Kritik

Whodunnit!

Die Konzeptliteratur und der Untergang der literarischen Postmoderne
Hamburg

Then water grown rock during subject state, and Jungle Man penetrated his experimentation narrative of The Body and that as The Body to the Wondered God. (Cutting Up Two Burroughs, s. 41)

Es ist keine Kunst, den längsten Roman der Welt zu schreiben, aber der längste Roman der Welt ist Kunst. Der längste Roman der Welt, Marienbad My Love, umfasst siebzehn Millionen Wörter, und sein Autor, der Autor des längsten Romans der Welt, ist Mark Leach. Mark Leach ist zweifellos ein obskurer Schriftsteller, aber eigentlich wäre er, als ein Jeff Koons für Bibliophile, sowohl sehr relevant als auch zum Gesprächsthema an Vernissagen geeignet, zwischen einigen Happen veganer Kanapees. Seine Literatur ist nämlich so konzipiert, dass sie sich weniger dazu eignet, gelesen als diskutiert zu werden. Dass sie allerdings kaum besprochen wird und dadurch ihren Effekt verliert, ist schade, und es soll hier etwas Gegensteuer gegeben werden. Der Moment ist besonders günstig, da Mark Leach die Literaturproduktion seit seinem annus mirabilis 2011 eingestellt zu haben scheint, und wir nun, wie die Esoteriker ihre Pflanzen, ohne weitere Interferenz das vorhandene Korpus, an einem Beispiel, bereden und hochleben lassen können.

Grob lässt sich dieses Korpus zweiteilen. Sein Früh!werk! besteht eben aus Marienbad My Love (und der gekürzten Version, Marienbad My Love With Mango Extracts). Aber vielleicht interessanter ist eine Schar von Texten, die er 2011, angebrachterweise im Eigenverlag bei CreateSpace, veröffentlicht hat. Darunter befinden sich Writing Through John Cage, basierend auf John Cages Writing Through Finnegans Wake; 31 Days, 31 Novels, basierend auf Material der Website National Novel Writing Month; SCUW Womanifesto, basierend auf Valerie Solanas’ SCUM Manifesto; I Am Your Andy Warhol, basierend auf der Wikipediaseite zu Andy Warhol; und, am bemerkenswertesten, Cutting Up Two Burroughs, basierend auf William Burroughs’ Naked Lunch und den Tarzanromanen von Edgar Rice Burroughs. Insgesamt hat damit Mark Leach wohl die Möglichkeiten der literarischen Postmoderne erschöpft, und zuletzt ist vor allem das der Grund, warum seine Literatur Aufmerksamkeit verdient. Denn an Mark Leach können wir abschätzen, wo wir in der Postmoderne stehen, falls wir in ihr stehen, und wohin wir mit der Literatur, in ihr oder aus ihr heraus, treten könnten.

Es war also eben keine Kunst, den längsten Roman der Welt zu schreiben. Denn Leachs Literatur ist deckungsgleich mit der Methode ihrer Anfertigung, und diese erlaubt es, sehr schnell sehr viel Text zu produzieren. Die Methode wiederum kennen wir zwar schon von Burroughs und Cage, das Schreiben nämlich mithilfe von cut-up engines, nur hat Leach sie mit letzter Konsequenz angewandt und so alle seine Vorgänger von den Surrealisten bis zu Oulipo und ihren amerikanischen Kameraden an maschineller Fertigkeit übertroffen. Ein cut-up engine ist im Wesentlichen eine Funktion, deren Eigenschaften man bestimmen und in die man als Argument jedwede Textmasse einwerfen kann, um sie diesen Eigenschaften gemäß transformiert zu sehen. Zum Beispiel kann man bestimmen, dass in jedem eingeworfenen Text alle Wörter, die drei Silben lang sind, gelöscht werden und dass das Wort „Hund“ durchgehend durch das Wort „Rezensent“ ersetzt werden soll, zu recht! Selbstverständlich lässt sich die Anzahl der Bestimmungen und dadurch die Komplexität der Transformation beliebig erhöhen. In einem zweiten Schritt wählt man sich einen Text, zum Beispiel einen schlechten Roman oder einen guten, einen Wikipediaeintrag oder eine Rezeptbeilage, den man in den engine einspeist (ungefähr so, wie man einen Text bei Google Translate einfügt) und der dann entsprechend transformiert wird. Damit lässt sich Müll und Kitsch in Massenproduktion verwerten und herstellen und jedes Werk beliebig persiflieren.

Zunächst ist dies, wie gesagt, eine Literatur, die nicht gelesen, sondern besprochen werden soll. Jedes Leachsche Buch steht für eine Idee, die uns zu interessieren hat, und die, zum Beweis, dass es sie gibt, eben von einem tatsächlichen Text vertreten werden muss. Aber an sich ist der Text zweitrangig. Marienbad My Love ist nicht A la recherche du temps perdu, und wer sich vornimmt, Leach wie Proust zu lesen, wird fürchterlich scheitern, zu recht. Die Schönheit des Satzbaus (und ist das nicht die Schönheit des Lebens! zumindest des vor Büchern gekrümmten in wunderselig warm durchwachten Nächten, im Schein einer kleinen Lampe, im Glühen des Burgunders, der seinen roten Firnis auf diese Seiten der Pléiade wirft !ach) ist hier nicht von Interesse, noch anderweitige belletristische Feinsinnigkeiten; noch vor dem Autor ist für diese Literatur der Leser gestorben. Andererseits ist es unabdingbar, dass man Blicke in den Text wirft, sonst wäre die Beweisführung für die Existenz des Konzepts selbstverständlich nicht einsehbar; und dann stellt sich doch die Frage, wie der Text zu lesen sei.

Entgegen den deflationären Erwartungen, die sich ein Burgunderglanzleser geboren haben mag, sind Leachsche Texte sorgfältig komponiert und schlägt sich diese Sorgfalt der Komposition in ihrer Mikrostruktur nieder. Es sind kleinste Wendungen, die hier zählen. Nur wenn man den Blick auf die Nähte der Cut-ups hält, wird die Friktion, die die zerschnitten ineinandergefügten Texte erzeugen und aus der das literarische Projekt seine Flämmchen zieht, ersichtlich. Nur wenn man achtsam Wort für Wort durch den Text geht, fällt einem auf, dass gewisse Wörter unvermittelt und fremd in den Sätzen stehen, und zwar genau diejenigen, die dem Konzept Tragfähigkeit verschaffen. Zum einen also sollen Leachsche Texte überhaupt nicht gelesen werden, aber zum andern, wenn man sie dann doch einsieht, müssen sie besonders exakt verfolgt werden.

Cutting Up Two Burroughs trägt die Methode und das Konzept im Titel. Naked Lunch ist das bekannteste Resultat der Cut-up-Technik, ein Zusammenschnitt diverser Texte von W.S. Burroughs, und in einer Hommage an den Meister wird dieser Zusammenschnitt nun seinerseits von Leach auseinandergerissen und mit den Tarzantexten des Namensvetters E.R. Burroughs gekreuzt. Zum Held wird the Jungle Man (Feel the Jungle Man dream, s. 1), und so turnt sich Tarzan durch die Welt der Junkies, durch sexuelle Exzesse und das ganze metaphorische Tangier von Naked Lunch, mit atemberaubendem Erfolg und immer im Spannungsfeld metanarrativer Betrachtungen und inner-Leachscher Intertexte, die dann allerdings auch schon wieder Teil des Dschungels geworden sind:

Feel the machine an enormous cover continually was of not seemed his practice been his electric put and faint exulting new battle. upon the by were like change, but old because him wall by any Nebula ape to fierce of flag Skinalicious9 small of and pop the machine. his were Benzedrine with me trees. wanted mouth a cruving the in of would hewn and – when spent have and worked ended others, the his again could riots. and were spirit him has conception. Tangier fell. Central of at I out a on eyes. apes, the But night means masturbation is the for whirled transmigration nasty wide. (s. 50)

Der Affe und die Bäume stammen aus der Welt von E.R. Burroughs, Benzedrin ist eine der Lieblingsdrogen der Protagonisten in Naked Lunch, von der Masturbation ganz zu schweigen, und Tangier ist die Stadt, in der W.S. Burroughs einen großen Teil seines Romans schrieb und die atmosphärisch im ganzen Buch mitschwingt. Der Tarzanwald verwächst mit dem Junkiewald (his were Benzedrine with me trees), Stadtdschungel, usw. Hinzu kommen dann die autoreninternen Intertexte, die Cutting Up Two Burroughs mit den anderen Leachschen Texten verweben. Schon in Marienbad My Love ist Leach von der stupenden Oberflächlichkeit und Attraktivität von Pflegeprodukten fasziniert, so sehr, dass die gekürzte Version die Mangoextrakte bereits im Titel trägt; und so findet sich auch hier die Seifenmarke „Skinalicious“. Der Ausdruck feel the machine ist im programmatischen Kontext z.B. des Vorworts zu 31 Days, 31 Novels zu sehen, wo dazu aufgerufen wird, sich aller subjektiven Schriftstellerfantasien zu entledigen und mit dem cut-up engine eins zu werden: Trust the machine – be the machine (31 Days, 31 Novels, s. 9). Die Vieldeutigkeit schließlich der Worte and pop the machine muss ich in diesem Zusammenhang nicht mehr erläutern.

Insgesamt tut sich so, wie erwähnt, auf der Mikroebene in diesem Text sehr viel, aber andererseits handelt es sich doch um Konzeptliteratur, die nicht davon lebt, dass man ihr an den Lippen hängt, sondern davon, dass man sich zu ihr Gedanken macht. Nun finden sich also viele typische Postulate der Postmoderne bei Leach erfüllt. Der Autor überlässt der Maschine das Werk, Müllprosa wird zufällig aufgelesen und zur Zeugung von Promenadenmischungen mit den Klassikern gebeten, usw. Diese Postulate sind im Mainstream der bildenden Kunst so gängig erfüllt, dass es nicht mehr der Erwähnung wert ist, aber in der Literatur ist Leach doch eine ziemlich idiosynkratische Erscheinung. Die sprachliche Leistung des Autors steht in der erweiterten literarischen Postmoderne insgesamt immer noch stark im Vordergrund, von Burroughs oder Pynchon bis zu D.F. Wallace, und mit diesem Anspruch so resolut aufzuräumen, ist außergewöhnlich. Man kann sich fragen, wie sich Leach zu dieser Tradition verhält.

Die literarische Postmoderne ist eine verschachtelte Angelegenheit. Man kann sich vor Iterationen des „post“ vor der „Moderne“ kaum mehr retten. Wenn Wallace, wie manche sagen, der wichtigste Vertreter der Postpostmoderne war, dann müssten wir mittlerweile mindestens in der Postpostpostmoderne angelangt sein. Wie die Römer ihre Zivilisation von Beginn weg unaufhaltsam in den Abgrund gleiten zu sehen vermeinten, denn immer aufgedunsener wird der römische Mann und immer parfümierter die römische Frau, so rapide abwärts, dass man sich wundert, dass Westrom dann doch erst im fünften Jahrhundert verrührt wurde, ganz ähnlich iterieren wir die Postmoderne, immer weiter, und doch ist sie immer noch da. Allerdings hat Leach die Sache doch so weit getrieben, dass nicht klar ist, wohin man in dieser Richtung noch gehen könnte. Literatur, die nicht nur keinen Autor hat, sondern auch noch nicht gelesen werden soll, stellt doch vielleicht den Schlussstein dieser Tradition dar. Vielleicht ist Leach doch der letzte, und gerade deshalb der obskurste Kaiser der postmodernen Literatur. Doch. Vielleicht.

Mark Leach
Cutting Up Two Burroughs
CreateSpace Independent Publishing Platform
2011 · 5,71 Euro
ISBN:
978-1461041702

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