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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

"Natürlich könnte auch der Pezi von der Liebe erzählen"

Hamburg

Zunächst ein Wort zum Format: Das kleinformatige Büchlein hat ein sinnvoll austariertes Layout – drei Erzählungen finden auf minimalem Volumen Platz, ohne dass wir das Gefühl haben, ein kleinklein bedrucktes, leicht zerstörbares Reclamheft in der Hand zu halten. Man merkt den verlegerisch-designorientierten Ehrgeiz, sieht auf der Verlagshomepage nach und darf berichten, dass die edition mosaik zumindest zu beabsichtigen scheint, bei dieser Aufmachung zu bleiben (will sagen: es ist 2018 neben dem vorliegenden Band von Niederberger noch ein zweiter, von Franziska Füchsl, erschienen).

Zum Buch selbst: Es umfasst drei Erzählungen, von denen die erste mit zwei Dritteln des Umfang die mit Abstand längste ist. Der Titel, "Misteln", verweist uns sogleich ins Reich der Pflanzenmetaphern, Abteilung Ethnopharmakologie – Gift und Medizin / germanischer Weltenbrand und Coca-Cola-Weihnachtsküsse / das Parasitäre und der Zier-Zuchterfolg / … – uns werden also Stories über die Ununterscheidbarkeit, gelegentlich die Falschheit, jedenfalls die Präsenz dieser und ähnlicher Dichotomien in konkreten Leben (Plural) angekündigt; also: Stories, die irgendwelche kulturellen Anpassungsleistungen in Frage stellen  … ob als Kritik am Kultur-Aspekt oder Denunziation eines destruktiven "Anderen" … der kurze Info-Blurb an der Stelle, wo bei anderen Büchern die vordere Klappe wäre, plaudert in diesem Zusammenhang zu viel aus – man möchte selber herausfinden, dass es um

Misteln: Liebessymbol oder halbparasitische Aufsitzerpflanzen?

geht, und dass die Figuren der Verfasserin sich

zwischen moralischer Zerrissenheit und impulsivem Handeln [bewegen]. Die Autorin erschafft eine poetische Umgangssprache, in der sich die Österreichischheit manifestiert und thematisiert gleichzeitig unaussprechlich geglaubte Themen mit (…) Leichtigkeit.

So unumwunden und vorneweg, wie es da steht, hat das den Effekt einer Behauptung, einer allzu einengenden "Einmoderation", und droht zu bewirken, dass das eigentlich Gebotene bloß noch am Grad ihrer Erfüllung gemessen wird. Wir müssen also versuchen, es zu ignorieren. Was lesen wir dann? Drei Beziehungsgeschichten von sehr unterschiedlicher Härte (oder sagen wir Boshaftigkeit) lesen wir, die gerade so wie hier, mit gerade dieser Gemengelage von Reflexion, Figurenrede und Schilderung tatsächlich nur in der Grammatik der österreichischen Umgangssprache zu erzählen gewesen sein werden.

Die erste, lange, "Mit dem Mohn muss man dann laufen", ist angelegt als Vexierspiel zwischen drei Perspektiven, organisiert als Rashomon-Variante im dialektischen Dreischritt – einerseits-andererseits-peng! – und wird für den individuellen Leser "funktionieren", wenn auch die Schlusspointe "funktioniert" (was wiederum davon abhängt, ob man sie zwischen den gelegten falschen Fährten kommen sieht). Präsent (ob real oder nicht) sind hier alle Lieblingsthemen der leichten österreichischen Unterhaltungsmuse: Mord, Notzucht, Rache, Inzest, Vereinsamung, Ausweglosigkeit, Todessehnsucht, Misstrauen, die Möglichkeit lustiger Verwechslungen …

Wesentlich weniger dramatisch geht es im zweiten Text zu, einer Shortstory mit einem Familienvater, seiner Geliebten, ihrer Eifersucht und der Frage, wer da an wem "parasitiert" –

Wenn ich eine Venusfliegenfalle bin, dann bist du eine Mistel, sage ich.

–, und im dritten, einer beinahe zarten Liebesgeschichte, in deren Verlauf ein, sorry, unterdurchschnittlich intelligenter Lastwagenfahrer und eine sitzengelassene junge Schwangere zueinanderfinden (und der Kindsvater verdient Dresche bekommt).

Ärgerlich an diesen drei durchgehend kurzweilig zu lesenden, wohlgefügten und dem gelernten Österreicher durchwegs nachvollziehbaren Shortstories ist allerdings, dass sie alle kleine Stellen aufweisen, wo der sprachliche Ausdruck für die verschiedenen Beschränktheiten der Figuren gar zu dick aufgetragen ist –

[Mein] Geheimnis, das, wie gut es sich anfühlt, wenn man da hingreift, wo das goldene Wasser herkommt, nur bei Agnes war es nicht so gut wie bei mir.

Frage: Warum wirft uns diese Stelle aus dem Lesefluss? – Antwort: "Wo das goldene Wasser herkommt" ist gleich auf mehrere Arten zu kompliziert, als dass die Unbedarftheit des Sprechers darin sich verdeutlichen könnte – gerade ein Sprecher mit restringiertem Code, mit oder ohne unvernünftige Tabus, wird irgendein Alltags- und/oder Kinderwort für "Genitalien" und "Urin" parat haben. Es sind – seltene – Stellen wie diese, da wir drauf gestoßen werden, dass Lisa-Viktoria Niederberger die inneren Monologe ihrer Figuren tatsächlich alle durchgängig kunstsprachlich montiert (was [a] nicht immer gut gehen kann, aber [b] in dieser weitgehenden Unaufdringlichkeit auch wieder eine Leistung ist).

Lisa-Viktoria Niederberger · Josef Kirchner (Hg.) · Sarah Oswald (Hg.)
Misteln
Edition Mosaik
2018 · 72 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-9504466-3-0

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