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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Der Grat

Hamburg

Ich weiß nicht, welches Wort passend erscheint, um Monika Rincks Gedichte in ihrem neuen Band „Honigprotokolle“ zu beschreiben. Parlando? Ein dahinfließendes leichtfüßig-intellektuelles Gespräch? Nein, es ist nicht gerade der hohe Ton, den die Autorin sucht. Geplauder? Das wird zwar dem Witz und dem ironischen Augenzwinkern gerecht, das vielen der Gedichte eigen ist, aber nicht der intellektuellen Schärfe Rincks. Monologe? Auch dieses Wort scheint mir nicht adäquat zu sein. Monologe ist ein sachliches Wort, ein Wort der Wissenschaft.

Die Gedichte Monika Rincks sind also nah an der gesprochenen Sprache. Das ist Konzept. Zu häufig ist der Bezug zu Redewendungen oder Jargon („Ey, gucke nur“ – Lösung S. 40// „Da hast du schwarze Tasche“ – Tasche mit Fell S. 39), zu häufig verfällt das lyrische Ich auf Fra-gen, die unbeantwortet im Raum stehen bleiben („Auch du warst da. Doch warst du wirklich da? Warst du es, den ich sah?“-  Was es war S. 43) oder zu einer Vergewisserung des bereits Gesagten führen.

Fast jedes Gedicht beginnt mit dem Vers „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle.“ Die Honigprotokolle bilden eine Klammer, die den Band zusammenhält. Dabei setzt sich die Inquit-Formel „so höhnen Honigprotokolle“ aus dem positiv konnotierten Wort Honig, dem negativ besetzten Verb „höhnen“ und dem neutralen Nomen „Protokoll“ zusammen. Es wirkt sowohl der Hohn als auch der Honig behauptet, wird in den Gedichten selbst nicht eingelöst. Der Inhalt der Gedichte setzt sich weder aus Geschehnissen zusammen, die höhnisch vorgetragen erscheinen, noch werden in ihnen die positiven Assoziationen von Sommer, Sonne etc eingelöst, die das Nomen "Honig" verspricht, so dass sich die Funktionalität der „Honigprotokolle“ nicht erschließt, zumal es darüber hinaus ein lyrisches Ich gibt, das – wie gewöhnlich – die zentrale Instanz ist, aus deren Perspektive wir das Gedicht wahrnehmen. Folgerichtig verzichtet Monika Rinck in den letzten Gedichten auf den einleitenden Vers „Hört ihr das…“, ohne dass den Texten dadurch etwas verloren geht.

Monika Rincks Gedichte sind surreale Tableaus. Sie machen Spaß, wenn ihnen ein Bild zugrunde liegt, das in seiner Absurdität oder seinem Witz gelungen ist, wie z.B. in dem Gedicht Am See, in dem beschrieben wird, wie zwei Männer auf einem Trampolin einen See überqueren wollen, oder in Kaninchen, in dem das lyrische Ich hypnotisiert wird und sich für mehrere Kaninchen hält. Oft gelingen Monika Rinck Verse, die originell und tiefgründig zugleich sind („Analyse kann auch Stupor sein“ – Lage S. 42 oder „Import war der tiefe Fall, Export die Erlösung – Die Schrecken und Verheißungen des Satan S. 11), manchmal sind ihre sprachlichen Einfälle einfach nur witzig („so tief im Süden, dass der Süden sich erbricht“ – Es fontosch S. 13). Ihre Aufzählungen sind originell („Masurendame, Pusztablume, flusenfreie Hurerei“ –  Der Irrtum S. 38) und ihr glücken häufig überraschende Brüche („Anakreontik. Sinn durch Suff.“ – Suff S. 50).

Dieses Spiel mit Sprache und Inhalt macht zu einem großen Teil den Wert von Rincks Gedichten aus. Leider gelingt es ihr nicht über die Länge des Bandes das Niveau zu halten. Manche Gedichte wirken in ihrer Nähe zur Umgangssprache geschwätzig, wie z.B. Reue, oder sogar inhaltsarm, wie z.B. Die Die Die. Man hat den Eindruck, als wären einige Texte durch Streichen in ihrer Wirkung insgesamt stärker geworden. Vor allen Dingen gegen Ende des Bandes scheint der Autorin die Energie ausgegangen zu sein, um an die sprachliche und inhaltliche Originalität der Gedichte vom Anfang anknüpfen zu können. 

Ich möchte Monika Rinck gegenüber gerecht sein. Sie will und sie kann viel. Trotzdem zeigt uns gerade die Autorin selbst, wie viel Konzentration und Sorgfalt notwendig sind, damit ihre hochkomplexen Gedichte gelingen. Zum unserem Glück demonstriert sie, was die Texte im Band „Honigprotokolle“ betrifft, überwiegend ihr Können.

UNIO WIESEL

Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, in Bernstein und Amber:
Fürstlich (oder fürchterlich?) paart sich im Dickicht das Wiesel
mit der Zylinderkopfdichtung. Schläuche, Keilriemen, zuckige Teile.
Wie flink ist das Wiesel, wie schwer der sehr gebremste Unfallwagen,
aus dessen Undichten Kunststoffemulsionen fließen, rosa schillern.
Wahnsinn wars, als Nadelbäume sich entäußerten, so das Protokoll.
Es stürzten die Nadeln, Pfeile, zierlich und keck, fast ohne Kontrolle.
Dies ist das blondeste aller Himmelsgeschosse – Sonne? Oder Sonja
mit der Silberbüchse? Hirsche wittern. Birken imitieren Lichtmaschinen.
Untertriebig hebt die Nase von der Fährte ein gefällter Oktaeder.
Ach, verschonet doch die Wälder, statt sie mit Kaputtem vollzustellen.
Denn dieser alte Zuber flutet zeitig die Genüsse. Soeben noch munter,
in zärtlicher Vereinigung mit den Resten des Blechdachs (Schuppen!),
nun in desolatem Zustand. Marode. Auf Abriss. Unio Wiesel Finito.

Monika Rinck · Daniela Seel (Hg.)
Honigprotokolle
Illustration: Andreas Töpfer
Kookbooks
2012 · 80 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-937445496

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