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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

"We are Yes"

Hamburg

Diaphanes ist eine Zeitschrift für "Kunst · Literatur · Diskurs", in ihren production values erkennbar orientiert an Ersterem und mindestens teilfinanziert über ganzseitige Werbeanzeigen für diverse internationale Vernissagen, Messen, Festivals. Das bedeutet auch – da es sich bei den meisten genuinen Beiträgen ebenfalls um ästhetisch irgendwie überformtes Zeug handelt – dass (zumindest mir) der Unterschied zwischen redaktionellen Beiträgen zur Kunst und künstlerisch gestalteter Werbung für Kunst nicht immer augenfällig ist.1 Das ist für das Verhandeln der Themen und den Informationsgehalt des Hefts kein Problem; es reproduziert halt in derselben Weise die institutionalisierten und informellen Netzwerke des kulturellen Feldes, wie das in "normalen" Literaturzeitschriften, -instituten, -forschungskontexten geschieht, mit dem Unterschied, dass hier sichtlich mehr Geld im Spiel ist. (Ach, Produzent auf einem Markt für singuläre Originale müsste man sein …)

Warum es dann lohnt, diesen ersten Eindruck überhaupt zu erwähnen? – Nummer 6/7, 126 Glanzdruckseiten, DIN-A3, Farbe, hat das Thema "Gespenster der Avantgarde", und wenn im Editorial steht –

War das Scheitern der Avantgarden unvermeidlich? Was bleibt von dem Anspruch, die Kunst aufzulösen in der Revolution der Lebensverhältnisse? Was ist zu lernen aus (…) dem Widerspruch von leuchtender Fortschrittsvision und dumpfem Ressentiment?

– dann sublimiert das Wort "Ressentiment" erkennbar die professionelle Befürchtung professioneller Kunstsammlerhelfer, es könnte wer kommen und gegen die frisch geputzte Glasfront der Galerie pinkeln … oder könnte Kunstweltler, wie weiland die Situationisten, schon dafür auslachen und anpöbeln, dass ihr Zeug in white-cube-, also Repräsentationskontexte überhaupt reinpasst.

Soviel zum sozusagen Goldgrund des zu Rezipierenden. Zur Sache selbst: Elf umfangreiche Textbeiträge zur Avantgarde (neben ein paar anderen), die ihren Weg ins Eingemachte durchaus finden – sprich: das Antropofagische Manifest kommt vor, Marinetti kommt samt Kochbuch vor, Wyndham Lewis kommt vor; was will man mehr? … Als quasi diskursjournalistische deep-dives "in fremde Welten" gehen diese Aufsätze und Gespräche wohl durch, erzählen dem Leser auch, was ihn "das alles angeht" … allein: überall dort, wo es richtig ernst wird – wo es gelten würde, tatsächlich greifbar zu werden in der Frage, was vom Gespensterstatus der Avantgarden in Bezug auf die Kunstweltgegenwart zu denken ist – ziehen sich die sonst so verschiedenen versammelten Stimmen des Heftes darauf zurück, bloß Positionen "auszustellen". Die zeitgenössisch-"pluralistische" – die nicht von militärischen Metaphern wie avant- und derière-garde, oder auch nur von verbindlichen gesellschaftlichen Zielvorstellungen geprägte – Kunstwelt, sie triumphiert durch die normative Kraft des Faktischen2, wie sie in der schieren Existenz solcher Medien wie "Diaphanes" zum Ausdruck kommt. (Sie kann die Erschütterungswellen bestaunen, denen sie ihre Existenz verdankt, ohne selbst erschüttert zu sein).

Im Abgleich mit den Künstlerbeiträgen, Fotostrecken, Berichten erhält man ein wenig (und wohl zu Unrecht) den Eindruck, es bemühe sich da eine Redaktion plus ein paar Kuratoren darum, "Post-Avantgarde-Welt" als Festival-Modefarbe der nächsten Saison anzuregen …

Wo das Heft seinem Thema "Gespenster der Avantgarde" besonders augenfällig gerecht wird (und, für mich, viel schärfer als in den thematischen Textbeiträgen), ist erstens in den brachialen, klaren, konzentrierten Texten von Discoteca Flaming Star

Speak. Not. Asked. Speak. Not. Asked.
Legions of idiots in the swamp of my desires

Yes
Yes
We are Yes
Yes!!!

(…)

– und in den übers Heft verteilten Bildern von Hun Kyu Kim: bunte, detaillierte, stilistisch an traditioneller Seidenmalerei orientiere und sehr dicht bevölkerte ca. Tierfabeln, die das Verhältnis der Kunstwelt zur sozialen Wirklichkeit des einundzwanzigsten Jahrhunderts Weise zugleich abbilden und persiflieren … und mich nebenbei in ihrer Schärfe, Vielfalt und Komplexität aller angedeuteten Kritik am Kontext des vorliegenden Mediums, das eine Botschaft ist, zum Trotz, für diesen Kontext Hoffnung schöpfen lassen.

 

***
Kunst: Antoine D'Agata, Maja Bajevic, Soham Gupta, Hun Kyu Kim, Wang Qingsong Texte: Cristina Goméz Barrio, Barbara Basting, Trmasan Bruialesi, Damian Christinger, paul Edwards, Hayat Erdogan, Clayton Eshleman, Sandra Frimmel, Tobias Holzer, Mehdi Belhac Kacem, Wolfgang Mayer, Raphaelle Milone, Tine Milz, Jean-Luc Nancy, Malte Fabian Rauch, Julia Reichert, Andreas Reihse, Beate Söntgen, Phillipe Sollers, Tanya Tagaq, Zoran Terzic,Elena Vogman

  • 1. im Inhaltsverzeichnis korrekt ausgewiesen ist natürlich alles.
  • 2. wie das der alte ÖVP-Klubchef Andreas Khol zu nennen pflegte
DIAPHANES 6/7 - Gespenster der Avantgarde
diaphanes
2019 · 128 Seiten
ISBN:
978-3-0358-0134-7

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