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Kritik

Das enfant terrible im alten Mann

Michel Houellebecq neuer Gedichtband Gestalt des letzten Ufers
Hamburg

Schreiben wir nicht ständig gegen unsere Tode an? Wollen wir uns nicht selbst gegen die Endlichkeit wehren, indem wir Immerwährendes schaffen? War das nicht schon immer das Versprechen der Schrift: Unsterblichkeit? Und ist sie deswegen nicht immer schon vom Tod erfüllt? »Und wozu soll es gut sein, Bücher zu schreiben / In der achtlosen Wüste ? // […] Nichts im Leben ist wiedergutzumachen, / Nichts bleibt übrig nach dem Tod«, formuliert Michel Houellebecq in seinem neuesten Gedichtband Gestalt des letzten Ufers seinen niederschmetternden Spott auf die alte Hoffnung. »Die sich vor dem Tod fürchten, fürchten sich auch vor dem Leben«, heißt es anderswo.

Das Schreiben lieferte schon immer eine Bewältigungsstrategie für Leben und Tod. So fischt Houellebecq, der seine Karriere mit dem Schreiben von Gedichten begann und mit den Romanen Die Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen bekannt wurde, einerseits tief in der Naivität der Jugend, dem Leben und Lieben vergangener Tage und beschwört andererseits ein Morgen herauf. Mal kommt das mit verheißungsvollen Sonnenstrahlen, mal bringt es das unausweichliche Ende. Es bleibt eine trotzige Geste, die sagt: Schaut her, ich habe keine Angst. Nicht vor dem Leben, nicht vor dem Tod.

An großen Worten spart er deswegen tatsächlich nicht, jeder der kurzen Texte ist aufgeladen von zum Teil kruden Metaphern, nah am Aphorismus angesiedelt. Houellebecq schreibt seine Gedichte von der »B-Seite des Daseins«, voll von Erinnerungen an den Schnee vergangener Tage steht er vor dessen tröpfelnden Resten. »Mein Leben ist ein kompletter Misserfolg, / I know the moonlight paradise. « Dem zynischen Größenwahn, für den Houellebecq bekannt wurde, stellt er etwas noch Zynischeres entgegen: Fatalismus.

Der Franzose, der immer wieder mit Sexismusvorwürfen konfrontiert wurde, geht in die Offensive: »Die Männer wollen alle nur den Schwanz gelutscht bekommen / So viele Stunden am Tag wie möglich / Von so vielen hübschen Mädchen wie möglich. « Darum geht es nämlich natürlich immer noch: Um Sexualtrieb und Eros. Da die selbstverständlich nicht weit von Thanatos und Tod entfernt sind. Eine brachialsubtile Apologie liefert Houellebecq damit außerdem: Schaut her, ich bin doch nur einer von denen. Fatalismus paart sich mit Determinismus.

Der Frieden findet sich nur im Tod. »Es sei denn, man stellte sich vor, dass wir weiterleben / […], dass unsere idiotischen Atome / […] sich neu zusammensetzen wie die Seiten eines Buches // Das ein Arschloch schreibt / Und das Schwachköpfe lesen. « So lautet denn die Losung dieses Arschlochs: »Existieren, erkennen, / Eine Art perzeptives Überbleibsel sein«. Worte von einem, der mit Ende fünfzig doch eigentlich gar nicht so alt ist.

Es steckt immer noch ein enfant terrible in dem alten Mann, der als Sexist, Rassist, Islamophobiker und Esoteriker kritisiert wurde. Der alte Mann aber schreibt sein Leben ab, schreitet dem Tod voran. »In einem Zustand leben, der der Verzweiflung verwandt ist, ohne sie jedoch zu erreichen. « Zwischen Weltekel und Sehnsucht gibt es bei Houellebecq nicht viel.

Gestalt des letzten Ufers ist minimalistisch, vielleicht sogar simpel. Larmoyant, pathetisch. Und gerade deshalb entwaffnend stark. Und doch haftet diesem »Existenziellen Naturalismus«, wie es in einem der Gedichte so treffend heißt, der Charakter des Schwindels an. Ist das wirklich die reine Autobiographie? Können wir diese Texte guten Gewissens als desillusionierte, von Begehren durchdrungene Selbstaussagen eines alternden Mannes lesen? Oder müssten wir viel mehr Fragen: Lässt uns hier nicht etwa jemand an seinem Leben teilhaben, auf dass er uns noch nach seinem Tode in Erinnerung bleibt, unsterblich wird? Der Manipulator, das enfant terrible, dieses Arschloch, es ist eben nicht totzukriegen.

Michel Houellebecq
Gestalt des letzten Ufers
Deutsch/Französisch
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Dumont
2014 · 176 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-8321-9741-4

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