Fußnoten einer Dichterin, die lesend auf sich selbst zurückkommt
Eigentlich könnte ich für eine Rezension die Fußnoten zitieren und heraus käme eine Beschreibung dieses Bandes, in dem „nichts durch die Blume gesagt wird“ (1. Fußnote). Vielmehr wird für Regen gesorgt, mit dem sich „das aufblühende Gedicht“ in aufeinander folgenden Fassungen immer weiter entfaltet, nicht ohne zu seiner Zeit auch beschnitten zu werden. Damit Farben, Gemälde und das, was in der Welt geschieht darin austreiben können. Zum Beispiel, die kurz aufeinander folgenden Todesfälle von Leonard Cohen und Ilse Aichinger 2016. Und die anderen, ungleich gewaltsameren Todesfälle, von Deborah Vogel und ihrer Familie z.B., die „im Ghetto von Lemberg von den Nazis ermordet“ wurden. Woraus sich fast zwingend die Frage ergibt, was überhaupt erzählt werden kann. Und was sich auflöst im und durch das Erzählen.
Margret Kreidl dichtet, wie ein guter Jazzer improvisiert. Aufmerksame Wahrnehmung und Beschäftigung mit der Sprache, und dann loslassen und drauf los spielen. So sind ihre „Gedichte mit Fußnoten“ nicht zuletzt Assoziationsketten, die demonstrieren wie ein Gespräch mit anderen Dichtern und der Umwelt, mit dem was uns anzieht und abstößt, so gelingen kann, dass es weniger philosophisch aufgeladene Bedeutung als vielmehr ein humorvoll und durchaus körperliches Bild des Lebens wird. Verspielt, existenzialistisch, böse. Sehr politisch, ohne jemals den Zeigefinger herauszuholen, oder sonstwie falsch zu klingen.
Eine der Fußnoten, die ich in nahezu jedem Gedicht Kreidls wiederzufinden glaube, besteht aus einem Zitat von Danilo Kis: „Die Prosa beginnt da, wo die Botschaft aufhört.“ Das ist was Kreidls Gedichte so anziehend macht, dass sie über die Botschaft hinausgehen, dass sie Botschaften transportieren, ohne sie herauszustellen. Das bedeutet nicht zuletzt, dass sie weiter reichen, oder zumindest tiefer ergründen, was Wirklichkeit ist, wie wir Wirklichkeit machen und wie sie dann auf uns wirkt.
Die Gedichte beschäftigen sich mit Kindheit, Lebenslauf, Vergangenheit und Gegenwart. Der Ton ist weder pathetisch noch lakonisch, sondern auf diese besondere kreidlsche Wiese erhaben witzig und mit Leichtigkeit ernst. Mir kommt unwillkürlich Eliot Weinberger in den Sinn. Ebenso wie Weinbergers Essays verfügen Kreidls Gedichte über eine besondere Luftigkeit, über dieses Schwebende und gleichzeitig in die Tiefe reichende von Gedanken, die nicht einmal über Grenzen hinwegsehen, weil sie so frei sind, dass sie kaum Grenzen zu kennen scheinen.
„Ich sehe meine abgeschnittenen Zöpfe
auf dem Boden liegen,
meine langen, braunen Zöpfe,
ich habe ohne zu fragen
meine Zöpfe abgeschnitten,
ich bin ein Rabenaas,
sagt meine Großmutter,
ja, meine Zöpfe sind schwarze Federn
und jetzt fliege ich davon.“
Findet das Tier, das Zöpfe hat, den Mut, sie abzuschneiden, fliegt es davon. Und aus luftiger Höhe beschreibt es in fliegenden Fußnoten die Schwerkraft, die uns am Boden hält.
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