Diener zweier Herren: Der Dichtung und der Diplomatie
Einen Gedichtband Logbücher zu nennen, das klingt schon eigen. Und sie stellen bei Giorgos Seferis schon einen nicht unerheblichen Teil seines dichterischen Schaffens dar. "Seferis’ literarisches Werk, das ihm 1963 als erstem Griechen den Nobelpreis für Literatur einbrachte, umfasst Gedichte, Essays, einen Roman und Tagebücher." (aus: Wikipedia) Und im Nachwort klärt die Übersetzerin Andrea Schellinger auf:
"In einem Logbuch werden regelmäßig tägliche Ereignisse und Vorfälle auf See in Form eines tagebuchartigen Protokolls aufgezeichnet".
Dazu passt, dass Seferis an zwei Stellen Begriffe aus dem Segelbereich verwendet. In dem Gedicht Les anges sont blancs für Henry Miller schreibt er über den Schriftstellerkollegen: "Wie der Seemann durch Wanten schlüpfte er über den Wendekreis des Krebses und den Wendekreis des Steinbocks". Wanten sind dabei Seile zur Verspannung von Masten. Im Gedicht Die Gestalt der Moira lautet eine Zeile: "und Wellengruben hinterhersahst, raumschots segelnd;" Raumschots ist beim Segeln einer der Kurse zum Wind, nämlich der, bei dem der Wind schräg von hinten kommt. Bei den Logbüchern von Seferis geht es darum, dass sich hier jemand als Schriftsteller "outet", sich also bewusst nach draußen begibt, auf das schwankende, den Elementen ausgesetzte Schiffsdeck, und sich nicht in den geschützten Bereich einer Kabine zurückzieht. Und hierbei protokolliert er in dichterischer Form, was ihm widerfährt - wobei es daneben noch die Tagebücher Tage I bis VI und die Politischen Tagebücher I und II von ihm gibt.
Auf Deck zu sein, heißt aber auch, sich der Gemeinschaft zu stellen, sie zu suchen. Schellinger schreibt: "die Dichtung ist ihm [Seferis] keinesfalls Fluchtpunkt in privater Einsamkeit, sondern Berührung und Verbindung mit anderen". Zu Seferis' Gedicht Solidarität zitiert Schellinger Seferis aus seinen Tagebüchern: "Im geistigen Griechenland meiner Zeitgenossen [...] habe ich nach Solidarität gesucht; sie war nirgends zu finden." Diese Solidarität scheint Seferis aber bei zwei in Europa herumreisenden Schriftstellern zu finden, die er 1939 in Athen kennenlernt: den US-Amerikaner Henry Miller und den Engländer Lawrence Durrell. Es gibt nicht nur die Reverenz an Henry Miller in dem oben erwähnten Gedicht Les anges sont blancs, sondern auch ein Seferis-Porträt in Millers Koloss von Maroussi. Später, Anfang der 1950er Jahre, sind beide, also Seferis und Durrell, auf Zypern. Seferis macht drei private Reisen dorthin, aus denen Logbuch III hervorgeht. Und Durrell, der sich zeitgleich auf Zypern aufhielt, schrieb hierüber seinen Reisebericht Bittere Limonen.
In den Gedichten wird die belastende Situation von Seferis aber auch von ganz Griechenland immer wieder thematisiert, natürlich überwiegend in Logbuch II, das ja während des 2. Weltkriegs entstanden ist. Es geht um Hunger und Armut, um Flüchtlinge (wobei er sich selbst als Flüchtling sieht). Auch die Nazigräuel werden dabei dichterisch beschrieben: "Menschen hoch im Norden [...] da // sich die Maschine sputet / Grauen und Verachtung zu verbreiten / über Tod und Lebenszeiten." Eine gewisse Resignation ist zu spüren, wenn er schreibt: "Mit diesem Krieg ist die europäische Kultur ein für alle Mal gescheitert." Auch seine eigenen Möglichkeiten sieht er beschränkt: "Der Dichter ein Nichts." Logbuch III ist dagegen schon heiterer, entstand es doch zwischen 1953 und 1955, also nach dem 2. Weltkrieg, aber auch nach dem griechischen Bürgerkrieg. In dem Gedicht "Der Klausner Neophytos spricht -" ist er sogar ausgesprochen ironisch, wenn er schreibt: "ihr Herrschaften, willkommen hier auf Zypern. Ziegen und Affen!" Dabei macht er sich lustig über Touristenschilder, die zu der Zeit auf ganz Zypern stehen, und auf denen es heißt: "Welcome to Cyprus, Sir ...". Denn er zitiert Shakespeare aus seinem Othello, in dem es heißt: "You are welcome, Sir, to Cyprus. Goats and monkeys".
Dabei ist Seferis' Leben (1900-1971) stark geprägt von "Flucht, Exil, Verlusterfahrungen", verließ er als Grieche doch mit seiner Familie bereits 1914 Smyrna, um über Athen, Paris, London dann später wieder nach Griechenland zurückzukehren. Er war Diplomat, und während des 2. Weltkriegs mit der griechischen Exilregierung unterwegs. Er sah sich als Diener zweier Herren, versuchte also, die Bibel zu widerlegen, in der es heißt: "Niemand kann zwei Herren dienen. [...] Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geist des Geldes zugleich." (Mt 6,24) Dabei hatte er durchaus seine Schwierigkeiten, seine Berufspflichten als Diplomat und seine Tätigkeit als Dichter unter einen Hut zu bekommen. Wobei die Prioritäten klar erscheinen, Seferis: "Meine einzige Neigung ist's, Gedichte zu machen". Es ging ihm dabei auch um eine neue Definition des Griechentums. Nämlich losgelöst vom Biologischen oder vom Land Griechenland, sondern nur bezogen auf das Sprachliche und Kulturelle. Seine Leitmotive sind die Liebe, sowohl sinnlich als auch seelisch, Gerechtigkeit sowie Erneuerung und Lebendigkeit. Schellinger dazu im Nachwort: "Für Seferis ist es die Aufgabe der aus dem menschlichen Atem stammenden Dichtung, eben diese vitalen Funktionen erneut in Gang zu bringen." Es geht darum, das alltägliche Leben aufzugreifen und laut Seferis: "In diesem unseren Leben [...] müssen wir das Wunder sehen lernen." Hierzu bedient sich Seferis Mythenmaterial, insbesondere von Aischylos, Homer und Euripides. Laut Schellinger "greift er, seine eigene 'mythische Methode' verfolgend, allgemein verständliches Mythenmaterial auf, über das er [...] dichterisch nach außen trägt, was ihm, dem Menschen des 20. Jahrhunderts, auf der Suche nach der emotionalen und geistigen Heimat eine Richtung weist."
Schellinger sieht ihre Übertragung der Gedichte von Seferis vom Griechischen ins Deutsche durchaus kritisch. Hierzu drei - ich möchte es mal vorsichtig - Übersetzungsschwächen, die mir aufgefallen sind. In dem Gedicht Rückkehr aus der Fremde kommt im Original viermal der Ausspruch σιγά, σιγά vor, ein typisch griechischer Ausspruch ("langsam, langsam"), der die griechische Gelassenheit zum Ausdruck bringt. Das klingt in der deutschen Fassung übersetzt als "mit der Zeit" nicht an. Das Gedicht Τριζόνια heißt auf Deutsch "Heimchen". Das sagt mir nicht viel. Mit der direkten Übersetzung οι τριζόνια = "die Grillen" kann ich dagegen schon viel mehr anfangen. Im Gedicht "Agiánapa I" lautet eine Zeile "oder du ans Ende einer tiefen Scheide kommst". Im Original steht το κορμί βαθύκολπης γυναίκας, was mit το κορμί = Körper, ο κόλπος = Vagina, Scheide und η γυναίκα = Frau eindeutig eine weibliche Scheide meint. Das kommt in der Übersetzung nicht klar herüber.
Trotzdem kann man dieses Buch jedem empfehlen, der sich mit den Gedichten von Seferis beschäftigen möchte. Man merkt anhand der detaillierten Anmerkungen mit vielen Zitaten aus Tagebüchern und Korrespondenzen sowie dem Nachwort, dass sich Schellinger wirklich sehr intensiv mit der Dichtung und dem Menschen Seferis beschäftigt hat. Gerade diese zusätzlichen Informationen zu den Gedichten machen es jemandem ohne Vorkenntnisse von Seferis leicht, sich in sein dichterisches Werk hineinzulesen.
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Kommentare
Übersetzungsfehler
Obwohl Frau Schellinger bereits darauf hingewiesen worden ist, beharrt sie darauf, dass mit dem Wort "βαθύκολπης" die "weibliche Scheide" gemeint sei.
Ein Blick in ein Altgriechisch-Lexikon würde sie eines Besseren belehren.
Siehe auch: Aischylos, "Sieben gegen Theben", Vers 866.
Diese Übersetzung ist gespickt mit solchen Fehlern.
Kommt hinzu, dass die Kritiker und Jurymitglieder offensichtlich keine Ahnung haben, was bisher von Seferis übersetzt worden ist. Es gäbe da nämlich sogar eine Gesamtausgabe: Giorgos Seferis, "Gedichte", übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Hans-Christian Günther, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2000.
etc.
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