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Kritik

Manche Leute nennen ihn einen Dichter

Hamburg

In dem Begleittext zu Bringing It All Back Home hat Bob Dylan bereits 1964 geschrieben: „manche leute nennen mich einen songwriter […] manche leute nennen mich einen dichter“. Und dieses Spannungsverhältnis zwischen Songs und Literatur – Gedichte und Prosa – und insbesondere die Frage, ob Dylan überhaupt ein (ernstzunehmender) Dichter bzw. Schriftsteller ist, zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Die vorliegende zweisprachige Auswahl "umfasst quantitativ den größten und qualitativ den nach bestem Wissen und Gewissen des Übersetzers gelungensten Teil von Dylans literarischem Werk." Das Buch wurde dabei übersetzt und kommentiert von Heinrich Detering, der nicht erst seit dem Erscheinen seines Buches Bob Dylan im Reclam Verlag 2007 als ausgewiesener Kenner des Werks von Bob Dylan gilt. Somit kann man der vorliegenden Auswahl blind vertrauen.

In seinen frühen Jahren, nämlich Anfang der 1960er in Greenwich Village, sah sich Bob Dylan gleichermaßen als Songwriter als auch als Dichter. 1965 hatte er dann "die endgültige Einsicht, dass seine Form der Dichtung die Songpoesie sei". Sein Schwerpunkt waren fortan also die Songs, deren Texte ja auch eine Form der Poesie darstellen. Der Band versammelt dabei Langgedichte, Gedichte und Prosagedichte, die im Zeitraum von 1963 bis 1978 entstanden sind. Erst später beschränkt sich Dylans Schreiben (so lässt dieses Buch vermuten) auf Stellungnahmen, Reden und Essays als Form seiner literarischen Äußerung.

In seinem Nachwort macht Detering sehr schön deutlich, wo Dylans Wurzeln liegen. Dylan hat dabei sowohl die Tradition der ländlichen Folk Music als auch die urbane Beat Poetry aufgegriffen, und das - wie Detering meint - sogar ziemlich gekonnt: "Vielleicht hat niemand diese Begegnung zweier Bewegungen so aufmerksam, so intensiv und so produktiv wahrgenommen wie der junge Bob Dylan." Dabei sind diese oberflächlich betrachtet gegensätzlichen Strömungen in ihren Zielen vereint, nämlich "im Aufbegehren gegen ein konservatives politisches und kulturelles Establishment, in der Suche nach Befreiung von jeder Art von Repression."

Bob Dylan kann danach auch als Beatnik bezeichnet werden, wenn auch einer der zweiten Generation. Und so ist es auch kein Wunder, dass der eine Teil von Dylans Vorbildern und Anregern aus der (ersten Generation der) Beat Generation stammt, nämlich Jack Kerouac mit seinem legendären "Gründungstext der Beat Generation" On the Road von 1957, sowie Neal Cassady, Allen Ginsberg und William S. Burroughs. Dylan ging aber auch darüber hinaus bzw. zurück auf Arthur Rimbaud, sowie John Steinbeck, dessen Roman The Grapes of Wrath Dylan als "my first On the Road" bezeichnet hat.

Als wichtigstes Vorbild von Dylan aus der Folk-Szene ist eindeutig Woody Guthrie zu nennen. Auch der neun Jahre ältere Countrymusiker Johnny Cash hat für Dylan Bedeutung. Die Anekdote, dass Cash einem Folk-Magazin einen offenen Brief zusandte, in dem er den Kritikern Dylans (insbesondere wegen dessen Einsatzes einer elektrischen Gitarre) zurief: "SHUT UP! ... and LET HIM SING!", wird im vorliegenden Buch immerhin dreimal erzählt: in zwei Essays von Dylan sowie noch einmal in einem Kommentar von Detering.

Die Politisierung, die sowohl den Folkies als auch den Beatniks wichtig war, zeigt sich in den Texten von Dylan an mehreren Stellen. In dem siebten Gedicht des Gedichtzyklus 11 skizzen für einen grabstein heißt es zum Beispiel: "es gibt keinen rechten // und keinen linken flügel ... // es gibt nur einen aufwärts- // und einen abwärtsflügel". Im zehnten Gedicht von Einige andere Arten von Songs setzt sich Dylan mit politischen Diskussionen mit anderen auseinander und meint trotzig und insgesamt dreimal in diesem Gedicht: "und ich sag dir es gibt keine politik". Aber auch die bewusste Missachtung konventioneller Schreibregeln von Dylan sieht Detering in seinem Nachwort als ein politisches Aufbegehren an.

Kommen wir auf die eingängliche Frage zurück, ob Bob Dylan ein Dichter ist. Johnny Cash meinte in einem Gedicht, das Dylans Album Nashville Skyline begleitete, nur lapidar: "Here-in is a hell of a poet." In seiner Begründung der Preisvergabe des Literaturnobelpreises an Dylan hat Horace Engdahl geschrieben, dass Dylan unsere Idee verändert hat, was Lyrik sein kann und wie sie arbeitet. An die knurrenden Kritiker gewandt erinnert er daran, dass auch die Götter nicht schreiben, sondern tanzen und singen. In seiner Nobelpreis-Tischrede wiederum meint Dylan im Vergleich zu Shakespeare: "Der Gedanke, dass er Literatur schrieb, kam ihm vermutlich gar nicht in den Sinn." In dieser Rede bedankt er sich auch artig: "Darum danke ich der Schwedischen Akademie - dafür, dass sie sich die Zeit für diese Frage ["Ist das hier Literatur?"] genommen, und vor allem dafür, dass sie eine so wunderbare Antwort gefunden hat."

Dem lyrischen Werk Dylans, das im vorliegenden Band offengelegt wird, steht das Buchprojekt Tarantula gegenüber. Dieses bereits vor langer Zeit von Carl Weissner ins Deutsche übersetzte Buch ist aktuell wieder erschienen, wobei es von Heinrich Detering revidiert und mit einem Nachwort versehen worden ist. Dieses Buch wird demnächst auf Fixpoetry besprochen werden. Aber bereits in Planetenwellen wird eine gewisse Parallelität zwischen Dylans poetischer Seite und Tarantula dargelegt. Detering weist nämlich darauf hin, dass bereits mehrere Texte der vorliegenden Sammlung eine Verwandtschaft zu Tarantula haben. Nämlich Off the Top of My Head, Highway 61 Revisited und Alternatives to College.

Aber auch wer nur nach einem literarischen Einstieg in die Musikwelt bzw. die Songs von Bob Dylan sucht, dem sei dieses Buch empfohlen. Denn die meisten Gedichte und Prosatexte sind inhaltlich doch sehr nahe dran an den Song-Texten. Auch handelt es sich bei einem Großteil der Beiträge um die Begleittexte (sogenannte Liner Notes) entsprechender Platten (von Dylan, aber auch von Joan Baez, Eric Von Schmidt oder einem Tribute-Album) bzw. wurden ihnen als Beilage beigefügt.

Bob Dylan · Heinrich Detering (Hg.)
Planetenwellen
Übersetzung: Heinrich Detering
Hoffmann & Campe
2017 · 496 Seiten · 24,00 Euro
ISBN:
978-3-455-00118-1

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