Passives Wissen
Seit jeher betätigen sich Architekten nebenher auch als Autoren. Mit mehr oder weniger drastischen Ergebnissen, entweder es sind mitunter peinliche Geständnisse oder belehrende Gebete oder aber ganz einfach wie von einem Schisma abgetrennte Äußerungen ihrer Persönlichkeit, die als selbst zu verantwortende Ergänzung zu ihren Gebäuden zu werten sind, nicht immer zum Vorteil. Wo Peter Zumthor beispielweise eine esoterisch solierende Sprache sucht, aber immerhin das sprachliche Werk also gestaltet, ging Adolf Loos in Hetz- und Hassschriften auf die Menschheit los, erwarb Aldo Rossi sich einen Ruf als syntaktische Widerspruchsschleuder, erschafft Rem Koolhaas einen großen Wust innovativer Nebenschauplätze, macht BIG Comics aus sich, hat Le Corbusier immerhin besser geschrieben als gemalt, sagte Mies van der Rohe nur: Build, don't talk und hatte damit Recht, können Christopher Alexander und Robert Venturi besser schreiben als bauen undsofort und alle paar Jahre erscheint trotz all dieser Listen, die nichts weiter besagen, als dass man nicht automatisch das eine kann und das andere auch, das Wagnis Architektenprosa neu.
Hier von Valerio Olgiati, es heißt Nicht-Referentielle Architektur, erschienen in diesem Jahr als übersetzte Neuauflage bei Park Books. Klugerweise schreibt Olgiati, nicht er habe es geschrieben, sondern nur "gedacht von", ausgeführt hat es Markus Breitschmid, Architekturtheoretiker und damit Teil der schreibenden und nicht bauenden Zunft derer, die es zu fantastischen Büchern und Sprachen gebracht haben wie Jane Jacobs oder Reyner Banham etc. ohne je zu bauen. Das hübsch gestaltete Buch, von Olgiati selbst, ist ein eigentümlich vermischendes Prosastück, das vielleicht eine Essenz dieser sämtlichen oben genannten Ausschläge in sich vereint. Es scheint zutiefst skeptisch, verliert schwierige Worte über das "Scheitern der Multikultur", man weiß nicht, wo es sich hier positioniert, denn es ist auf der anderen Seite durchaus nicht ultra-konservativ oder gar revisionistisch, sondern eher ahnungslos und fordert eine anthropomorphe Rückbesinnung auf Urerfahrungen von Raum, diese allerdings jenseits von jeder Referenz, was im Grunde ein tabula rasa Denken für den offenen Start, kombiniert mit no future Attitüde anweist. Dies ist durchaus interessant und nach vorne blickend, speziell die Forderung an Architektur, in jedem Falle neu zu sein, d.h. konzeptuell und ideell, nicht auf Material oder dergleichen bezogen, ist eine zutreffend formulierte Kritik an 99% der heutigen Praxis.
Architektur soll Menschen zu Kreativität anregen – genau das ist ihr gesellschaftlicher Auftrag, und deshalb müssen Gebäude Aspekte von etwas Neuem haben. Der Neuheit kommt in der Architektur also eine spezifische Aufgabe zu. Sie bringt den Betrachter eines Gebäudes dazu, mit diesem in einen Diskurs zu treten, und insofern mit der Welt. Wohnt einem Gebäude nichts Neuartiges inne, so werden ihm die Betrachter keine weitere Aufmerksamkeit schenken, wie es der Fall ist bei allen Gebäuden, die keine einnehmenden Eigenschaften aufweisen.
Dass die Prinzipien Olgiatis, sieben sind es, anscheinend genau seine eigene Architektur zu erfüllen weiß, bzw. die textlichen Ausführungen seine eigenen Projekte zum Teil diskreditieren [sic!], rückt den Band wiederum in die Song of Myself-Richtung, zum Glück verzichtet das Buch aber fast gänzlich auf Abbildungen und Verweise, sodass die nötige Offenheit einer solchen Schrift wiederum gegeben ist.
Die Prosa ist bisweilen voltig, Aldo Rossi-haft voller Widersprüche, belehrend und esoterisch zugleich, dann aber wiederum sind ganze Passagen von klarer Brillanz. Und sie hat definitiv nicht nur rein auf Architektur bezogene Gültigkeit, sondern für schöpferische, beauftragte Kulturproduktion allgemein.
Eine Gebäudeidee muss zwei Qualitäten aufweisen: Sie muss formgenerierend und sinnstiftend sein [...] Wie kann ein einzelnes Gebäude auf nur eine, wenn auch signifikante Art und Weise existieren, ohne dass es sich von einem ideologischen Überbau ableitet, der keine Gültigkeit mehr besitzt?
Formulierungen wie "Die vorliegende Abhandlung zur nicht-referentiellen Architektur radikalisiert die oben aufgeführten Befreiungsversuche [Eisenman bis HdM] nicht nur, sie überwindet auch die Architektur der Postmoderne und Spätmoderne" sind dennoch zuhauf vorhanden und sprechen, wie auch unglückliche Heidegger-Zitate und hinkende Vergleiche von "Menschen des Eises" mit denen "der Wüste", eine entglittene unbescheidene Sprache, die wiederum durch Olgiatis Oeuvre, das sich bisher nicht den Nicht-Architekten als signifikant in irgendeiner der hier geforderten Richtungen aufgedrängt hätte, gerechtfertigt wird. "Ersticken in Referenzialität", "Entzauberung" und "Glaubwürdigkeit" geistern als Termini durch das Buch, und sind insofern anregend, als dass man lesend sich sehr schnell positionieren kann und ein großes Netz an Denkwegen sich unmittelbar auftut. Dennoch bleibt der Beigeschmack, dass der Text selbst nicht genau weiß, womit er eigentlich um sich wirft, denn 99% heutiger Bauproduktion haben keine Referenz aufzuweisen und keine "Ideologie" außer menschlichen Ackerbau in Zeiten kapitalistischen Überkochens.
Die Essenz dieses Buches ist folglich eine unbeabsichtigte: individuell Architektur zu machen ist immer noch besser als prinzipienlos sich mieten zu lassen im Dienste eines Systems. Und dies tut Olgiati, dies tut auch dieses Buch, anregenderweise. Also ist es, bei allem Krudismus, ein mutiges und wichtiges Statement der Kategorie "Architektenpersönlichkeit in Schrift geflossen". Anregend.
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