Anzeige
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
x
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Sichten und Lichten

Hamburg

Marie Darrieussecq lebt in Paris und ist keine Unbekannte der französischen Literatur. Sie hat bisher 16 Bücher veröffentlicht, v.a. Romane, darunter einige Bestseller, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. 2010 hat sie erstmals ein Bild der Malerin Paula Modersohn-Becker gesehen, einen liegenden Akt mit Kind, und war fasziniert davon gewesen. Später hat sie in Museen Deutschlands zahlreiche Werke der Künstlerin kennengelernt und sich gewundert, weshalb „ihre Stadt Paris“, also Paulas Stadt, „sie niemals ausgestellt hat“.

Gemeinsam mit Julia Garimorth und Fabrice Hergott stellte sie 2016 die erste Ausstellung zu Paula Modersohn-Becker in Paris zusammen, die von April bis August 2016 im Musée d’Art Moderne zu sehen war. Und sie schrieb eine Biografie der Malerin, die nun in der deutschen Übersetzung von Frank Heibert und Patricia Klobusiczky vorliegt.

... ein Frühling und ein Sommer für Paula, hundertzehn Jahre nach ihrem letzten Pariser Aufenthalt. Schreiben, zeigen – für mich war das dieselbe Geste der Zuneigung

schreibt Darrieussecq in ihrem Nachwort über die Entstehung des Buchs. Denn schreiben und zeigen, denn schreibend zeigen will sie, was sie an der jung verstorbenen Frau aus Deutschland fasziniert. Das Subjekt ihres Interesses, Paula Modersohn-Becker, wurde 1876 geboren und starb 1907 erst 31-jährig an einer Embolie, achtzehn Tage nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde. Sie hat einen Teil ihrer Kindheit in Bremen verbracht, wo seit 1927 das Paula Modersohn-Becker Museum Werke der Künstlerin zeigt. Sie hat etliche Jahre in der Künstlerkolonie in Worpswede gelebt, jener „Einsiedelei zwischen den Mooren“, die vom Maler Otto Modersohn mitbegründet wurde. Mit ihm war Paula von 1901 bis zu ihrem Tod verheiratet. Und sie hielt sich insgesamt vier Mal für längere Zeit zu Studienzwecken in Paris auf, ein Umstand, dem die französische Schriftstellerin besonderes Interesse entgegenbringt. Paula Modersohn-Becker hat als Jugendliche zu zeichnen begonnen:

Mit sechzehn, als sie bei ihrer Tante Marie in England lernen soll, einen Haushalt zu führen, kommt Paula Becker früher zurück als geplant. Sie hat angefangen zu zeichnen, intensiver als geplant. Ihre Mutter ermutigt sie dazu und nimmt sogar einen Untermieter auf, um ihr den Unterricht zu finanzieren. Und ihr Vater betrachtet das nicht mussbilligend, sondern als Weg zu einem Beruf, im Schuldienst. Im September 1895 besteht Paula ihre Prüfung zur Volksschullehrerin.

Was auch sonst, könnte man sagen, für eine Frau ihrer Zeit gab es schließlich kaum andere Ausbildungsmöglichkeiten. „Aber sie fängt nicht gleich mit dieser Arbeit an“, denn ihre Eltern „legen eine große Offenheit im Denken an den Tag“. Ihnen, einer kleinen Erbschaft sowie der finanziellen Zuwendung Verwandter ist es zu verdanken, dass sich Paula weiteren Ausbildungen zur Malerin widmen kann. Sie geht nach Worpswede und lernt bei Fritz Mackensen, später belegt sie Kurse in Paris. Sie erlebt in ihrer Kunst Zeiten „des Zweifels und des Kampfes“ und will doch nichts anderes als „[m]alen, malen, malen“. In knapp 15 Jahren erschafft sie rund 750 Gemälde und etwa 1000 Zeichnungen. Erst mit dreißig Jahren wird sie das erste Bild verkaufen können, zu ihren Lebzeiten finden nur drei ihrer Werke einen Käufer.

Paula ist eine Blase zwischen den beiden Jahrhunderten. Sie malt schnell, ein Blitz

schreibt die Schriftstellerin in einer ihrer vielen legeren Einfügungen, die manchmal an Werbesprech erinnern. Darrieussecq adressiert die Malerin im Buch mit ihrem Vornamen, während von allen anderen Personen meist auch der Nachname genannt wird. Sie folgt dem Lebenslauf weitgehend chronologisch. Ihr Schreibstil ist locker, das Buch leicht lesbar. Interessant ist ihre Herangehensweise. Sie wählt Schnipsel aus unterschiedlichen Quellen, etwa Tagebüchern und Briefen, manche davon nur einen Satz oder wenige Zeilen lang, kollagiert diese und kommentiert, stellt Vermutungen an, reist selbst nach Worpswede und versucht „zu sehen, was Paula gesehen hat“, wagt Zuschreibungen und Interpretationen, wertet, manchmal durchaus salopp:

Und ihr Grab: grauenhaft. In Worpswede. Dies Dorf in der Sülze des Tourismus ...

Die Schriftstellerin lässt in der Ich-Form dabei manchmal den eigenen biografischen Hintergrund durchblicken, etwa ihre Mutterschaft, setzt ihn in Bezug zu jenem der Malerin. So entsteht ein buntes Puzzle, allerdings mit deutlichen Leerstellen. Der Zusatz zum Titel des Buchs lautet: „Das Leben der Paula Modersohn-Becker“ – im Original: „Vie de Paula M. Becker“ (warum Darrieussecq hier den Namen Modersohn abkürzte, darüber ließe sich spekulieren). Doch es ist nicht „Das Leben“ der Malerin, dem wir in diesem Buch begegnen, sondern eine Projektion der Autorin,

... nicht das gelebte Leben der Paula M. Becker, sondern lediglich das, was ich davon wahrnehme, ein Jahrhundert später, eine Spur

die manchmal ein wenig dürftig ist und durch Spekulation bereichert wird. Denn es sind ein paar Ausschnitte und knappe Einblicke in Leben und Werk, selten auch eklatante Fehlgriffe, etwa wenn die Autorin die Malerin bereits auf Seite 9 als „Figur der Romantik“ etikettiert und damit einen Seitenweg zur Verkitschung ebnet. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Autorin eher wenig Ahnung von Malerei hat und die Zeit nicht aufbrachte, sich für diese Biografie intensiver mit Grundlagen zu beschäftigen. Denn das, was die Kunst der Paula Modersohn-Becker ausmacht, wird später im Buch zwar gestreift, ihre besondere Leistung, die durch den frühen Tod jäh beschnitten wurde, aber allzu kurz angetupft. Man erwartet sich in der Biografie einer Malerin eine etwas fundiertere und eingehendere Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Eigenartig ist zudem, dass, im Gegensatz etwa zu Rainer Maria Rilke s.u., ihrem Mann Otto Modersohn wenig Raum zukommt, immerhin hat er es seiner Ehefrau ermöglicht, sich allein nach Paris aufzumachen, ein Umstand, der am Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich war, und er, der von seiner Kunst gut leben konnte, hat ihre künstlerische Unabhängigkeit mit seinem Geld finanziert. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang wenige Einträge aus seinen Tagebüchern, die in die vorliegende Biografie aufgenommen wurden, seine würdigende, vor allem aber seine manchmal kritische, von der Kunstgeschichte längst widerlegte Einschätzung ihrer Werke zeigen. Man wünscht sich, ein wenig mehr von dieser, für jene Zeit ungewöhnlichen Beziehung zu erfahren. Aber möglicherweise fand Darrieussecq, dass diese schon in anderen Biografien genug Raum gegeben wurde und wollte sich und ihr Werk bewusst davon absetzen.

Wer und was die Schriftstellerin allerdings brennend interessiert, ist der Dichter Rainer Maria Rilke und die Frage, ob er und Paula etwas miteinander hatten oder nicht. Im September 1900 lernten sie sich in Worpswede kennen, liefen sich auch später manchmal über den Weg, blieben über Briefe verbunden. 1906 begegnete sie ihm zum letzten Mal. Da hatte er sich schon längst von seiner Ehefrau Clara Westhoff getrennt. Die Autorin begibt sich auf die Spurensuche der Beziehung zwischen Paula und Rilke, spekuliert, scheut Triviales und Kitsch dabei leider nicht. Vage stellt sie eine Dreiecksgeschichte in den Raum.

Rainer Maria Rilke zögert. Paula, Clara. Sein Herz schwankt. Ein Trio wäre eher nach seinem Geschmack. Das wird sein Leben lang so bleiben.

Zeilen wie diese sind schwer erträglich. Schafft man es aber, über das schwankende Dichterherz und ähnlichen Müll, der immer mal wieder auftaucht, drüberzukommen, dann ist das Buch zwar noch immer nicht der große Wurf, doch durchaus lesenswert. Der Titel „Hiersein ist herrlich“ weist übrigens schon den Weg zu Rilke, denn er ist ein Zitat aus seinen Duineser Elegien. Fazit: Mehr Paula Modersohn-Becker und weniger Rilke, „der ihren Namen nie nannte“, wäre interessanter gewesen, vor allem aber weniger Darrieussecq, weniger „ich, eine Frau und Künstlerin“, damit uns Sätze wie dieser, die man definitiv nicht zu wissen braucht, erspart blieben:

Und ich würde auch gern glauben, dass Paula glücklich war ...

Marie Darrieussecq
Hiersein ist herrlich / Das Leben der Paula Modersohn-Becker
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky und Frank Heibert
Secession Verlag
2019 · 127 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-906910-65-9

Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge