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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

trifft!

Hamburg

Das poetologische Gespräch zwischen Pamela Granderath und Nora Gomringer beinahe am Ende des vorliegenden Bandes löst (in mir) das dringende Bedürfnis aus, dazwischenzurufen: Ihr verwechselt da, Kolleginnen, diese Effekte, diese Art von Schreiben-fürs-Ohr, diese Sorte Bühnenpräsenz mit den Effekten, der Ohrenschreibe, der Bühnenpräsenz überhaupt. Das verzerrt in my humble opinion Eure Selbstwahrnehmung, und dazu noch das Bild, das Ihr von Eurem gewählten Genre der slam-poetry zu haben scheint …

… und wir können die Dringlichkeit dieses (meines) Einspruchsbedürfnisses getrost als Zeichen verbuchen, dass es Herausgeberin Frauke Tomczak gelungen ist, mit ihrer Zusammenstellung "Bekannt trifft Unbekannt #2" (zumindest diesen, aber wohl noch weitere) Nerven poetologischer Zeitgenossenschaft genau zu treffen.

Das Konzept ist dabei simpel und tragfähig: Der Band versammelt vier Paarungen eines/einer bekannten und eines/einer unbekanntern Lyriker*in1 (letztere, wenn ich richtig verstehe, 'aus Düsseldorf'), zum einen mit Gedichten, zum andern mit einem dezent moderierten Gespräch des jeweiligen Duos übers Schreiben, das bei einer Lesereihe aufgenommen wurde. Dem Buch liegt die Audiofassung sowohl der Texte als auch der Gespräche als CD bei. Erfreut kann man ausserdem registrieren, dass Tomczak am Anfang ihres Nachworts, vor der Einführung in die einzelnen Einträge, ein grundvernünftiges Desiderat zum Thema des "Lyrik-Booms" der letzten Jahre formuliert –

Nachdem sich die Lyrik (...) erfolgreich aus ihrer Nischenexistenz gekämpft hat (…) muss sie sich hüten, den Vermarktungsstrategien des Betriebs nicht (…) zu verfallen: der fieberhaften Suche nach jungen Begabungen, in die es sich zu investieren "lohnt", bei gleichzeitgem Selbstlauf der ein für allemal Etablierten mit der Tendenz sich nach außen und unten abzudichten.2

Es stehen also vier Paarungen von Lyriker*innen in einem übersichtlichen und produktiven Kontext. Aber was sind das für Paarungen? –

Achim Raven und Kurt Drawert haben Tendenzen zur Stoffverdichtung-Verkürzung-Vereinfachung (bloß zur scheinhaften Vereinfachung, klar) gemeinsam; "die Musik" "spielt" auf der Ebene von Gliederung und Reim und den Kontexten, die etwelche Strophenformen aufmachen; bei Raven geht es (im guten Sinne) lustiger-schräger zu, bei Drawert ernster; geschichtsbewußt aphoristisch kommen beide rüber, obwohl sie den blanken Aphorismus dankenswerterweise meiden.

Ille Chamier und Norbert Hummelt haben das Thema gemein, also: das Thema, also: Shoah und Weltkrieg und die Frechheit der fortdauernden Existenz der Welt und der Option aufs sogennante Metaphysische in deutscher Sprache nach jener Katastrophe, also: wie kippt eine Gesellschaft? … Die Zweisprache zwischen den beiden Gedichtblöcken scheint mir bei diesen beiden besonders eng, besonders viele Details wiederholen sich; das liegt in der Natur der Sache.

Zwischen Niklas Stiller und Barbara Köhler befinden wir uns eindeutiger als bei den anderen Duos vor dem Hintergrund der Spät- bis Post-Moderne, ist Bedeutungs/re/produktion klarer vom akustischen oder druckerschwärzlichen Ereignis Text abgelöst (also: weiterhin präsent, aber klarer ohne diese Illusion von was "Organischem"). Sprich: Beide sind antimythisch, antiauratisch unterwegs, Stiller mit seinem industrieweltlich-alltäglich grundierten Sound, Köhler direkt am Zerlegen (hier:) der Odyssee.

Was die erwähnten Granderath und Gomringer betrifft: Es verliert halt (für grade diesen Rezensenten, ganz eingestandenerweise subjektiv) jene spezifische Weise des Dichtens auf die Pointe hin, die da unter slam-poetry läuft, wenn man sie bloß zu lesen kriegt, gewaltig … in welchem Zusammenhange die beigelegte CD ihren Nutzen voll entfaltet. Auf ihr darf auch der rezensierende Slam-Skeptiker – mehr in den Gedichten als in der Diskussion der beiden Slammerinnen – nach-hören, auf welche Weisen Selbst-/ Text-Distanzierung auch in jener Gattung der erstmal schwer zu hinterfragenden Bühnenpräsenzen doch funktionieren kann.

Insgesamt: Vier stringente Gedichtbände zum Preis von einem.

 

  • 1. Positiv zu vermerken ist an dieser Stelle auch, dass das Verhältnis Männlein:Weiblein genau das wünschenswerte 4:4 ist.
  • 2. Leider bedürfte es da halt eines Zentralrats deutschsprachiger Lyriker*innen oder so, und der müsste verbindliche und branchenweit durchsetzbare Streikbeschlüsse fassen können …
Frauke Tomczak (Hg.)
Bekannt trifft Unbekannt - Band 2
Die Edition besteht aus dem Buch und einer MP3-CD mit Aufnahmen der Lesungen und Gespräche.
onomato verlag
2018 · 18,00 Euro
ISBN:
978-3944891620

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