Oi!oid gibt’s nicht in Jana Putrle Srdićs "Diese Nacht kommen Käfer aus der Erde gekrochen"
Wenn ein Abend mit etc is poetry – frei nach Jandls „easy grammar poem“ – angekündigt wird, und einmal mehr (fast nur) die üblichen Verdächtigen zu einer Leistungsschau eingeladen werden, sind Zweifel angebracht. Ich wusste nicht, ob es sich gelohnt hat, diese performative Massenkarambolage bis hin zu A. Štegers („wichtigster Autor seiner Generation“ – sind wir das nicht irgendwie alle?) unterhaltsamer Gefallsucht ausgehalten zu haben ... bis ein paar Gesprächsfetzen für alles entschädigten: Offensichtlich ein Freund aus alten Tagen, wie man so sagt, richtete erleichtert an den Literaturkritiker Gregor Dotzauer, der auch über Lyrik zu befinden beliebt (warum auch immer), das offene Wort, welches Unterfertigter unfreiwillig mitanhörte, weil die Weinlaune des mir völlig Unbekannten krähte: „Weißt Du, ich lese eigentlich nur noch, was Du darüber schreibst ...“ Mit ´darüber´ meinte er Dichterinnen, Dichter, Bücher und die Lesungen daraus.
Knappe 250 Jahre zuvor notierte Georg Christoph Lichtenberg in sein Sudelbuch:
„Ich glaube nicht, daß ein vernünftiger Mann in Deutschland ist, der sich um das Urteil einer Zeitung bekümmert, ich meine, der ein Buch verdammt, weil es die Zeitung verdammt, oder schätzt, weil es die Zeitung anpreist [...]“ (G..C. Lichtenberg, Aphorismen, hrsg. v. Max Rychner, Manesse 1958, S. 235)
Hätte ich den Dialog bei Herausdrängen des Publikums aus dem Plenarsaal nicht genauso aufgeschnappt, würde ich Lichtenbergs Sinnspruch sofort überblättert haben. Aber er hat ja wohl doch einen neuralgischen Punkt getroffen. Wo ich als Kritiker keine Chance habe, nutze ich sie …
Jana Putrle Srdićs Charakterfach ist die Provokation. Provokation kann unverzichtbar sein, vor allem, wenn sie echt ist; keine Pose, kein Klischee. Provokation ist so ein schnuckeliges Wort aus der Papierwelt, dem Feuilleton. Feuilletonlieblinge sind Karrieristen mit schätzenswerten Randeigenschaften, meist einem bunten Strauß Biographieblumen. Das noch immer beste Beispiel für einen solchen Dichter ist der Faschist Gottfried Benn. Arzt für Haut und Geschlechtskrankheiten. Bezeichnender Vers: „Eine Frau ist etwas für eine Nacht. Und wenn es schön war, noch für die zweite.“ Bezeichnende Weltsicht: „Das moderne Gedicht geht gelesen eher ein!“ Ein Nachahmer sagt bezeichnenderweise über ihn: „Big Benn ist mir näher als Kendrick Lamar!“ (Jan Wagner)
Der vor einem Jahrzehnt in der Reihe „Poesie der Nachbarn“ (Band 20) erstmals wirksam präsentierte Superstar Šteger ist auch so ein nach Knalleffekten gierender Lyriker wie der deutsche Ex-Expressionist und Dichterarzt Benn. Und es ist aus wirkungsästhetischer Perspektive gesehen auch völlig in nachvollziehbar, die Worte „kotzen“ und „gebären“, wie Steger es in seiner jüngsten Publikation tut, in ein Gedicht zu packen – zum Fremdschämen misogyn ist es trotzdem. Dafür reicht es, einmal beim Geburtsakt von Anfang bis Ende dabei gewesen zu sein. Die meisten Dichter haben keine Kinder.
Von tumbem Provokationskonservatismus ist auch die Poesie von Putrle Srdić leider nicht frei. Ihr dient vor allem das Thema Promiskuität als Stemmeisen für allerhand Vergleiche, die Lebensführung und poetischen Furor vollständig verwechseln: „Alle schlechten Gedichte, die ich lese,/ sind wie schlechter Sex mit immer demselben Menschen […],“ heißt es im Gedicht „Luftkäfig“ - - - Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich. Auffällig ist außerdem die Legion von Lektüre-Signalen, die mir zuletzt in dieser Häufigkeit in Bert Brechts Buckower Elegien aufstieß, weil sie dort genüsslich die Weisheit des weißen alten Mannes zelebrieren; das meiste getraute sich Brecht im stalinistischen Paradies DDR nicht zu publizieren. Dass die ausgiebige Nennung von Quellen und das Ausstellen von theoretischen Kenntnissen bei Putrle Srdić, anders als bei Brecht, nicht nervt, das hat einen einfachen Grund: Sie widmet sich den Dingen, die sie nennt, und sie tut das eben nicht bräsig. Ob das slowenische Wort dafür in ähnlicher Weise doppelbödig ist, wie sein deutsches Pendant: ´Widmung´ (Dankadresse, aber auch schlicht ´sich-einer-Sache-widmen´), weiß ich nicht. Parallelen zu dieser Art der empathischen Dankadresse im Poem gibt es im deutschen Sprachraum aber vor allem bei Dichterinnen, Else Lasker-Schüler, Friederike Mayröcker sind allen anderen voran zu nennen. Zitation ist hier wie da wie dort kein kalter Verwaltungsakt oder ein eitles Namedropping, sondern ein Akt der Transparenz und der Selbstvergewisserung. Etwas, das den altmodischen Deutschlehrer ausrufen lässt: „Aber das ist ja noch gar nicht fertig!“ Im Gedicht „Eine Revolution in der Küche“ erreicht das sich-widmen und auf-etwas-verweisen einen ersten Höhepunkt. Ich empfinde es als das Beste, weil an Nuancen und Tonlagen reichste Gedicht des gesamten Buches; auch die Meisterinnenschaft der Übersetzerin Daniela Kocmut zeigt sich darin in Vollendung.
Eine Revolution in der Küche
Am Morgen lasse ich die Sonne, den Grapefruitsaft
und die Opernarie durchfließen,
ich lese Škrjanec‘ Gedichte, der eine Revolution ist,
obwohl er nicht auf Demos geht,
ich lese Sapphire – ein Auto, das zündet und zündet,
dass alle hinter den Fenstern dieser Straße nervös werden,
und dann endlich anspringt.
Fick mich langsam, auch der Schimmel an der Wand in dieser Küche
hatte sich langsam ausgebreitet und nun wird er von der Morgensonne
langsam zurückgeleckt, Erosion, Schmelze, ein Kessel, die Bullen –
warum sind da Bullen? Sind sie mit Uns oder gegen Uns?
Ida friert über ihren Stöckelschuhen und Miha friert in seinen Handschuhen
und die beiden kommen in unsere Küche auf eine heiße Suppe, wir reden,
wir flüstern nicht wie in Ostberlin hinter der Mauer,
wir schmuggeln uns nicht rüber, es ist schwer zu sagen, gegen was wir
auf Stöckelschuhen sind und warum für das Gleichgewicht
auf der anderen Seite
Stunden des Starrens
auf Herzogs Taiga vonnöten sind,
auf den Baum hinter dem Baum
in Snyders Gedichten
und ja, küss mir weiter den Rücken, knapp unter dem Hals.
Lyrik und ihre bucklige Cousine, die Lyrikkritik, mögen für viele eine Ausrede darstellen, Haltung zu unterlaufen, und mit dem zu kombinieren, was dem amtierenden Quartalsirren gerade als unterhaltsam gilt. Nicht zu verwechseln ist eine solche (zumeist temporäre) Ruhmdummheit mit einer Passion, die für Kunst ganz und gar unerlässlich ist. Umschrieben wird das meist von den Betroffenen mit Formulierungen wie: Die Themen finden mich, die Verse fallen mich an, meine Muse oder mein Muserich küssen, was das Zeug hält; Menschen, die dichten können (alle), aber nicht dichten, werden krank. Das lernt auch die Bürokratie.
Depressive Menschen sind durch ihre Erkrankung meist in ihrer gesamten Lebensführung beeinträchtigt. Es gelingt ihnen nicht oder nur schwer, alltägliche Aufgaben zu bewältigen, sie leiden unter starken Selbstzweifeln, Konzentrationsstörungen und Grübelneigung.
Quelle: Leitlinie Depression Bundesärztekammer
Diese Gedichte sind nicht mehr oder weniger Ausdruck einer Krisenstimmung als andere, vergleichbar drastisch formulierende Poesie; weniger die Lautstärke ist besonders als die elegante Rotzigkeit (natürlich geht beides zusammen). Ich möchte das auf eine Formel bringen, die für mich überzeitliche Gültigkeit hat, die die Lyrik der Beatniks ebenso wertig macht wie die Großstadtgeheul des deutschen Expressionisten, das nur ein sehr deutscher Literaturverwaltungsapparat für ernsthaft für „abgeschlossen“ halten kann. Die Formel lautet: Schönheitsskepsis + Lebenssucht = Oi!
Jana Putrle-Srdić pflegt eine offene Verachtung für die Kombination von Poesie und einer gewissen Pose, die jeder Zuhörerin bekannt sein dürften, die die verhauchten, gedimmten, gefallsüchtigen und zugleich entkörperlicht-unpersönlichen Stimmchen auf Lyriklesungen erlebt hat.
Das kurze Kapitel „Bonbons für Metka“ besteht fast völlig aus poetologischen Gedichten; nicht weniger als im Rap, wo das Dissen dazugehört, liefe das bald auf eine dröge Nabelschau hinaus. Wenn nicht – anders als im Rap – eine Selbstbearbeitung hinzukommt, die mit Grübelei (siehe obigen Diagnose-Style-Sheet) sehr gut umschrieben ist. Die Quintessenz davon muss konsequenterweise lauten: Etwas, das Oi! – übersetzbar vielleicht mit: einer kompromisslos nonkonformen Haltung – zuwiderläuft oder ihm nur ähnelt (Pose) ist wert, es als Verkörperung von Heuchelei und Selbsttäuschung frontal zu attackieren. Das programmatische Gedicht „Zeitgenössische Lyrikerin“ beginnt so:
Ich arbeite und danach gehe ich ins Büro.
Dazwischen trinke ich Campari
Orange
und feile meine Nägel.
In meiner Freizeit berührt mich alles
immens und beim Anblick eines Busses,
der losfahrt, muss ich gleich weinen.
Bis dahin ist es der übliche Diss, der Text endet aber mit der Einsicht, selbst Teil des Problems sein zu können: „Je mehr ich arbeite, desto weniger ändert sich/ […] Kein Wunder, dass wir uns bei all dem, was dasteht,/ alle unglaublich berühren. Und uns drängen.“
Diese Nacht kommen Käfer aus der Erde gekrochen ist nicht zuletzt ein sehr eindrucksvolles Dokument dafür, wie viel sich innerhalb nur eines Jahrzehnts ändern kann … Im Jahr 2008 witzelte der selbsternannte Lyrikdoktor Steffen Jakobs („Lyrische Visite“) noch: „Zu welcher Veranstaltung kommt noch weniger Publikum als zur Lesung deutscher Lyriker? Zur Lesung slowenischer Lyrikerinnen.“ Die Dichterinnen, die an der Übersetzertreffen „Poesie der Nachbarn“ beteiligten wurden damals noch charakterisiert (übrigens von einer Frau!) als „feinfühlige Fee, sanft“, mehr noch: „Es fühlt sich warum und von Feuchte benetzt an, hold und stolz“ (über Barbara Korun); oder: „es ist ein sehr feines hauchdünnes Gedanken- und Gefühlsgewebe […] Stupica ist dezent sinnlich, geistig, ihr »Ich« schwebt in ausgewogener Ganzheitlichkeit.“ – Bei der Lektüre dieses sicher gut gemeinten Nachworts von Urška P. Černe zur ersten großen Anthologie mit slowenischer Lyrik in deutscher Übersetzung fühlte ich mich genauso unangenehm berührt wie beim Lesen von „Weinlyrik“ oder beim Betreten eines Baby-Ausstatters in der Provinz: Hier blaue Kleidung für die Jungs, da rosa für die Mädchen … Mit der Tradition formvollendeter oder „ganzheitlicher“ Sprachschönheit hat Jana Putrle Srdic nichts zu schaffen, der Begriff des Kunstschönen oder Exzeptionellen (old poésie pure school) ist in ihren Texten passé, im Gedicht „Schönheit“ lesen wir:
Die Schönheit in einer langen Rauchwindung am Himmel
unterscheidet nicht zwischen Auschwitz
und dem Kohlenbergwerk in Trbovlje.
Das hat etwas von Kommuniqué, und trotzdem kann ich dieser Art von Poesie, solche prolligen Gesten zum Trotz, nicht anders als zu applaudieren, auch wenn die Beatniks, an die Putrle Srdić hier wie in vielen anderen Fälle explizit anknüpft, mir immer etwas maulheldenhaft, esoterisch und lasch in einem vorkommen. Lasch, auch und gerade in Hinsicht auf formale Anstrengungen: Nicht wenig ärgerlich ist der willkürliche Wechsel zwischen modernistischer Kleinschrift (letztlich wenig mehr als ein Lyrismus) und der Norm-Typographie. Motiviert ist dieser Wechsel in keiner Weise …
Gedichte, so die gesprächsweise Auskunft der Dichterin Anja Utler, seien aber doch mehr als „Intelligenztests“. Bei aller Freude auch und gerade am Voraussetzungsreichtum fast aller Texte des vorliegenden Gedichtbandes: Manche Passagen, auffällig ist das besonders im Poem „An einen Dichterkollegen“, wirken in der Übersetzung unnötigerweise privatistisch; gerade wenn intertextuelle Verweise – auf hierzulande noch wenig bekannte Dichter – offensichtlich sind, wäre in der Übersetzung ein kurzer Hinweis auf den zitierten Kollegen hilfreich gewesen.
Grundlegend für die vorliegenden Gedichte, und so wäre Oi! ebenfalls zu deuten, ist eine Haltung, die Peter Handke – neben vielem anderen, was er sein soll, ist er der Verfasser des epochalen Gedichtbands Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt – in einem bizarren Interview mit der ORF-Moderatorin Katja Gasser in die Worte packte: „Und ich scheiß´ auf euer Dichterfest!“ (18´15)
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