Music that matters
Zugegeben, ich brauchte lange, bis ich die Rezension des Buches von Jens Rosteck, Joan Baez. Porträt einer Unbeugsamen geschrieben hatte. Nicht nur, weil der Musikwissenschaftler und Autor zahlreicher Musikerbiografien bereits im Eingangskapitel deutlich macht, dass der Lebensweg der Jahrhundertfigur Joan Baez für den Leser und die Leserin mit vielen bedeutenden Einzelheiten bestückt ist, sondern weil das Schreiben auch immer wieder durch das Anklicken von you tube unterbrochen wurde. Natürlich kenne ich zahlreiche Songs von Joan Baez, beispielsweise Joe Hill, No nos moverán, The Ballad of Sacco & Vanzetti, und vorneweg ihr Markenzeichen We shall overcome. Was ich aber nicht wusste, war dessen komplizierte Entstehungsgeschichte, die schon 1946 mit der Bürgerrechtlerin und Sängerin Zilphia Horton beginnt. Andererseits kannte ich auch viele der von Jens Rosteck erwähnten Lieder nicht und habe mir viele (alle wäre unmöglich gewesen) im Internet angehört.
Um es vorwegzunehmen: Jens Rosteck lässt sich detailliert auf das unglaubliche Œuvre der Sängerin ein, interpretiert kenntnisreich Text und Musik wichtiger Songs und ordnet sie in die jeweilige Lebensphase von Joan Baez und die politischen Verhältnisse in den USA und anderswo ein.
Joan Baez‘ Vita, so schreibt er,
wird bestimmt von den Wechselbädern der internationalen Politik, von inneren Konflikten, gesellschaftlichen Trends und von dem sich stark wandelnden Bild der Vereinigten Staaten in den Siebziger Jahren zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Jetztzeit.
Das Buch ist eine Mischung zwischen Chronologie und thematischer Betrachtung ihres Lebens und musikalischen Schaffens. So gibt es neben der Beschreibung ihrer Reisen, Tourneen und ihres Engagements mehrere Kapitel, in denen ihr Werk im Vordergrund steht. Der Autor will Lust machen auf die verschiedenen Sparten, Themenbereiche und Rubriken ihrer Songs, interpretiert einzelne Chansons und Alben, bekannte und weniger bekannte Facetten ihrer Musik: u.a. Come From The Shadows, Love To A Stranger, The Night They Drove Old Dixie Down. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die experimentelle Klang-und Song-Collage Where Are You Now, My Son? Sie ist das Dokument des elf Tage und Nächte dauernden Christmas Bombing von Hanoi durch die USA 1972, dessen Geräuschkulisse Joan Baez dort selbst in einem Luftschutzkeller mit einem Kassettenrecorder aufzeichnete.
Joan Baez wächst in einer amerikanisch-schottisch-mexikanischen Familie auf. Der Vater Albert Baez ist Mexikaner und arbeitet als Gegner der Rüstungsindustrie für die UNESCO, was für die Kinder (neben Joan gibt es die Schwestern Mimi und Pauline) eine unruhige Kindheit mit vielen Umzügen auch in ferne Länder bedeutet. Mehrmals betont Rosteck, dass Joan im Gegensatz zu ihren Schwestern dem Vater ähnelt und wegen ihres dunkelhäutigen Aussehens selbst rassistischen Angriffen ausgesetzt ist. Das christlich geprägte Elternhaus, die berufsbedingten Ortswechsel des Vaters zwischen Irak, Kalifornien, Rom und Boston konfrontieren Joan Baez früh mit unterschiedlichen Lebensformen, Religionen und Moralvorstellungen. Früh lernt sie Ira Sandperl, einen jüdischen Pazifisten kennen, der sie mit der Lehre Gandhis bekannt macht. Später, als sie bereits berühmt ist, kommt Martin Luther King hinzu. Mit ihm kämpft sie gegen Rassismus, begleitet schwarze Kinder zur Schule, unterstützt die berühmten Selma-to-Montgomery-Märsche und nimmt mit King 1963 am Marsch auf Washington teil. Ihr Auftritt in einer Schule für schwarze Kinder kommentiert sie folgendermaßen:
Ich, halb braun, halb weiß, sang in einer schwarzen Schule, und es war das erste Mal, dass die Weißen diese Schule betraten. Dennoch kam niemand um. Es wurden keine Steine geworfen.
Joan Baez, Folknik, Beatnik, Liedermacherin und streitbare Kämpferin für Menschenrechte zugleich. Porträt einer Unbeugsamen nennt Jens Rosteck seine Biografie und er verbirgt nicht die Bewunderung für den Mut seiner Protagonistin. Bei einem Auftritt in Spanien kurz nach der Franko-Diktatur singt sie das vier Jahrzehnte verbotene Lied No nos moverán, worüber Rosteck schreibt:
fünf Minuten Baez live veränderten nachhaltig die Stimmung in einem großen europäischen Land, dessen stolze Bevölkerung bis vor Kurzem noch unter der Knute eines greisen Diktators gestanden und unter den Denkverboten eines tyrannischen Systems zu leiden hatte.
Mag Jens Rostecks Lob über seine Protagonistin manchmal etwas übertrieben erscheinen (er schlägt sie auch für den Friedensnobelpreis vor) ihr Leben lang hat sie auch unter Gefahren gegen Krieg und für Menschrechte gekämpft. Um nur einige wichtige Ereignisse zu nennen:
Als Zeichen der Solidarität mit Vietnam fliegt sie, wie erwähnt, nach Hanoi. Sie blockiert Zufahrtswege zu einem Armeekomplex und geht dafür ins Gefängnis, 1981 unternimmt sie eine gefährliche Latein-Amerika-Tournee, bei der sie Todesdrohungen erhält und an Auftritten gehindert wird. Dennoch trifft sie sich in Buenos Aires mit den Müttern der Plaza de Mayo. 1993 reist sie auf Einladung von Refugees International nach Bosnien-Herzegowina und singt, bekleidet mit kugelsicherer Weste, mitten in der Innenstadt von Sarajewo.
Der Autor verschweigt allerdings nicht, dass bei all diesem Aktivismus Joan Baez nicht in der Lage ist, mit Männern eine längere Beziehung einzugehen. Auch diese Seite der Sängerin beschreibt Jens Rostock detailliert. Ein ganzes Kapitel ist der berühmten und komplizierten Liebesgeschichte mit Bob Dylan gewidmet, die der Autor schon deshalb gut kennt, weil er über Dylan ebenfalls eine Biografie geschrieben hat. Aber auch ihre Ehe mit David Harris und ihre Liaison mit Steve Jobs werden thematisiert sowie ihre Neigung zu wechselnden Affären mit unbekannten Partnern. In Love Song To A Stranger gibt sie darüber selbst Auskunft.
Auch Fans von Joan Baez, die glauben, alles über ihr Idol zu wissen, dürfte die Biografie von Jens Rosteck noch Neues und Überraschendes bieten. Im Anhang werden alle biografischen und musikalischen Daten noch einmal ausführlich zusammengefasst und für Joan-Baez-Einsteiger hat der Autor abschließend diskografische Empfehlungen zusammengestellt.
Mein letzter you -tube-Klick galt ihrem neuesten Song Nasty Man, in dem die Sechsundsiebzigjährige über Donald Trump singt. Ihre extrem hohe Sopranstimme ist inzwischen wesentlich tiefer geworden. Ich bin gespannt, sie live zu erleben, wenn sie nächstes Jahr in Frankfurt auftritt.
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