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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Verdunstende Quallen

Hamburg

                der bahnsteig zu
meinen füßen ein schwimmender
estrich ich weiß nicht
und wusste nie wie
man abschied nimmt

Diese Zeilen aus dem titelgebenden Gedicht bewegliche ziele im gleichnamigen neuen Gedichtband von Christoph Danne setzen die Stimmung, aus zumindest den ersten beiden Dritteln der Sammlung, an den Horizont. Es wird Abschied genommen, auch wenn man nicht weiß wie oder von was. Momente wie Fototypien, ganz einfache und beiläufige (zunächst), aber eigentlich ist es nicht beiläufig. Irgendetwas tickt. Bei Danne ist die Sprache vollkommen zurückgenommen, dient minimalistisch dem Bildaufbau und kaum drin, ist man schon wieder raus und es bleibt den Lesenden dieses Ding im Gedächtnis, das Gedicht schon eine Erinnerung. Kurz waren wir zusammen.

Wäre da nicht die sinnliche gestaltete und ausgezeichnet (Hand-) gesetzte Veröffentlichung selbst. Corvinus Presse, angenehmes Papier, Faden, großes Format, wildgestrichelte Graphiken von Frank Wildenhahn. Ein richtig stimmiges Druckerzeugnis, das viel Platz diesen Mini-Versen von Danne lässt. „streife um bäume/ steine küsten“. In urban wastelands heißt es:

jetzt auf dem parkdeck oben
leuchtet die stadt wie paris
und alles schwankt und
funkelt und blinkt
unter unseren blicken

Die kondensierten Gedichte sind unverstellt, geben sich selbst ihrer Situation hin, vermeiden Stelzen, wollen sich nie höhergeben. Gutverfertigt und heillos, möchte man fast sagen, „nach innen dringende augenaufschläge, die treffen“, konstatieren sie selbst an einer Stelle. Nicht unähnlich im Sprachmanagement den Gedichten Lütfiye Güzels. Die Anschaulichkeit von Erlebnissen.

Das letzte Drittel des Bandes bringt die von früheren Sammlungen bereits bekannten Reisenotate Dannes an, führt sie fort. Der Moment auf Reisen, der Moment schläft, der Moment ist nicht erreichbar. Bei in grenznähe schreibt Danne:

wenn das mittelmeer
im rückspiegel versinkt
dann ist es nicht mehr weit
doch fürs erste
nimm deinen anfangsbuchstaben
in eine bierlache auf den tresen gemalt
neulich nachts
als pfand

Was Danne auffährt, ist ein Album sich zeigender Lichter. Intim, melancholisch lassen sie einen teilhaben an der Sache. Nichts schreit einen didaktisch an oder kommt von hinten. Vielleicht sind es die Torfen „schrumpfender Reservate“, in die man lesend eintreten darf. Die ok-Kammern, in denen sich eine Inszenierung abspielt.

alles braucht seinen himmel
 

wenn du mich heute nicht
aus dem bett holst
mich nicht in eines
der lärmigen straßen
cafés mitnimmst
wo wir modischen kaffee
trinken zu drei euro zehn
dann esse ich mittags kalte
ravioli aus der dose und
schaue den ganzen
tag eric rohmer filme
später dann wieder gin und
stille während
ich die elstern
beobachte wie sie
ihr nest richten
im kahlen baum

Dannes Blick für Details und wie man sie benutzt, um den Rücken der Welt zu vergrößern, in bewegliche ziele halten sie die perfekte Schwebe aus Buchkunst und Tupf. Die Unterschwelligkeit ist gegeben. Und zwar nicht durch Vereckung, sondern in rundwegs romantisch Zoomen und Abdrücken. Die Gedichte des im Spätherbst 2019 von Hendrik Liersch gedruckten Buchs sprechen so sehr für sich, dass hier nur analog zu sagen bleibt: Der Band ist zu empfehlen.

(Absolut kein E-Book.)

körper und linien
 

ich denke an
die rhizomstruktur der fadenwesen
die ich als junge im unterholz erforschte
zartweiße kanäle ohne zentrum
an die spinnennetze der metrolinien
die ich einst studierte
rot blau grün gelb
odessa shanghai chicago
als ich dein nachthemd betrachte
wie es sich hebt und senkt dieses
muster aus rhizomen
spinnennetzen fadenkreuzen
rot blau rot blau
hier am sonntag gegen elf
und jetzt

Christoph Danne
bewegliche ziele
Corvinus Presse
2019 · 30 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-942280-50-1

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