Und lächelte schwermütig
Mit Psalm 44 liegt ein früher, kurzer Roman von Danilo Kiš erstmalig übersetzt vor. Übersetzerin Katharina Wolf-Grieshaber schafft ein brodelndes Textmasch, das trotz der zunächst „einfach“ anmutenden Geschichte um eine Lagergeburt mit Flucht aus Birkenau 1944, äußerst komplexe Narrativstrukturen (mit Rückblenden, Szenenwechseln) und verschachtelte Satzgebilde anbietet. Es ist, wie nicht anders zu erwarten bei dem Setting, beileibe kein einfacher Roman. Die Flucht, die Romanze von Maria, ihre Herkunftsgeschichte mit lange vor der Deportation bereits erlittenen Demütigungen und Diskriminierungen, entlädt sich wie ein unruhiger Wirbel aus Splittern und Fetzen. Rasch hintereinander geschnitten, mit gefrierenden Dialogen und einigen schwerharten Szenen völliger Entmenschlichung des Handelns. Es ist ein Buch gegen das Vergessen, alleine durch seinen Realismus, und bei aller „Verspätung“ der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung, geschrieben 1962, natürlich nie zu spät, im Gegenteil besonders und gerade heute so wichtig wie unerlässlich, das Geschehene nicht ruhen zu lassen. Auch wenn die Geschichte sich, unabhängig vom brennenden Horror (head shrinking, wie MacNeice schreibt) ihrer Zeit, eher auf einer Melos-Ebene sich abspielt.
Doch aus der Perspektive eines Romans, der Literatur an sich, zusätzlich versehen mit den Hintergrundinformationen des kümmernden Nachworts von Ilma Rakusa, die sich seit langem für das Werk von Danilo Kiš engagiert, wird klar, dass irgendetwas an dem Roman tatsächlich nicht einfach „einfach“ ist. Kis schrieb dieses Buch explizit für einen Wettbewerb. Das schmälert seine Leistung nicht, vor allem nicht den wundersam erschaffenen Realismus. Es macht aber klar, dass hier jemand noch auf der Suche war. Das vermeintlich schwirrende, geschnibbelte ist nicht unbedingt ganz der Kiš, den man bald kennenlernen sollte. In kürzester Zeit „runtergeschrieben“, nur ein Monat, für einen Wettbewerb der Vereinigung jüdischer Gemeinden in Belgrad. Um zu gewinnen? Mithin steht er, wenn er auch eine packende, starke, wichtige Fingerübung darstellt, als ein Schritt auf dem Weg Danilo Kišs Danilo Kiš zu werden. Denn es scheint klar, um mit Mo Yan zu sprechen, dass der Autor „den Roman nicht in sich trug“. Wohl aber seine Absichten. Das, was eine Stimme braucht.
Ilma Rakusa schreibt:
Viele Fäden laufen in diesem frühen Werk zu Kišs späteren Büchern. Der dokumentarische Ansatz verbindet Psalm 44, der in einem deutschen KZ spielt, mit dem fünfzehn Jahre später entstandenen Roman Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch, der die Abgründe der sowjetischen Lagerwelt ausleuchtet. Wobei Kiš im Grabmal ausgiebig von einem Verfahren Gebrauch machte, der er „ironischen Lyrismus“ nannte und das darin bestand, Gefühlsbetontheit beispielsweise durch stichwortartige Aufzählungen zu konterkarieren. In Psalm 44 fehle es an ironischer Distanz, äußerte er einmal selbstkritisch. Die Intrige sei „zu kräftig, zu pathetisch“. Ironie mag fehlen, nicht aber Distanz. Kiš vermeidet simple Eingängigkeit [...]
Dass Kiš schon zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere an den Holocaust erinnerte, zeigt, wie sehr ihn das Thema [...] umtrieb und wie wichtig es ihm war, gegen das Vergessen anzuschreiben. Shoa, Überleben, Anderssein – in Psalm 44 ist angelegt, was Kis ein Leben lang beschäftigen sollte, als Verpflichtung und Obsession.
Der Roman geht seinen Weg. Er zeigt, was Kiš schon als 25-Jähriger zu schaffen im Stande war, und trotzdem ist es mehr. Eine Geschichte aus einer entsetzlichen Zeit, an deren Verbürgtheit zu zweifeln heute vielerorts Menschen Spaß zu machen scheint. Psalm 44 ist als Dokument eines (fiktional) realen Zeitdokuments weitaus anders gelagert und wiegt darum schwerer als die „literarische Sicht“ auf einen gelungenen Wettbewerbsbeitrag. Es ist ein aufrichtiges Bezeugen mit den Mitteln des Schreibenden. Eine Pflicht einzuschreiben, das hat Kiš getan.
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