixeltänzer
Schöffling Verlag
2019 · 256 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-89561-192-6

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