Schönheit für die hirnverbrannte Welt
"Latenzen verschwinden nicht, indem man für sie unempfänglich ist oder sich ihnen gegenüber halb automatisch verhärtet; sie bilden den Huf des Ausgesprochenen, umgeben das Frontale sowie das Deutliche." Mit dieser poetischen und sehr präzisen Beobachtung aus ihrer Liliencron-Poetikdozentur, gehalten im November 2015 vor einem Auditorium an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, bekennt sich die Lyrikerin und Essayistin Monika Rinck zu einer Auffassung von Sprache, in der unablässig Konnotationen mitschwingen. Ihr eigenes Schaffen ist voll von solchen lyrischen Angeboten an die Leserschaft: denn Angebote sind es, unsere Konnotationen sind kein Allgemeingut, können es nicht sein, denn jedes menschliche Individuum hat seinen eigenen Erfahrungshorizont, den es in eine Lektüre mit einbringt und der gewissermaßen in eine Reaktion mit dem Text tritt: Subtext ist nicht einfach da, wird nicht nur von der Autorin Monika Rinck eingeschrieben, er entsteht auch bei der Rezeption.
Nun gibt es lyrische Texte, bei denen mehr und welche, bei denen weniger Subtext in Form von Ableitungen aus Konnotationen entstehen. Bei Monika Rinck sind es eher mehr als bei den meisten anderen Dichtenden deutscher Zunge.
Was ihre Leserschaft im soeben bei kookbooks erschienenen Gedichtband "alle türen" erwartet, könnte vielleicht so umschrieben werden: tatsächlich erscheinen alle Türen in das Buch zunächst offen, was auch von der grafischen Aufbereitung des rund 100 Seiten umfassenden Bandes, welche Andreas Töpfer besorgt hat, nahegelegt wird: Das auf dem Umschlag abgebildete Buch enthält Cover und Blätter in Form angedeuteter Durchgänge, dahinter ist allerdings erst einmal alles schwarz. Mit den Texten geht es ganz ähnlich zu: der Zugang selbst erscheint zunächst ganz leicht, es ist keine sperrige Sprache im eigentlichen Sinne, die Monika Rinck verwendet. In Lesefluss gekommen, stolpert das Publikum dann aber in ein zugegebenermaßen verführerisches Dunkel, das nur alle paar Absätze einmal in so wundervoll zitierfähigen Aussagen wie "Wenn es runtergeht wie Butter, / ist es vermutlich Propaganda" mündet und darin eine Ankerfunktion für die eigenen lyrischen Schwimmbewegungen der Leserschaft haben. Ein Kernsujet des Buches ist die Institution der Operette, ihr ist gar ein eigenes Kapitel gewidmet, doch das Thema durchzieht letztlich das ganze Buch. Rinck liebt diese Kunstform, das ist deutlich zu spüren, und sie vermittelt diese Liebe mit der ihr eigenen ironischen Distanz, streut Zitate von Karl Kraus ein wie "Dass Operettenverschwörer singen, ist plausibel" oder liefert so schöne Explikationen wie:
"[...] Das Prinzip der Operette ist ganz einfach: / Man nimmt einfach zu viel von allem. Chilis, Kalktuff, Aktien, / Goldbrassen, Renekloden, Mehl, Superlative und Granaten, / [...] / und jetzt noch einmal alle (!) quer über die Bühne und wieder zurück, alle Türen wieder auf, und alle Türen wieder zu, zu auf, zu, zu auf.[...]"
Da begegnet es uns wieder, das Türen-Motiv. Die Operette erscheint bei aller Sympathie für ihre Skurrilitäten aber auch als Bild für eine real existierende Wertedemokratie, die ihr Begehr nach einem Königreich für ein Pferd längst gegen den Wunsch nach einem Euro-Sechs-Diesel mit Innenstadtberechtigung eingetauscht hat. Diese unterschwellig politische Stoßrichtung nimmt Rinck vielfach auf, mitunter subtil und dem Gespür ihres Publikums für die erwähnten Latenzen unterworfen, mitunter aber auch in lautsprecherhafter Durchschlagskraft: "Achtung: Im Zuge der Verbesserung von vielem / kann es zur Verschlechterung von einigem kommen. [...]" Im gleichen Gedicht formuliert sie mit einem Pathos, dass sich gleichzeitig selbst in die Kniekehlen tritt, ihren Auftrag: "[...]Ich bringe Schönheit in die hirnverbrannte Welt! [...] O Gockel, das Laub kommt im Frühling zurück, versprochen. [...]"
Doch Rincks Gedichte sind eben auf ihre Weise wirklich schön, von bestechender Rhythmik und gezielt eingesetzter Lautlichkeit, schön auch in ihrer eigenwilligen Bildsprache und den intellektuellen Verknüpfungen. Hier wird Lyrik erschaffen wie eine Welt; nicht umsonst erscheint das lyrische Ich sogar mitunter als ironische Demiurgin, die aus der Sprache gebiert:
"Frau und Marp // Ich nannte die Frau Frau. Schon war sie da. Ich erschuf den Marp. / Und nannte ihn Marp. Er geriet mir etwas abjekt. Ich entwarf eine Stadt./ Damit der Marp sich darin verhalte. [...]"
Rinck nähert sich schreibend ihren Sujets von der Peripherie her, und sie empfiehlt auch die Rezeption ihres Schreibens, die Betrachtung allen poetischen Textschaffens aus diesem Blickwinkel: "Aber vielleicht ginge das doch: Mit der Sprache eine Verbesserung erzielen, eine Verbesserung, die sich zudem ästhetisch genießen ließe, eine Lesart, die vom Rand aus herantritt und das Gegebene einer Revision unterzieht." Wozu diese Dichotomie zwischen Peripherie und Zentrum? Die Antwort läge vielleicht nicht zuletzt auch in einer möglichen Aufgabe von Lyrik in unserer durch und durch ökonomisierten und hierarchisierten Welt: ein Produktionsort zu sein, der eben gerade nicht im Zentrum steht, der kein Geld verdient und auch keines verdienen muss, der sich so konsequent der ubiquitären Vermarktbarkeit entgegenstellt, sich als Stromschnelle im Mainstream begreift wie keine andere Kunstform. Ein Schreiben, dass sich aus dem Dunkel übersehener Nischen speist, kommentiert um tendenziell eher Abwehr und Gegenentwurf als Bejahung des Vorgefundenen zu sein. Ein Schreiben, das gerade deshalb wichtig ist und nicht verstummen darf. Nur ganz ist der materielle, der Überlebensaspekt dann eben doch nicht auszublenden: in ihren Gedichten nimmt Monika Rinck ihre Leserschaft immer wieder mit in komplizierte, vielschichtige Gedankengebäude, um dann, wie in der mehrfach zitierten Liliencron-Poetikdozentur, trocken zu resümieren: "Über diesen Satz wäre tagelang nachzudenken, nur könnte das keiner bezahlen. Es sei denn, es gäbe keine Miete." In ihrem Band "alle türen" tut sie dies natürlich als Lyrikerin:
"Offen lassen // Die geöffneten Türen, der Wind zieht hindurch. / Lass sie offen, du sperrtest dich sonst mit Dämonen ein. / Diese sollten kommen und gehen. Binde sie nicht. // Dann die Angst, gar nichts mehr festhalten zu können."
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