„Der Hass ist heilig“.
Dass heute mehr gehasst wird als früher, ist unwahrscheinlich. Womöglich aber wird die Abneigung offener zur Schau gestellt als dies im vordigitalen Zeitalter der Fall war. Befeuert wird die Zuspitzung der Debatten dadurch, dass in den sozialen Medien und auch auf den Online-Portalen großer und zum Teil auch renommierter Zeitungen und Zeitschriften kaum noch eine Überschrift ohne klare Meinungsäußerung auskommt. Was zur Folge hat, dass man sich nicht zwangsläufig mehr die Mühe der Lektüre machen muss, um sich zu empören, sondern seinen Unmut ebenso umgehend wie ungefiltert via Twitter & Co. über die Welt ausgießen kann.
Das Thema Hass hat also Konjunktur. Man empört sich über „Hassredner“ und „Hassprediger“, und unterliegt zugleich deren Faszination, sei es aus Voyeurismus oder weil man sich recht einfach an ihnen abarbeiten und so bequem die Überlegenheit der eigenen Gesinnung zur Schau stellen kann.
Um derlei zeitgeistige Diagnosen geht es Karl Heinz Bohrer in seiner Aufsatzsammlung „Mit Dolchen sprechen“ jedoch vordergründig nicht. Ihn interessiert vielmehr der literarische, der poetische Hass. Oder in seinen Worten, „die poetologische Signifikanz des Hasses im Werk bedeutender europäischer Dichter zwischen Renaissance, klassischer Moderne und Postmoderne“; ihr spürt er in zwölf Beiträgen von Marlowe und Shakespeare über Kleist und Strindberg bis zu Jelinek und Houellebecq nach. Wobei Bohrer dem Hass eine stärkere Ausdruckskraft beimisst als jeder anderen Emotion, was sich literaturgeschichtlich bereits in der frühen Hass-Lyrik der griechisch-römischen Klassik abgezeichnet habe – man denke nur an „den ersten Satz der europäischen Literatur [als] Homer seine Göttin anrief, den Zorn des Achill zu beschwören“.
Der Unterschied zwischen literarischem Hass – Bohrer spricht von „imaginativer Hass-Rede“ – und ordinärem Hass („diskursive Hass-Rede“) liegt für Bohrer in der inneren Rezeption des Gefühls. „Ersterer ist auf die Gefangennahme unserer Phantasie aus, letzterer auf die Besetzung unseres Denkens durch politisch-ideologische Stereotype.“ Literarischer Hass in seiner Abkehr von Dummheit und Mittelmaß heißt demnach seine Seele zu spüren und seine Verachtung gegenüber den schändlichen Dingen des Lebens zum Ausdruck zu bringen, was für Bohrer, angelehnt an eine Formulierung Zolas, auch als eine spezielle Form des Liebens verstanden werden kann. Allerdings, so Bohrer weiter, lasse sich eine solche Lesart nicht erst seit Zola und dem 19. Jahrhundert erkunden, sondern finde sich bereits in den Figuren und Imaginationen eines Shakespeare, Milton oder Baudelaire.
Der literarisch imaginierte Hass ist für Bohrer in erster Linie ein Instrument zur Abgrenzung des eigenen Ichs vom Rest der Welt. Dieses Motiv ziehe sich über die Jahrhunderte hinweg durch die Texte der untersuchten Autoren. Während „die Alten“ des 16., 17. Jahrhunderts ihren Hass vor allem auf das Politische sowie auf die Repräsentanten des Staates münzten, verschob sich der Fokus in der Moderne auf den privaten Bereich, wobei Autoren wie Céline, Sartre oder Strindberg ihren Hass bevorzugt auf die Banalitäten des menschlichen Alltags münzten. Bohrer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Säkularisierung der Hassobjekte“. Eine neuerliche Zuspitzung diagnostiziert er für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich der Hass auf das Politische und das Alltägliche vermengten – eine Disziplin, in der es laut Bohrer besonders die Österreicher zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hätten. Houellebecq wiederum ist für ihn der Prototyp unseres Zeitgenossen, da bei ihm „existentieller Hass […] mit bösartiger Affirmation des Hassenswerten“ verschmelze. In der Dauerpräsenz des Sexualaktes bei Houellebecq erkennt Bohrer eine Analogie zum Lustgewinn im Mordakt, vom Motiv her vergleichbar mit der Malerei eines Hieronymus Bosch, in dessen Bildern Lust und Gewalt ebenfalls untrennbar ineinanderfließen.
Dass Houellebecq in den Augen Bohrers dennoch kein „guter“ Hasser ist, im Gegensatz zu etlichen der anderen genannten Autoren, liege daran, dass bei ihm der „poetische Funke“ unter der Last einer hypersexualisierten Weltenablehnung verstorben sei. Statt „Unterwerfung“, „Elementarteilchen“ oder „Ausweitung der Kampfzone“ empfiehlt Bohrer daher die (erneute) Lektüre des Hamlet. Denn zu seiner Mutter sei Hamlet eben nicht gegangen, um mit ihr zu schlafen – das wäre die Houellebecq’sche Version geworden –, sondern vielmehr mit einer „mit Dolchen bewaffneten Sprache“.
Ob Bohrer das möchte oder nicht, sein Buch verleiht der aktuellen Hasssprech-Debatte eine willkommene, weil anspruchsvolle neue Facette. Auch wenn man nach der Lektüre zu dem Ergebnis gelangt, dass Hassausbrüche eine größere Durchschlagkraft entwickeln als Liebeserklärungen – zumindest in der Literatur.
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