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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

vier mal auszeiten

Hamburg

Post aus dem nahen Ffm: Vorliegt der 17. Band der Reihe „staben“ im Gutleut Verlag, und nach Öffnen des Couverts: allein vom Reihenäußerlichen wäre zu Schwärmen & ich tue das mit einem Zitat von Hendrik Jackson, der sich mit den grafisch anspruchsvollen,  abnehmbaren Plakatumschlägen folgendermaßen (in einer Art Verlagsportait) auseinandersetzte, sie seien:

abzunehmen und auseinander zu falten – und ob die hier nur Umhüllung, Zierde oder, als vermeintlicher Nebenschauplatz, ein das Hauptwerk bemäntelnder Umschlagsplatz für mehr als zweit- oder nachrangige Gedanken und Gedichte sind, ist gar nicht so klar. diese Umschläge erweitern das Leseerlebnis, oft befinden sich gerade auf diesem „Umschlagsplatz“die schönsten Gedichtlein und ausplissierbarsten Gedanken. und auch so gefaltet ist der Plakatumschlag, dass das obere Blatt gerade oben so viel Zeile freilässt, dass dort die untere Faltung hervorlugen kann, auf dem wie eine Gedichtzeile nun ein „Kopftextband“ läuft: das alles macht großes Vergnügen und zeigt, wie man mit einfachen Mitteln ein Buch gestaltet, das die klassischen Hierarchien unterläuft, ohne die Lesegewohnheiten, das Lesevergnügen zu desorientieren oder zu zersplittern.“

Hier zeigt sich, daß das Verlagshaus wohl ebenso Künstler, ebenso Typografen und erstklassige Layouter beschäftigen muß – was sich im Falle des Gutleut Verlags auf einen einzigen Mann reduziert: Verleger Michael Wagener, der noch dazu auch literarischen Mut besitzt. Es ist unglaublich, was und wie Michael Wagener in hartnäckiger Regelmäßigkeit alleine wuppt, wo andere eine Staff im Hintergrund haben.

Und wieder liegen in diesem Herbst Bücher vor, zu denen ich mindestens eine Notiz beisteuern möchte, weil wieder extrem beachtlich und in realiter dann leider doch wieder viel zu wenig beachtet von literaturbetrieblichen Instanzen. Das muß sich ändern!

„auszeiten“, das erinnert mich spontan an ein Verb wie „auszeilen“, so nennt man bei einer Neuanlage eines Weinbergs das Einrichten und Festlegen der Pflanzzeilen, also ein Tunwort mit beigesetzter Vorsilbe. Ich lese den Buchtitel (vorsätzlich) als „vier mal auszeiten“, vier Mal Dinge dazu bringen, daß sie „zeiten“ (als Verb gedacht), also daß sie geschehen und ihr Geschehen offenkundig machen, vier Kapitel des Buches, in denen von den basics bis zur Unruhe geschieht, was ein Leben hergibt, in die Sprache hineingepackt („nehme dieses innenleben zum anlass / nehme dich zur frau und einen namen / nehme die dazugelegten kirschen“).

Caroline Danneil verschluckt bisweilen Worte, manchmal die bestimmenden Artikel und auch Subjekte, fällt aus der Vertrautheit der bestimmenden Sprache, begleitet von fliegenden stürzenden Menschen, in der Luft schwebend (wie immer wunderbares artwork von Michael Wagener u.a. aus der Serie „die kartografie der vögel“), im Sprung befindlich, deswegen knapp, manchmal schnell und atemlos und auch haltlos: „spricht das glas dir als becher auf dem tisch uns ein brett“. Was getan wird, arrangiert unser Sein und schiebt die Dinge hinüber ins nächste Terrain. Sprache, das ist wesentlich, ist eine Beitat, ein Begleitbrief, nicht die Hauptsache, sondern das Feld, auf denen sich Sachen behaupten („botschaften aus leis / geknüpft an heimem ort“ genauso wie „kursive beobachtungen“, einstechen, statt in See, und dabei „jede lücke ich nennen“). Was hier passiert ist kein Gemachtes, es macht sich seine Passagen, weil es passiert.

Es geht von songhaften Strukturen (luftloses licht II) zum singsang (dort zum „singsand“), vom blockgesetzten Paket zum mageren Photon, kurze Anschaltung, die Hand noch an der Zugschnur. Dabei immer vor Ort, aber niemals ge- oder befangen, selbst wenn es ernst wird, ist der Satz nicht der Büßer, sondern ein Freund. Viel sprachliches Geschick ohne Pomp oder Laute, kleine Melodien noch und noch: „zwischen fingerdünnen ästen / sacht hinabgestrichenes oval / haare arme sinnlos winter“ - das lebt zusammen „wo im umriss / dunkle fülle ruht“.

Ja, es gibt „seltsame tage“ und es wird erzählt, und die Erzählungen bestimmen das sprachliche Geschehen - nicht umgekehrt-, was das Buch flüssig macht, narrativ, wohltuend persönlich, mitteilsam statt gefixt an geteilte Mittel. Also wieder ein wunderbarer, ernstzunehmender Lyriktitel aus dem Gutleut Verlag. Und wieder ein Lebenszeichen aus einer wunderbar lebendigen Lyrikszene in Ffm und Umgebung mit einem Debütband, der komplett überzeugt.    

Caroline Danneil
hinter hand vier auszeiten
gutleut verlag
2019 · 112 Seiten · 24,00 Euro
ISBN:
978-3-948107-12-3

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