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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Tisch, komm, nimm Platz

Hamburg

Neu aufgelegt im Ritter Verlag wurde unlängst Francis Ponges Der Tisch, eine „enthusiastische Phänomenologie“ desselben, wie sie vermutlich nur Einzelgängerdichter Ponge hätte verfertigen können. Gemeinsam mit einem kundig-klugen Nachwort von Übersetzer Walter Seitters erschließt sich in diesem kurzen Band das eigenartige Feld Pongescher Schreibkunst ziemlich genau. Ponge, der dieses Buch aus Notaten zwischen 1967 und 1973 verfasste, aufgab und spät in den 80ern erst in die Veröffentlichung ließ, wurde früh von Philosophen heimgesucht, die aus seinem dichterischen Ansatz, Seitter nennt ihn „poetische Physik“, epistemische Schlüsse zu ziehen hofften. Welche je nach Perspektive in den Bereichen Physik, Metaphysik, Phänomenologie, Strukturalismus, Ontologie, philosophische Anthropologie etc. jeweils nichts als neue Fragen aufwarfen, wie zu erwarten. Geschickt oder, weniger Absicht unterstellend, einfach so schiffte Ponge sich durch die neuen Freundschaften und schuf stattdessen. Schuf und schuf dichterische Werke von gegenständlicher Rätselhaftigkeit gerade durch die konsequente Abkehr von herkömmlichen dichterischen Mitteln, ohne Zugeständnis an philosophische Mittel wiederum, und also für die, die mögen, ganz bezaubernde Erkenntnis.

Der Tisch ist ein suchendes Schreiben, voller Varianten, Klammern, skizzenhaft und in etwa so wie Ebbe und Flut gleichzeitig. Ein Text, der sich selbst zubereitet. „Weil ich kein Zeichner bin, sondern ein Moralist (soll ich hinzufügen ach!

Das neue Muschelwerk

     Innen? Außen?
     Das Schweigen ist der Sand der Geräusche          vgl. Das Wort
     Gewisse Muscheln vorausgesetzt dass man          verweigert nur
sie anhört und nur sie und das unbedingt                   eins: ebenso
     (sofern sie so tief gewunden sind dass                      wenig Lärm machen
der Grund ihrer Wendeltreppe unsichtbar ist              wie das Schweigen
(man erreicht nichts mit den flachen oder
wenig gewölbten Muscheln
     angelegt
     angesetzt ans Ohr (welches eine andere
                                               [Muschel ist),
     gewisse Muschelschalen also angelegt
ans lebende, innervierte Ohr – eine
andere, eine lebende Muschel, die hört,
registriert sich bewegt, in Bewegung
versetzt wird

[...]

Fast nichts von dem was ich
sagen wollte ist in das eben Geschriebene
eingegangen

[...]

     Ich muss mich endlich entscheiden
(und das ist heute)
     zu sagen, was Der Tisch mich zu
sagen drängt –

[...]

Der Tisch

    Die Art und Weise, in der ich mich darauf
stütze, ist bezeichnend.

 

 

 

 

 

 

 

 

    Der Zauber des Tisches: dass er sich
da                                                          befindet

Das Ganze ist hier natürlich typographisch nur völlig unvollkommen wiederzugeben. Das Interessante ist, dass es auch übersetzerisch nicht vollkommen wiederzugeben ist. So schreibt Seitter im Nachwort, konnte er nur etwa die Hälfte des Originaltextes überhaupt übersetzen, die andere Hälfte fehlt schlicht. Denn Ponge geht, „insistent, sich in die französische Sprache einzusperren“, seitenweise Etymologien und Homophonien von able nach, die im Deutschen klarerweise ungegeben sind, „um einen homogenen Text vorlegen“ zu können. Dennoch gibt Seitter einen Überblick der Lücken in der „Großen Erzählung einer kleinen Sache“:

7. Juni 1971: sowohl der aus Holz gefertigte Tisch wie auch das Anfangs-t des Wortes table geben einen kurzen stumpfen imperativistischen Ton von sich (in Klammer der Unterschied zum deutschen Wort: da wird das Anfangs-t bereits vom Zischlaut am Schluss „angesteckt“).

23. Oktober 1970, 22. Oktober 1971, 13. Oktober 1973: ein Blick in die Weltgeschichte: die vertikale Mauer hat sich horizontalisiert – Ergebnis: Tisch.

Seitter schreibt weiterhin: „La Table ist das letzte größere Dichtwerk, in dem Ponge seine diskontinuierliche, experimentelle, fröhliche, aber auch hartnäckige Schreibweise konsequent ausagiert hat, und es klingt auch öfters das Ende eines Schriftstellerlebens an.“ In der Tat, scheint der Text mitunter zu erlahmen, die Eintragungen des poetischen Tagebuchs seltener zu werden. Mit dem Nachwort verdichtet sich das soeben gelesene weiter. Man blättert zurück, gerät selbst in Bewegung. Der Tisch ist eine wahrhaft phänomenale Veröffentlichung. Vielleicht so etwas wie ein Odradek als Buch. Noch einmal Seitter: „Das Spektrum der vom Schriftsteller gewählten Objekte macht etwas ratlos.“

Francis Ponge
Der Tisch
Übersetzung:
Walter Seitter
Ritter Verlag
2019 · 80 Seiten · 13,50 Euro
ISBN:
978-3-85415-599-7

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