Sorge, Elend, Tanne
Bereits 2017 erschien Isabel Fargo Coles monumentaler Roman Die grüne Grenze. Bei Nautilus, Hamburg. Nun ist er für den Leipziger Buchmessenpreis nominiert. Er ist wichtig, wohl weil er sich aus amerikanischer ex-pat Perspektive mit dem Leben in der DDR ab den späten 60ern auseinandersetzt. Zwischen Berlin und Harzromantik mit Stachelzaun in Sichtweite. Interessant ist, dass die Wolfgang Hilbig Übersetzerin Cole den Roman auf Deutsch verfasst hat. Ein ziemlich starkes Deutsch zudem. Leicht und dennoch sehr kunstvoll. Mit feinem Gespür für Rhythmus, tonale Einschübe und einem insgesamt poetischen everything goes. Die Geschichte um Editha, Thomas und Eli, ihr Kind, fließt und springt zwischen den Zeiten und Perspektiven hin und her, hat ein wenig dieses Pynchon-hafte Kreisen um semi-Freaks, die sich in Vögel verwandeln in einer post-romantischen Waldlandschaft Nahe Nordhausen, aber natürlich geht es um eine spezifisch andere Auseinandersetzung und Periode. Weil aber beide Protagonisten schon wieder Künstler sein müssen, Thomas schreibt einen sogenannten historischen Roman um Mönche auf Wanderschaft, den man im Buch selbst auch zu lesen bekommt (etwas borstige Einschübe), Editha ist Bildhauerin mit Spezialgebiet Historische Denkmäler, sich also prinzipiell die Auseinandersetzung um eher entfernte Menschen in entfernten Gebieten dreht, an denen die Geschichte von 68, Honecker bis Biermann etc. auch mehr wie Wetter vorbeizieht, entwickelt das Buch früh Unwuchten und den Charakter einer Ansammlung von Akteuren in einer Landschaft. Was wiederum der Sprache zugutekommt. Sie spielt klar die Hauptrolle. Das Erzählen an sich, vielleicht das Epische, ist einer ständigen Unterwanderung unterzogen, Cole kommentiert, sie erzählt nicht wirklich. Das tut sie jedoch geistreich und man weiß alles über die kleinsten Empfindungen und Zusammenhänge aller Perspektiven im Buch. Fesselnd ist es allerdings selten und Neues erfährt man auch nicht unbedingt in Sachen DDR oder Leben in. Wer aber sich auf Coles Nuancen einlässt, diesen frechen, piesackenden Tonfall à la Nell Zink, der oft zu ungeahnten Höhen sich aufschwingen kann und tatsächlich abhebt, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Originalität ist ihm in keinem Fall abzusprechen. Die Entdeckungen betreffen Karte, Territorium und die Möglichkeiten von Sprache, man denkt an Ortsnamen. Namen überhaupt (Proust, Levinas...) u.a. vielleicht unbewusste Betonungen jenseits einer klassischen Epik. Der Wald ist mehr als bisher angenommen.
Auf einmal: Boden unter den Füßen, leuchtendes Moos- und Grasgrün, Feuchtigkeit perlte, Wurzeln griffen um sich. Zu ihren Füßen verflog der Nebel, mit jedem Schritt wuchsen die Bäume über ihren Kopf hinweg. Sie stieg herab aus dieser Wolke, die ohne Widerstand durch den Wald hindurchstrich, erstaunlich schnell, wo kein Wind sich regte. Der klare Wolkensaum zog über sie hinweg.
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