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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Der meineidige Papagei

Hamburg

Das schmale Buch Geile Deko von Isabel Waidner, übersetzt von Ann Cotten, ist letztes Jahr im Merve Verlag herausgekommen. Im Original Gaudy Bauble betitelt, handelt es sich um ein schwer einordnenbares Textgeschehen der Londoner Autorin, die von sich selbst schreibt: „she campaigns“. Subtituliert mit „Camp-Coup oder Butch-Putsch“ wendet es sich in Buchgeste an alle Lesenden mit einem durchgehenden Erzählstrang um vordergründig Personen, Tiere und Gegenstände, deren „Identitäten“ sich einander annähern, wenn nicht gegenseitig verzacken, verwischen oder substituieren. Dem Text, einem freien Narrationspoem ist schwer zu folgen, er verweigert sich jeder Erwartungshaltung, läuft stattdessen selbst wie eine Deko über reine Sprachpotentiale. Zum Teil lustig, nervig, völlig überraschend, einen Tick zart über oder zwischen gender und camp.

Auf der anderen Seite posierte Tulep auf der Resopaltischoberfläche wie ein beeindruckender weiblicher Hengst. Ganz so wie der Pegasus auf Belàs Sweater ein gefügeltes Pferd war, war Tulep ein Wellensittich mit atypischen Hufen.

[...]

Wer hatte nicht von Belà Gotterbarm gehört? Pionierin Avantgardistischer Behinderttistik. Genderlose Feministni, Transgenderaktivistni. P.I. Belahg war nicht unbeeindruckt. Blulip, andererseits, war unbeeindruckt.

[...]

Belua war eine Kompositfigur bestehend aus zwei menschlichen Figuren, dem aufgerollten Teppich, den sie trugen, und einem Wandervogel, der darauf saß.

Der aufreizende Sprachgebrauch hat etwas von einer Programmierung. Nicht nur die Personae und Dinge der „Handlung“ überwerfen sich mit sich selbst, es ist erstlinig die Sprache, die Spaß an sich hat. Aus dem Engagement in sich gekehrt, beharrt sie in einer Mischung aus Privatplaisir und Exhibition. Jedes Kapitel einleitend ist eine minutiöse, fast fetischisierende Beschreibung der jeweiligen Klamotten der Handelnden/ Sprechenden, dann geht es in die Programmierschleifen eines um sich greifenden Erzählens/ Aufzählens.

Das hier war Orsun Ursol, Gender-Überschreiterni mit feenhaftem Flair. „Verstehe“, sagte Hilary, „und wer ist die?“ Hilary bezog sich auf Gesundelippen im Hintergrund.

[...]

Jetzt zauberte sie am anderen Ende der Werkstatt mit ihren goldSeXUellen Künsten herum. Die GoldSeXUelle StatuEtte reparierte Großbrittaniens Lichtanschlüsse.

Waidners Text ist so selbstbezogen, dass man wie durch ein Museum gezwungen ist zu lesen. Eine interessante Leseerfahrung allemal, sehr mutig, irgendwie theoretisch und vermutlich nicht für alle was. Vielleicht kann man konstatieren: Geile Deko ist ein Skript gegen Jedwedigkeit – und für camp. Oder wie es Merve sagt: „Geile Deko zeigt, was passiert, wenn der Pöbel das Ruder übernimmt und die Sprache gleich dazu.“

Isabel Waidner
Geile Deko
Übersetzung:
Ann Cotten
Merve Verlag
2019 · 136 Seiten · 14,00 Euro
ISBN:
978-3-96273-021-5

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