Keine Sprache spendet Trost
Menno Wigman 1967 - 2018
In seiner niederländischen Heimat ist Menno Wigman schon seit vielen Jahren eine wichtige poetische Gegenwartsstimme. So war er bereits 2002 Jan-Campert-Preisträger für sein Gedichtbuch "Zwaart als kaviaar", 2012/13 Stadtschreiber in Amsterdam und wurde im vergangenen Jahr mit dem angesehenen Adriaan-Roland-Holst-Penning ausgezeichnet. In Deutschland ist er dagegen leider noch wenig bekannt - ein Umstand, der die Kölner Parasitenpresse dazu bewogen haben mag, nun einige seiner Gedichte in Übersetzungen durch Gregor Seferens vorzulegen.
Hierbei wurde ein Querschnitt aus seinem lyrischen Werk berücksichtigt, der von seinem ersten bei einem größeren Verlag erschienenen Lyrikband "´s Zomers stinken alle steden" (Bakker, 1997) bis zu seiner letzten Einzelveröffentlichung "Slordig met geluk" (Prometheus, 2016) reicht. Von ersterem hat sich die Parasitenpresse auch gleich den Titel für ihre Blütenlese geborgt: "Im Sommer stinken alle Städte" heißt das schmale Bändchen mit gerade einmal 42 Seiten, das jetzt in der Edition "Die nummernlosen Bücher" vorgelegt wurde.
Es enthält 33 Texte von Menno Wigman, die sich schon rein äußerlich durch eine relativ straffe Form auszeichnen: bis auf ein einziges ("Unendlich wach") sind alle Gedichte strophisch gegliedert. Am häufigsten taucht eine Gruppierung auf, die sich mit etwas Phantasie als eine Art Sonettvariation (14 Verse in 5-4-3-2-Anordnung) interpretieren ließe, wobei das Couplet am Schluss ähnlich wie beim elisabethanischen Sonett inhaltlich oft eine pointierte Zuspitzung der vorangegangenen Verse bildet. Aber auch durchgehend zwei-, drei- oder fünf- oder gar siebenzeilige Gruppierungen finden sich.
Dazu passt, dass Wigmans Gedichte ungeheuer viel inneren Rhythmus aufweisen, der aber nicht in ein durchgängiges Versmaß gepresst wird, sondern sich frei fließend entfalten kann. Die Sprachrhythmik, von der man annehmen darf, dass der erfahrene Übersetzer Gregor Seferens sie für das Deutsche so weit wie möglich adaptiert hat, trägt jedoch sehr stark zur Wirkungsweise der Gedichte bei. Es ist gut vorstellbar, dass sie ihre Wucht vor allem in rezitierter Form entfalten. Beim Laut-Lesen stellt sich unwillkürlich jener gallig-verzweifelte Ton ein, der mit den Inhalten zu assoziieren wäre:
Die grauen Jungs im Abendbus. / Zwei Meter weiter eine Mutter mit ´nem Schnurrbart. / Und an jeder Haltestelle zwei überlebensgroße, / neonrote Frauenlippen, die dir sagen, / was deinem Leben fehlt.
In diesen Texten geht es tatsächlich analog zum gewählten Titel mehrheitlich um urban verortbare Themen. Die Stadt erscheint hier allerdings weniger als bedichtetes Subjekt denn als Projektionsfläche für die ganze Bandbreite menschlicher Verfasstheiten: das eigene Schreiben, das Gesellschaftsportrait, Liebe, Sex, Aggression, Ausweglosigkeit, Tod, aber auch Freude. Wigman verhandelt den ganzen Kosmos dichterischen Sprechens in der Gegenwart vor dem Hintergrund der großen Ballungsräume:
...träumen zwischen Bücherdeckeln und / erwachen in der Zweiundzwanzig-Städte-Hölle, / heillos wie das herausgehackte Herz von Rotterdam.
Diese große thematische Fülle ist kein Zeichen für lyrische Beliebigkeit, sondern Beleg für Erfahrungen eines immerhin mittlerweile Fünfzigjährigen, die poetisch weitergegeben werden. Und doch (oder gerade deswegen) ist sich Menno Wigman stets bewusst, wie wenig die künstlerische Sprache letztendlich zur Erkenntnis beizutragen vermag:
Und wir, wir lebten ihn, beschrieben ihn in glühendem / Deutsch, das nichts durchschaute [...] / Keine Sprache spendet Trost
heißt es in einem Gedicht über Kaspar Hauser. Der sezierende Blick des Lyrikers Menno Wigman bleibt kein Selbstzweck, wie es leider bei so vielen Poeten zu beobachten ist. Das wird offenbar, wenn er aus der Sicht eines ausrangierten Fernsehgeräts über seinen ehemaligen Besitzer sagt:
Der Sack. Dass er nicht sah, wie lebensecht / ich ihm die Zeit aus seinen Augen aß. Der Sack.
Seine Metaphorik ist eher sparsam, er versteht es weitgehend ohne Neologismen, rein durch Wort- und Begriffsmontagen, Bilder zum Leuchten zu bringen, wie in einem Text über das Küstendorf Petten, in dem seit Jahrzehnten ein Hochfluss-Forschungsreaktor betrieben wird, bei dem es 2001 beinahe zu einer Kernschmelze gekommen sein soll:
Wer unter dem Reaktor wohnt, verpflanzt / die Angst oder zieht weg. Und wer hier wohnt / biegt mit unbeugsamem Geist den Blitz zurecht, / macht unermüdlich Spaltstoff klein.
Der sprachlich ausdifferenzierte Umgang mit Aggressionen (auch den eigenen) ist ein weiteres, vielleicht sogar das wichtigste Merkmal der wigmanschen Poesie. Immerhin sind dem Band zwei Zitate vorangestellt, die nur scheinbar in komplettem Widerspruch zueinander stehen: Markus 5,9 und eine Textzeile von Johnny Rotten. Im Bibelzitat geht es schließlich um die Austreibung einer Legion aggressiver, "unsauberer Geister" aus einem Mann durch Christus, und Rottens "fuck this and fuck that" spiegelt vielleicht gerade genau diesen Mann aus dem Markusevangelium in die Neuzeit. In Wigmans Gedichten finden sich immer wieder versteckte und offene Anspielungen auf (Selbst-)Zerstörung, so in einem Gedicht "An meinen Schwanz", wo es heißt:
du pennst seit Tagen schon in meiner Hose, so müd / von dem, der wütend dich erlöst von deinem Samen.
Im Text "Herostratos" wird gar ein regelrechtes Massaker angekündigt:
Napoelon, las ich, war farbenblind, / und Blut war für ihn grün wie Gras. [...] // ...Hör mir zu: Ich geh / gleich auf die Straße raus, ich tu´s, und schieß / mich leer und färb die Feststadt grün.
Die scheinbar verharmlosende Verfremdung durch die Rot-Grün-Verwechslung löst den eigentlichen Alarm bei der Leserschaft aus - so, nämlich aus der Unfähigkeit, Zeichen und Metaphern zu deuten, wird schließlich immer wieder aufkeimende Gewaltbereitschaft bei potenziellen Amokläufern übersehen.
Wigman verbindet ganz häufig einen "hohen Ton", in dem lange vergangene Jahrzehnte anklingen und der zum großen Teil aus der bereits erwähnten ausgeprägt rhythmisierten Sprache erwächst, mit Gossenbegriffen und Alltagsjargon, gepaart mit dieser hoffnungslosen Traurigkeit, die sich in bitterer Ironie ertränkt:
...Welchen Sinn hat es denn noch, / in einer Sprache denken, die keine Zähne hat? / Ich steh allein. Meine Worte sind zum Teufel.
Ein Glück für uns als Leserschaft, dass Menno Wigman dennoch weiterschreibt.
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