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Kritik

Monika Rinck seziert das Wir

Hamburg

Der Poetisierung der Welt willen, will man meinen, hat das Verlagshaus Berlin zusammen mit Monika Rinck den Band „Wir“ herausgebracht - in der Edition Poeticon, das als „Forum für poetologische Reflexionen“ dient. Im handlichen Format eines Notizbuches, mit einem Einschlag von beiden Seiten, der das Lesezeichen gleich mitliefert, ist der Band fürs Lesen gemacht. Für das „Forum für poetologische Reflektionen“ in seiner nunmehr zehnten Ausgabe tritt nun also Monika Rinck in den Ring und reflektiert über „Phänomene im Plural“.

Wer Monika Rincks Lyrik kennt, oder sie sogar bei einem Auftritt sehen konnte, der erkennt ihre Handschrift. Rinck kokettiert mit einer Sprache, die so lange durch den lyrischen Fleischwolf gedreht wurde, bis sie nur noch verzerrt als Sprache erkennbar ist. Geradeaus kann man diesen verschwurbelten Essay nicht immer lesen. Sie baut ein Netz aus Überlegungen auf und springt von Gedankenoperation zu Gedankenoperation. Einmal seziert sie Ingeborg Bachmann, ein andermal ergeht sie sich in linguistischen Überlegungen. Rinck nimmt uns, die Leser, nicht an die Hand, sie schubst uns eher durch die Phänomene des Plurals. Sie versteckt sich auch nicht als Stimme hinter einem vereinnahmenden Wir, das mit dem Text als Medium Nabelschau betreiben könnte. Sie interessiert sich vielmehr für eine Archäologie des „Wir“, sucht seine Spuren in der Sprache und seine Verortung in der Welt. Sie nutzt die Lyrik als Vehikel für eine politische, kritische Befragung des „Wir“ als Sprecherposition aber auch Machtdispositiv.

Zunächst betrachtet sie das „Ich“ als Grundlage des „Wir“, denn ohne ein „Ich“ kann sich kein Wir konstituieren. Dieses „Ich“ sucht sich einen Komplizen im „Nicht-Ich“, um das „Wir“ zu bauen. Es kann politisch aufgeladen sein, aber es leidet genauso unter der Dekonstruktion des Subjekts, wie es das Ich tut. Diese Dilemma (wie so viele weitere) rasselt Rinck vor uns herunter, in einem munteren Plauderton, der sich in einem Absatz feministischer Linguistik bedient und im nächsten eine Anekdote über einen Popsong zum Besten gibt.

Auf Erkenntnisgewinn ist dieser Essay zwar aus, aber Erkenntnis wird nicht so serviert, wie wir sie gewohnt sind. Wie auch in ihren Gedichten, mutet Rinck uns eine Kaskade von Ideen zu, die wir annehmen und verarbeiten müssen. Erkenntnis entsteht dann nicht durch eine klare, leserfreundliche Argumentationskette, sondern eher durch die vielen Blitze, die der Text aussendet. Im besten Falle sind das Gedankenblitze, kleine Momente des Nachdenkens, die in den Duktus des Textes eingewoben sind. Albert Rinck vielleicht genau deswegen nach einer dichten Passage mit uns herum? Damit wir guten Gewissens nachdenken können, über das, was wir gerade gelesen haben? So viel Kalkül darf man der Architektin dieses Textgewebes natürlich nicht vorwerfen. Aber ihr Fluss, der wie ein Gedankenfluss wirkt, hat seine eigene Dynamik und sobald man sich in diese Dynamik eingegroovt hat, entsteht ein Narrativ.

Das Assoziative des Textes bekommt den Charakter eines Gedankenganges, der zwar versprachlicht wurde, aber nicht geordnet ist. Die Operationsbestecke, die das Wir freilegen sollen, kommen vor allem aus der Linguistik. Das Wir interessiert Rinck als Pronomen, als Vereinnahmung und damit auch Vereinfachung. Es interessiert sie in seiner gesamten Unmöglichkeit, in seiner Hybris und als kritisches Vehikel für einen Blick auf das Ich.

Wie poetologisch ist dieser Versuch, über das Wir zu sprechen? Das weiß der Text auch nicht so recht. Zwar gibt es „Gewährspersonen“ in Form von Gedichten, aber da, wo kein Argument verfolgt wird, wird die Reflexion auch keine geradlinige, sondern eine vielschichtige, eine verzweigte Tour durch Möglichkeiten. Rinck liest die Gedichte mit uns zusammen, interpretiert und zeigt Deutungen auf. Aber sie hält da nicht inne, sie gibt auch nicht vor. Vielmehr zeigt sie Demut vor diesen anderen Texten, denen sie eine angenehme Bewunderung entgegenbringt. Sie wertet die Texte, die sie in ihre Analyse aufnimmt. Sie nimmt eine subjektive Haltung ein und befreit sich damit von einer trockenen Scheinwissenschaftlichkeit, ohne dabei das Theoretisieren zu scheuen.

Rinck nutzt also Gedichte als Quellen, aber was die poetologische Qualität ihres Essays ausmacht, sind die Operationen: sie überträgt das lyrische Hackebeil, das Wörter und Phrasen auseinander nimmt, in ihren Essay. Sie überträgt ihre poetische Agenda auf das Langspielformat: Sprache auflösen und Risse in die Welt bringen. Dabei versteht Rinck es, entgegen ihrer Ablehnung von Wissenschaftlichkeit, dennoch den wissenschaftlichen Zitierton anzuschlagen. Wenn sie andere Autoren einfließen lässt, werden sie angekündigt wie in einem akademischen Text, um dann in die sprachliche Lösung von Rincks Duktus getaucht zu werden. Natürlich gibt es auch die Fußnoten, die Literaturangaben, die Verweise auf eigene Texte und die kleinen Exkurse. Sie nutzt die Fußnote dabei als literarische Ebene, wie in einem Roman von David Foster Wallace. Die Fußnote wird zum Ort zwischen den Zeilen, zum Ort nach den Seiten, zum Ort der Sabotage unserer Erwartungen an den Text.

Einer der charmantesten Aspekte von „Wir“ ist die latente Macht- und Subjektkritik, die dem Essay innewohnt. „Wir“ gibt mit dem kurzen Titel schon die Fährte vor: Die Pronomen werden in die Mangel genommen. Eher noch als das titelgebende Pronomen im Plural steht aber das „Ich“ in der Kritik. Das Ich als Annahme. Das Ich als Zumutung. Das Ich zuweilen auch als Illusion. Das Ich als Transit auf dem Weg zu einem „Da wären wir wieder“. Und alles kann von der gleichen Erzählstimme kommen, kann dem gleichen Narrativ zugeteilt sein.

Das vorangestellte Zitat von Eva Mayer kündigt die kritische Tonalität an:

„Von jetzt an werde ich mehrere sein. Ich werde nie mehr von mir sagen, ich sei dies oder ich sei das. Von jetzt an bin ich nicht mehr die Verlängerung eines gegeben Zustands.“

Ganz am Ende ihres Essays kommt Rinck auf dieses tonangebende Motto zurück, wo sich dann der Kreis zum Wir schließen darf.

Monika Rinck · Asmus Trautsch (Hg.)
WIR
Phänomene im Plural
Verlagshaus Berlin
2015 · 48 Seiten · 7,90 Euro
ISBN:
978-3-945832-06-6

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