Der große unsichtbare Danilo Kiš
Groß und unsichtbar lautet der Untertitel der Einleitung und Mark Thompson, der damit eine Beschreibung Danilo Kiš‘ durch dessen Zeitgenossen Milan Kundera aufgreift, erläutert im Folgenden den Grund dieser Beurteilung. Denn trotz zahlreicher prominenter Bewunderer wie Susan Sontag oder Salman Rushdie blieb Kiš im angelsächsischen Sprachraum einschließlich den USA wenig bekannt und in Großbritannien sind seine Bücher schon länger nicht mehr lieferbar. Auch in Deutschland zählt Kiš eher zu den vernachlässigten Autoren. Daher ist es umso bemerkenswerter, dass sich der Hanser Verlag nun dem 1989 verstorbenen Autor angenommen und außer der Biografie vor einem Jahr auch Familienzirkus (2014), die großen Romane und Erzählungen, herausgebracht hat.
Biograph eines vernachlässigten Autors nennt sich Thompson, der an der Oxforder Universität lehrt. Er gesteht, dass er Angst habe, seine Arbeit könnte vergeblich sein. Aber die große Literatur seines Sujets lohne der Mühe, auch der besonderen Mühe mit der Form: Um der Wahrheit nahezukommen, sollte ein Buch über Kiš experimentell sein, enzyklopädisch und mit einem Hauch Epigonentum. Die Lösung für diesen Anspruch fand Thompson in einer autobiographischen, nie veröffentlichten, etwas mehr als zwei Seiten langen Miniatur, die Kiš für ein amerikanisches Lexikon verfasste. Abschnitt für Abschnitt nimmt Thompson nun diese knappen Angaben als Wegweiser durch das verschlungene Leben des Autors und ordnet sie in umfassende politische und historische Zusammenhänge ein.
Danilo Kiš wurde 1935 im serbischen Subotica in der Nähe der ungarischen Grenze geboren. Er war der Sohn eines ungarischen Juden und einer christlich-orthodoxen Mutter aus Montenegro. Mit vier Jahren wurde er getauft, was ihm nach eigenen Angaben 1942 bei Pogromen in Novi Sad, wo die Familie lebte, das Leben gerettet hatte. Die Flucht nach Ungarn gewährte seinem Vater nur kurzen Aufschub, 1944 wurden er und alle jüdischen Verwandte in Auschwitz umgebracht. Diesem verschwundenen Vater und seinen eigenen Wurzeln spürte Kiš in seinen zwei bedeutendsten Prosatexten Garten, Asche und Sanduhr nach. Wie allen Werken widmet Thompson auch diesen beiden ausführliche Inhaltsangaben und Interpretationen. Diese Zwischenspiele sind farblich abgesetzt, führen Textbeispiele und Interpretationen an. Dadurch erhält auch der Leser, der bisher noch keine oder wenig Romane und Erzählungen des Autors gelesen hat, eine Vorstellung von den Erzählperspektiven, den Metaphern, Kiš‘ Vorliebe für Dokumente und Verdoppelung, kurz der Komplexität der Kišschen Prosa. Kiš wollte schön schreiben und glaubwürdig sein. Reine Erfindung interessierte ihn nicht.
Die Zeit nach dem Krieg verbrachte der junge Danilo mit seiner Mutter und der jüngeren Schwester in Montenegro, übersetzte nach dem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft aus dem Ungarischen, Französischen und Russischen. Seine letzten Jahre verbrachte er in Paris als Lektor für serbokroatisch, wo der Kettenraucher an Lungenkrebs starb.
Literatur war für Kiš eine Möglichkeit sich gegen die Anmaßungen von Geschichte und Politik zu wehren. Rückblickend schrieb er über seine Ängste in Novi Sad:
»Damals wusste ich nicht, welcher Tag, welches Jahr, welches Jahrhundert war. Das Zittern eines Hundes.«
Vierzig Jahre später, so schreibt Thompson, habe Kiš den Beginn seines »bewussten Lebens« auf dieses Trauma datiert. Die Erfahrung hilfloser Angst im Angesicht des Todes sollte sich als prägend erweisen: der Beweis, ein für alle Mal, dass Geschichte ein Raum für Zwang und Gewalt ist. Diese Erfahrung machte ihn immun gegen jeglichen Nationalismus. Sein Leben lang Kosmopolit weigerte er sich standhaft, sich national, ethnisch oder politisch festlegen zu lassen. Schon früh sah er den aufkommenden Nationalismus voraus. Er sei der einzige jugoslawische Schriftsteller, der in Serbokroatisch schreibe, betonte er, während Schriftstellerkollegen schon lange vor den Kriegen der Neunziger Jahre ihre jeweilige Zugehörigkeit zu Serbien oder Kroatien herauskehrten.
Aber auch die kommunistische Ideologie lehnte er ab, sowohl in ihrer russischen als auch in der etwas weniger dogmatischen Spielart Titos.
In seiner Geburtsurkunde schreibt er, dass er sich zur Aufnahme für die Kunstschule beworben habe und Bis zum Eintritt blieben mir noch zwei Jahre Gymnasium. Da beschloss ich, dennoch das Abitur zu machen. Anhand dieser unverdächtigen Aussagen lässt sich gut Thompson Vorgehensweise erklären. Denn anhand von Bildenden Künstlern und Lehrern holt er weit aus, um wichtige Stationen der jugoslawischen Geschichte, der Auseinandersetzung zwischen Stalin und Tito zu erläutern.
Wenige Monate nach Kišs Eintritt ins Gymnasium wurde Jugoslawiens Regierung bis ins Mark erschüttert. … Im Juni 1948 wurde die Kommunistische Partei aus der Kominform … ausgeschlossen
In Frankreich stand Kiš radikalen linksgerichteten Studenten, die ihn als Faschisten und Imperialisten beschimpften, mit Bestürzung gegenüber. Als Antwort schrieb er Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch mit dem Untertitel Sieben Kapitel ein und derselben Geschichte. Die Erzählungen schildern Lebensläufe verschiedener(meist jüdischer) Revolutionäre, die durch Mord oder im Gulag enden. Diese Erzählung wurde von Kritikern sehr gut besprochen und löste gleichzeitig eine Kampagne gegen Kiš aus, wobei ihm vorgeworfen wurde, er vertrete eine unpatriotische, vom Westen beeinflusste Haltung und manche warfen ihm sogar vor, er habe ein Plagiat geschrieben.
Kiš ist mit Sicherheit kein Autor, den man so nebenher liest. Man muss sich auf ihn einlassen.
Die eiskalte Reinheit seiner besten Werke begeistert und schreckt zugleich ab, aber wer Gefallen an Kišs Büchern findet, der findet nichts, was ihnen das Wasser reichen könnte.
Dies schreibt Thompson in seiner Einleitung. Mit seinem Buch, dessen amerikanische Originalausgabe schon 2013 erschienen war, holte er Kiš aus der Unsichtbarkeit hervor.
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