In den Stimmen der Grillen der Alarm
Erneut legt die Edition Blau eine Neuübersetzung von Cesare Pavese auf. Das Haus auf dem Hügel, übertragen von Maja Pflug, wie bereits Der Mond und die Feuer, ist eine phänomenale Arbeit. Paveses verknappte, enorm rhythmische und präzise Sprache lebt und schafft es auf knapp 200 Seiten, mit ihrem Minimalismus einen hohen Kontrast zum schockierenden Chaos der Handlung beziehungsweise der Handlungszeit aufzubauen. Corrado, Lehrer und – das Nachwort verrät es – alter ego Paveses, schlägt sich durch die letzten Kriegsjahre in Turin. In ständiger Bedrohung von sowohl den Deutschen als auch den Alliierten als auch den Schwarzhemden im eigenen Hof. Eine sich auflösenden Welt, in der Bomben, Misstrauen, Verstecke und ungeahnte Komplizenschaft wie auch überraschende Wiedersehen den "Alltag" ausmachen. Regelmäßig flieht der Melancholiker Corrado, begleitet von seinem Hund Belbo auf die Hügel außerhalb der Stadt. In einem Haus trifft er auf Fluchtgefährten, Leute aus der Stadt u.a. seine Ex-Geliebte Cate und deren Sohn Dino. Er erinnert sich. Erzählt, bruchstückhaft. Erfährt, dass Dino sein Sohn ist.
Cate und ich zogen das Boot ans Ufer, stiegen aus und spielten im Gebüsch Ringkampf auf dem Gras. Viele Frauen schüchterten mich ein, aber Cate nicht. Mit ihr konnte man leicht schmollen, ohne die Initiative zu verlieren. Es war ein bisschen wie im Wirtshaus, wenn man zu trinken bestellt hat: Man erwartet keinen großartigen Wein, aber man weiß, dass er kommt. Cate saß da und ließ sich streicheln. Dann bekam sie Herzklopfen, weil sie fürchtete, dass uns jemand sehen könnte. Es gab nicht viele Worte zwischen uns, und das ermutigte mich. Es war nicht nötig, dass ich viel redete oder versprach. "Wo ist der Unterschied", sagte ich zu ihr, "zwischen miteinander ringen und sich umarmen?" So nahmen wir uns ein-, zweimal auf dem Gras, eher unbeholfen. Es kam der Tag, an dem wir uns schon in der Straßenbahn sagten, dass wir hinausfuhren, um zusammen zu schlafen. Als uns eines Morgens kurz nach der Ankunft ein Gewitter überraschte, bedauerten wir, während wir wie verrückt zurückruderten, die verpasste Gelegenheit.
Inmitten des aufkochenden Bürgerkriegs zwischen sich formierender Resistenza und den Faschisten hält Corrados Fluchtbewegung an. Auf ein kurzes Intermezzo in einem Internat, in das auch Dino untergebracht wird, entschließt sich der illusionslose Corrado, das Dorf seiner Kindheit, Po-aufwärts, aufzusuchen. Doch auch hierhin, abgelegen und archaisch, ist der Krieg bereits gedrungen. Er erfasst alles und nur für die Toten ist er vorbei.
Als ich ihn erreichte, war die Schießerei noch heftiger und qualvoller. Diese dumpfen Schläge waren Handgranaten und sie explodierten gedämpft. Das Knallen der Kugeln dagegen klang wie das Stöhnen menschlicher Stimmen.
Der Bauer hatte seine Ochsen quer ins Röhricht getrieben. Er sah mich kommen. In der tödlichen Stille, die folgte, machte er einen Satz, um sich besser zu verstecken; er war alt und hing hilflos angeklammert im Schilf. Dann fing ein Ochse an zu brüllen.
"Vorsicht", sagte ich zu ihm, "versteckt Euch." Ich sprang in das dichte Schilf und schob den Mann vor mir her.
Doch die Schlacht war zu Ende. Alles schwieg plötzlich auf der Straße und dort oben. Ich lauschte, ob die Motoren wieder ansprangen, ob sich jemand rührte.
Der Bauer stand gebeugt zwischen seinen Ochsen. Um sich besser zu verbergen, drängte er sie ziellos weiter ins Dickicht; das Schilf knackte; halblaut rief ich ihm zu, er solle aufhören.
Da setzte sich der Alte hin, mit dem Halfter in der Hand.
Geschrieben 1948 war dieser Roman Paveses, pessimistisch und genau beobachtet, sein Durchbruch. Ein bleak statement der italienischen lost generation und ihrer Galionsfigur. Eine sehr lesenswerte Arbeit der Edition Blau, ein hartes und unbarmherziges Literaturstück über mythische Entzweiung und nicht enden wollende Gewalt unter den Lebenden.
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