"Wozu die ganze Gräuelscene?"
Na dann. Wir nehmen zur Kenntnis: Michel Houellebecq findet Arthur Schopenhauer toll. Michel Houellebecq will uns erklären warum, und will darüber hinaus offenbar erreichen, dass auch wir Schopenhauer toll finden. Er geleitet uns zu diesem Berufe durch seine Lieblingsstellen in "Die Welt als Wille und Vorstellung" und "Aphorismen zur Lebensweisheit", kommentiert diese Stellen und verknüpft sie, sodass wir uns nach den nur knapp 80 Seiten des vorliegenden Büchleins in dem Gefühl wiegen dürfen, bereits einen ausreichenden Ersteindruck über das Hauptwerk des alten Buddhäo-Pessimisten1 zu besitzen. Dieses Gefühl wird natürlich trügerisch sein: Houellebecq kann hervorragend schreiben, und das bedeutet auch, dass er uns seine Sicht auf eine Sache als diese-Sache-selbst verkaufen kann, wenn wir nicht aufpassen. Gut erinnert sich z. B. der Rezensent, wie er sich beim Lesen von Houellebecqs frühen Romanen mit jenem erz-sexistischen Sonderweg der Existenzphilosophie anstecken ließ, der den Protagonisten dort eignet (wo jener Kettenraucher-Vitalismus dann ernstlich überzeugend wirkte und veritable Kurzzeitdepressionen auslöste, nach dem ungefähren Strickmuster: "Oje, ich bin über fünfundzwanzig, und jetzt gerade in diesem Moment sitzt keine siebzehnjährige Nymphe auf meinem Schoß – es ist wohl besser, ich bringe mich umstandslos um.")
Doch zum Glück ist die Sorge um unsere allzu leicht verführbaren Denkorgane hier verfrüht und rundweg fehl am Platz: "In Schopenhauers Gegenwart" besticht, soweit es Houellebecqs Text anbetrifft, durch allzu apodiktisches Geschwätz, das keinesfalls droht, uns durch Stilsicherheit zu blenden. Gelegentlich unterhaltsame, aber leider auch aufreizend verkürzende Pointen hängen jeweils am Ende von Absätzen rum, die auf Rudimente besseren Wissens und Vermögens beim Verfasser deuten und unseren Ärger dadurch nur noch weiter steigern. Und das ist alles ausgesprochen schade: Sowohl die Auswahl der Primärtextstellen als auch die eher glossarisch zu lesenden Anteile des Sekundärtextes weisen den Kompilator durchaus als einen Kenner dieser Materie aus.
Wir dürfen hinter dem zuhandenen Missstand eine verlegerischen Eingriff vermuten: Ein kurzes Lesebüchlein, das mit Houellebecq und Schopenhauer zwei sprachmächtige Stichwortgeber unserer zeitgenössischen Elitärkonservativen locker-flockig über die Jahrhunderte und Sprachen hin miteinander verknüpft; ein gefälliges, aber dabei nicht doofes kleines Buch – das geht super im Weihnachts- und überhaupt im Geschenkgeschäft. Wenn dagegen der prominente Verfasser jede Stelle, wo uns jetzt ein unangemessen apodiktischer, geradezu pubertär angriffslustiger Halbsatz aufstößt, durch zwei-drei angemessen ausführliche Absätze zähen Durcharbeitens ersetzt haben würde, dann wäre das Buch zirka doppelt so lang, würde dabei so wenig Neues bieten wie der kürzere und knackigere Geschenkband, der uns vorliegt, würde aber vom Leser mehr Anstrengung UND Geld fordern; kurz und gut: Nix mehr Weihnachtsgeschäft.
Eine andere mögliche Antwort auf die Frage, was schiefgegangen sein könnte, ist in dem Hinweis auf die vielen Superlative angelegt, die den Text durchziehen. Sie sind erstens offensichtlich aufrichtig gemeint (will sagen, sie speisen sich anscheinend aus der in der kurzen Einleitung dargelegten biographischen Dimension von Houellebecqs Schopenhauer-Lektüre) und bilden zweitens einen roten Faden, der sich durch den Text zieht: Wendungen wie
… dass die Schopenhauer-Lektüre […] alles veränderte
Viele der beeindruckendsten Metaphern Schopenhauers (und, ehrlich gesagt, der gesamten Literaturgeschichte) …
… haben gemeinsam, dass sie genaue Beschreibungen durch Emphase ersetzen, eine Emphase, die zugleich als biographisch (und aphoristisch) gegen Kritik verlässlich immunisiert. Es fällt auf, dass dieserlei Superlative in dem vorliegenden Buch oft an Stellen kommen, wo es nicht wirklich auf ihre Stichhaltigkeit ankommt, sondern sie nur dem Aufbau dienen; mit anderen Worten: Es liegt der Anschein nahe, dass wir es mit einem Versuch des Verfassers von immerhin "Unterwerfung" und "Möglichkeit einer Insel" zu tun haben, "populär"-journalistisch zu schreiben … ein Versuch, den wir als gescheitert verbuchen können (als Kulturpessimist und, eben, Schopenhauerschüler hält der Autor ja bekanntermaßen "die Massen" für dumm, und das merkt man daran, wie es aussieht, wenn er sich daranmacht, sich dem Massengeschmack anzunähern).
Insgesamt stört, nochmal, die Verkürzung von essayistisch plausibel angelegtem Material aufs Narrative und/oder, je nachdem, Kolportagehafte hin – in der Kürze werden die ideologischen Vorannahmen Houellebecqs augenfällig, die er in seinen bekannteren Romanen erst am Stoff "erarbeitet", und die, sorry, so dargeboten gelegentlich schlicht auf sachlich falsches Denken von der Welt hinauslaufen. Wenn er da etwa vom Typus des eifrigen Netzwerkers und Karrieristen im "Massenkunst"-Betrieb schreibt, dieser werde
… sein Ziel so gut wie nie erreichen. Den Sieg tragen nahezu antriebslose, zum loser geborene Nieten davon.
… so besingt da ein ahnungsloses Fallbeispiel der spezifisch französischen Klassengesellschaft seine eigenen blinden Flecken; und wir dürfen befürchten, Herr H. ist da so glaubensfest, dass ihn nicht einmal eingehendes Kennenlernen beispielsweise der "Sieger" des zeitgenössischen deutschsprachigen Betriebs da eines Besseren belehren würde.
Fazit: Nur die Schopenhauerstellen in genau dieser Reihenfolge, und dazu von Houellebecqs Zwischentext die bloße Stichwortliste – das wär's.
- 1. Keine unbedingt schöne Wortneubildung, ich weiss. Aber finden Sie da mal eine bessere!
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben