Kritik

Ein 'Way of Life' inmitten der Beat-Bohème

Hamburg

In seinem Vorwort geht Peter Weibel auf den Begriff Allusion ein, verstanden als eine Anspielung, wobei manches nur indirekt angedeutet wird, durch Auslassung und Ellipse:

Udo Breger gelingt es, die Verfahren der Allusion auf das Medium Tagebuch zu übertragen.

Diese Vorgehensweise zeigt sich insbesondere bei den großen „Events“: Wichtige öffentliche Ereignisse wie die Nova Convention zu Ehren von William S. Burroughs 1978 in New York, das One World Poetry Festival 1979 in Amsterdam, das Theaterstück The Black Rider: The Casting of the Magic Bullets, Bob Wilsons Version des Freischütz von Carl Maria von Weber, 1989 im Thalia-Theater in Hamburg uraufgeführt, und das Symposium Naked Lunch@50, eine Anniversary Homage for William Burroughs zur Erstveröffentlichung von Naked Lunch vor fünfzig Jahren, 2009 in Paris werden entsprechend nicht inhaltlich besprochen (das kann man woanders nachlesen), sondern es geht hier mehr um die kleinen Erlebnisse und Begegnungen drum herum.

Für dieses Buch hat Breger aus seinen zahlreichen Fotografien ausgewählt, und zwar nicht immer nach den Kriterien ihrer Qualität oder Wichtigkeit, sondern so, dass er im Text auf bestimmte Erlebnisse genauer eingehen kann, inklusive der Möglichkeit, nach Herzenslust abzuschweifen. Oftmals beginnt ein Textabschnitt ausgehend von dem jeweils aktuellen Foto, geht dann aber ganz eigene Wege. Peter Weibel sagt dazu:

Texte und Fotos laufen nicht auf parallelen Schienen.

Dazu gehören auch ganz ordentliche Zeitsprünge. Es ist also kein chronologischer Abriss. Trotzdem „erzählt“ Breger mittels dieser Vorgehensweise sein Leben unter bzw. mit Schriftstellern und Künstlern adäquat:

Udo Bregers Leben ist eine […] Reise durch Raum und Zeit, eine Reise durch ein experimentelles Feld, eine Reise durch erweiterte Medien und Bewusstseine.

Durch diesen Satz spielt Peter Weibel direkt darauf an, dass Breger ja ganz wesentlich ein Verleger ist. Denn einer seiner Verlage hieß (zu seinen Bonner Zeiten) „Expanded Media Editions“.

In diesem Verlag hat Breger 1971 als ersten Band Die elektronische Revolution von William S. Burroughs in zweisprachiger Ausführung herausgebracht. Und Burroughs und dessen Kompagnon Brion Gysin, mit denen Breger seit Anfang der 1970er Jahre bis zu deren Tode (1997 und 1986) eng befreundet war und die er immer wieder besucht hat – in London, Paris, New York, Lawrence in Kansas und anderswo –, ziehen sich deshalb auch konsequenterweise wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Aber dieser Band berichtet auch von anderen Begegnungen. Viele, die zur Beat Generation oder zur Cut-up-Avantgarde („Cut-up“ bezeichnet hier eine Schreibtechnik, die Brion Gysin in den 1950er Jahren im legendären Beat Hotel in Paris entwickelt hat und die enthusiastisch von Burroughs aufgegriffen wurde) zu zählen sind, wie Allen Ginsberg, Michael McClure, Jack Micheline, Jürgen Ploog und Carl Weissner, kommen hier vor, aber auch andere Schriftsteller und Künstler, z.B. Patricia Highsmith, Chet Baker und Joseph Beuys.

Es ist also ein reiches und reichhaltiges Künstlerleben, das hier in Form eines (Tage-)Buches und Fotoalbums vor einem ausgebreitet wird. Wobei es hier nicht um den kreativen Schaffensprozess eines Künstlers geht – Breger ist nicht nur Verleger, sondern auch Schriftsteller, Übersetzer und Fotograf – sondern vielmehr um das Eintauchen in vielfältige Künstlerkreise, und das weltweit. Dieses Bohèmeleben, an dem Breger partizipiert, ist sehr ansprechend, aber auch geprägt durch einen exzessiven Drogengenuss. Darauf deuten zumindest die vielen Hinweise im ganzen Buch hin:

Kokain à discrétion […] Natürlich gab es auch zu rauchen.

oder

An jenem Abend mit den Pudernasen …

Aber Drogen und andere Genüsse stehen für Breger nie im Vordergrund:

Wichtiger war jedoch, die Gesellschaft bekannter und weniger bekannter Vertreter der Beat Generation hautnah genießen zu können. Sich auszutauschen und Momente zu erleben, die man für kein Geld auf der Welt kaufen kann.

Erst im Nachwort geht Breger darauf ein, wie diese Kontakte ursprünglich überhaupt zu Stande gekommen sind:

Dass sich aus jenem Telefonat [mit Carl Weissner] 1971 quasi ein Way of Life [für Udo Breger] entwickeln würde, konnte niemand ahnen.

Und er hat sein Talent zum Fotografieren auch entsprechend einzusetzen gewusst. Ian MacFadyen schreibt dazu in seinem Zwischenwort:

Udo Bregers Fotografien sind Teil dieses von Anerkennung und Austausch geprägten Kreislaufs und sehr eng verknüpft mit dem Privatleben einer berühmten Künstlergruppe. Ihm wurde vertrauensvoll Zugang gewährt, und er hat dieses Privileg genutzt, um mit der Fotokamera die Tradition und Aktivitäten einer Avantgarde zu überliefern, und auf diese Weise den von ihm bewunderten Künstlern ein fotografisches Geschenk gemacht.

Viele seiner Künstlerfreunde sind längst tot, aber das wird Breger auch selbst bewusst,

dass die vorliegende Sammlung von Bildern und Texten in erster Linie Verstorbenen gewidmet ist.

Sehr schön gefällt mir, dass Breger auch auf James Grauerholz eingeht, dem Sekretär von Burroughs von 1974 bis zu dessen Tode, und seine meistens unbemerkte Bedeutung würdigt:

Ohne James wäre Burroughs' Leben fortan in kein geregeltes Fahrwasser geraten, er hätte den Rang und Status eines der wichtigsten Schriftsteller seiner Epoche weder erreicht noch halten können.

Zu einem Tagebuch gehören natürlich auch die Träume. Und so hat Breger immer wieder seine eigenen Träume kunstvoll in den Text eingebunden. Nämlich solche, in denen Burroughs oder Gysin auftauchen oder die einen anderen engen Bezug zur Handlung haben.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Lektüre dieses Buches wirklich uneingeschränkt jedermann empfehlen soll. Denn es sind doch wirklich zahlreiche Anekdoten enthalten, die – als Allusion verstanden – sich nur jemandem voll erschließen, der mit der Beat Generation, insbesondere mit William S. Burroughs, halbwegs vertraut ist. Aber dieses Buch könnte einem „Neuling“ trotzdem als „Appetizer“ Lust auf eine tiefere Beschäftigung mit dieser Schriftstellergruppe und ihren Werken machen. Andererseits bietet dieses Buch selbst denjenigen, die sich seit Jahrzehnten mit Burroughs und Gysin beschäftigen, tiefer gehende Einblicke in deren Leben. Mir war z.B. nicht bewusst, dass Burroughs selbst in hohem Alter an einem Methadon-Programm teilgenommen hat.

Dass Burroughs bei einem „feuchtfröhlichen“ Wilhelm-Tell-Spiel seine Frau erschossen hat (das war 1951 in Mexico City), ist allgemein bekannt. Auch, dass er zeitlebens durch diese Tragödie – Burroughs spricht vom „Ugly Spirit“ – belastet war, und er des öfteren von sich gegeben hat, dass er nur dadurch überhaupt Schriftsteller geworden sei, war mir bewusst. Aber dass er versucht hat, mittels einer Schwitzhütten-Zeremonie dieses Trauma zu überwinden, war mir neu.

Auch hätte ich nicht gedacht, dass Burroughs selbst gekocht hat. Und das mit einigem Humor, wie die Anekdote nebst Foto, in der er mit einem Bowiemesser ein tiefgefrorenes Huhn zerhackt, offenbart.

Manche Anspielungen erschließen sich dem Leser allerdings nur, wenn er die Zusammenhänge kennt. Auf Seite 113 steht z.B. recht unvermittelt der Satz:

Man, the time-binding animal.

Dazu muss man wissen, dass Burroughs diesen Begriff in seinem Buch Die elektronische Revolution aufgegriffen hat. Dort heißt es:

Korzybsky, der das Konzept der Allgemeinen Semantik (der Lehre von der Bedeutung der Bedeutung) entwickelt hat, nennt den Menschen wegen dieser Fähigkeit [nämlich der des Schreibens] 'das zeitüberbrückende Tier.'

Auf die Johnsons, diese guten Diebe mit Ehrencodex, die Burroughs zeitlebens so wichtig gewesen sind, geht Breger ein. Aber der Satz

Es gibt eben Johnsons, und es gibt Shits.

erschließt sich einem erst, wenn man den anderen legendären Ausspruch von Burroughs im Ohr hat, nämlich

Some people are shit, darling!

 

 

 

Udo Breger
Road Stops
Stationen einer Lebensreise mit Burroughs, Gysin und vielen anderen
2016 · 228 Seiten · 32,00 Euro
ISBN:
978-3-7412-3866-6

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