Bienensummen und Verse in Moll
Während ich diese Zeilen schreibe, hat eine Biene die Einladung der offenen Balkontür angenommen und sich in mein Zimmer verirrt. Sicher ein Zufall und doch passt ihre ungebetene Gesellschaft gut zu einem Teil der Gedichte, die Matthias Buth in seinem neuen Lyrikband Paris regnet aufgenommen hat. Denn in mehr als zehn Gedichten summt und fliegt es durch die Zeilen, steht das Bienenvolk für Freiheit und Klugheit, von denen der Mensch lernen kann.
Sie wie die Bienen sich verfliegen und sich erst so
Orientierung geben zu den Blüten die sie kennen
Seit Samenbeginn seitdem Arkadien wieder aufgetaucht ist
Bienen als Teil der Natur. Da gibt es die Löwenzahnwiese, den Sonnenteppich, den Honigtau.
Auch in anderen Gedichten von Matthias Buth spielt die Natur eine wichtige Rolle. Oft ist sie klüger als der Mensch. Wer aber könnte leben ohne den Trost der Flüsse, lautet die schöne Zeile aus dem Gedicht Sur Vienne. In einer Welt, in der es um Brexit und wie in einem Gedicht um Grexit geht, sind sie das Beständige:
Die Donau wird weiter das Schwarze Meer füllen
Ihr Quellenmund spricht die Sprachen
Der Stummen und GärtenDenn Flüsse sind Liebende
Die Abschied nehmen von Welle zu Welle
Und dennoch bleiben
Jürgen Brôcan hat Recht, wenn er in einem Nachwort schreibt, Matthias Buth betrachte die Nähe und die Ferne. Von Blumenwiesen lässt er den Blick u. a. weit über die Dächer von Paris, nach Verdun, bis hin zu (Roma-)Dörfern Rumäniens schweifen, um nicht nur über Gegenwärtiges, sondern auch über die (oft blutige) Vergangenheit zu schreiben.
In dem Kapitel Paris regnet, das dem Band den Titel gegeben hat, finden sich Gedichte über Brasserien, in denen Zeitungsleser ihren Café au lait trinken, und in dem bereits erwähnten Gedicht über den Fluss Vienne heißt es Hennadolden schliefen noch an Schmetterlingshecken. Aber es geht auch um das im Ersten Weltkrieg zerstörte Dorf Fleury und um den vom IS getöteten Priester Jacques Hamel.
Ali und Emmi tanzen nicht mehr. Dieser Titel des zweiten Kapitels zitiert den Film Angst essen Seele auf von Rainer Werner Fassbinder. Darin geht Matthias Buth auf aktuelle politische Themen ein. So wird beispielsweise der Satz von Innenminister De Maizière anlässlich des 2015 in Hannover abgesagten Fußballländerspiels Ein Teil der Antwort würde die Bevölkerung / Verunsichern in dem Gedicht zitiert und als Ein Schuss in den Nebel kommentiert.
Ob wir wollen oder nicht, wir sind mit den Fremden verbunden:
Wir selbst sind die anderen
Die Spiegel die in die Spiegel gehen
Die Steinigungen in Syrien sehen uns
Werfen Steine ohne zu wissen dass wir dort wimmern
Auch in diesen Gedichten, die sich mit harter Realität (Zwangsarbeiter, verarmte alte Menschen) auseinandersetzten, findet Buth wie im ganzen Band poetische Bilder.
Aleppo ist ein weißes Tuch das brennt
Bis es aufgeht im Sand
Buths Lyrik ist nicht nur durch zahlreiche Alliterationen und gekonnt eingesetzten Rhythmus durchgehend musikalisch, sondern immer wieder klingt Musik in den Gedichten als Thema an. Manchmal steht sie für die Stimmung in der Natur
Hier spielt auch Beethoven seine Bagatellen
und Schubert geht in a-Moll über die Wiesen
doch beim Tod des französischen Priesters ist F-Moll Tonart der Melancholie.
In Vocalise erinnert er an die russische Sängerin Antonia Wassilijewna Neschdanowa, an der Klagemauer gibt es einen Schatten in Moll und in Gartenmusik ist der Bienenstock ein warmes Cello.
Sehr schön sind die Zeilen:
Zwischen Fis und G
Die winzige Öse
Bach zieht Silberfäden hindurch
Wolken, Regen, viele überraschende Bilder ließen sich noch anführen, Tropfen beispielsweise, die auf Lack perlen und an Blindenschrift erinnern.
In dem Gedicht U-Boot beschreibt der Autor sein Schreiben als ein Abtauchen, ein Sichverlassen.
Unsichtbar bin ich auf Tiefgang
Ins Innerste Ich
Aber die Lyrik von Matthias Buth hinterlässt ein Echo, einen Schatten, wie die Gondel in dem Gedicht Zum Schauinsland.
Der Morgen hatte sich schräg gestellt
Die Sonne zeichnete mit langen Armen
Und verdoppelte die Luftkapsel
Ihr Schatten zog mit uns hinaufDie zweite Gondel muss zu Fuß hoch
Am Boden
Durch Bäume und durchs Gestrüpp
Matthias Buths Gedichte zeichnen sich zum einen durch die Vielfalt der Themen aus, wobei alle Beschreibungen nie Selbstzweck sind, sondern über den eigentlichen Inhalt hinausweisen. Vor allem aber besticht seine poetische Sprache, der Erfindungsreichtum seiner Metaphorik. Altmodisch ausgedrückt könnte man sagen, seine Lyrik ist ein gelungenes Zusammenspiel von Inhalt und Form.
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