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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

das Abecedarium des Aberwitzes oder progressive Universalpoesie heute

Hamburg

Eine Fibel in 47 Bildern nennt Monika Rinck ihren jüngst im Verlag Peter Engstler erschienen Band Hasenhass, den man auch ein Abecedarium des Absurden, des Aberwitzes betiteln könnte. Auch wenn sich die 47 kleinen Lektionen, sprachspiel- und bildungsverliebten concetti, denen cartoonartige, schwarz gepinselten Illustrationen beigegeben sind, nicht an eine alphabetische Ordnung halten und darin auch nicht die Frage nach dem Hasenhass durchdekliniert wird, wie man vielleicht erwarten könnte. Sie bildet lediglich die Klammer dieses Panoptikums seriösen Blödsinns.

Wie ist, wie Sie wissen, Hasenhass? Hasenhass ist weiß wie Schnee. (…) Da sagen Sie: Weiß wie Schnee ist Hasenhass. Und weich. Denn so ist, wie Sie wissen, Hasenhass.

Hier werden Fragen verhandelt wie Was macht das Brot in der Nacht? Was befindet sich hinter Dionysos Maske, wenn er kein Gesicht hat, oder was bestellen Romantiker beim Metzger. Es fällt schwer diesen Band adäquat zu beschreiben, der so kurios und vielgestaltig daherkommt. Unterschiedliche Formen von Humor und Witz werden vorgeführt, bzw. ausprobiert, mal denkt man an Robert Gernhardt, oder bei einigen der Bilder auch an das Satiremagazin Titanic und doch ist das eigentümliche die Vielschichtigkeit dieses Bandes. Neben ungehemmtem Blödeln, Ausflügen in den Dialekt und Plattitüden, steht eine zugleich reflektierte und spielerische Poetizität, die sich z.B. durch solch großartige Analogien wie jener zwischen Diskokugel und Scheibenqualle auszeichnet.

Sagt die Disko-Kugel zur Scheibenqualle: Das Ich ist ja die eigentliche Stätte der Angst. Sagt die Scheibenqualle: Also, ich hab ja sowas nich. Schweigen. Und dann, um das Schweigen zu mildern: Aber ich hab’n paar heiße Scheiben. Komm, hörnwa Haydn. Und jetzt dreh dich, Du Kugel! Reflektiere mich in Abermillionen lichthaften Splittern. Reflektiere mich als zerstörteste Zahl aller Zahlen.

Lichthafte Splitter, schimmernde fragmentarische Kleinode, Bildungstreibgut aus allen Epochen hat Monika Rinck in diesem Band zusammengetragen, für dessen theoretische Fundierung u.a., wie wir einer Randbemerkung entnehmen (Siehe auch: Das umgekehrt Erhabene.) der Sprach-Berserker und Zettelkasten Titan Jean Paul Pate stand.Der Humor, als das umgekehrte Erhabene, vernichtet nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den Kontrast mit der Idee“, heißt es in Jean Pauls Vorschule der Ästhetik in dem Kapitel über humoristische Totalität.

Schon im November letzten Jahres hatte sich Rinck gemeinsam mit Christian Filips im Rahmenprogramm zur Jean Paul Ausstellung „Dintenuniversum“ in Berlin mit ihrem essayistisch-musikalischen Programm auf kürzesten Weg in den Aberwitz mit dessen Humortheorie beschäftigt. Diese besagt u.a., dass der Witz auf dem Widerspruch zwischen Erwartung und ihrer Nichterfüllung basiert und der Humor somit der Kniefall des Verstandes vor der Idee ist. Eine weitere Eigenheit des Witzes ist, dass er das Kleine groß und das Große klein zu machen vermag.

Hier klingt ebenfalls an, was Schlegel mit seinem Kampfbegriff von der „progressiven Universalpoesie“ gefordert hat:

„Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegenem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang.“

Dieser Auszug aus dem Athenäums-Fragment 116 scheint mir der geeignetste Beipackzettel für den Band Hasenhass, wo es an einer Stelle auch lapidar heißt: Zur Zusammenführung von Poesie und Wissenschaft/ führen wir Wissenschaft und Poesie gerne zusammen.

So finden sich neben Reflexionen zur Verzweiflung bei Hegel, ein Bild, das einfach nur seine Frisur, nach dem Schlesinger Portrait aus dem Jahr 1825 zeigt und darunter wiederum einen schmerzhaft platten Witz: Entschuldigen Sie, mein Chauffeur hat eines Ihrer Hühner überfahren./ Ne, lassense Ihr Geld besser mo stecke, so platte Hühner hann mir ned. Das Hohe findet sich gleich neben dem Niedrigsten. Elaboriertes Wissen neben Volksmund Plattitüden.

Als progressiv beschrieb Schlegel diese Poesie, weil sie immer im Werden begriffen ist und daher auch immer Fragment bleibt, wie auch die 47 Bilder in Monika Rincks Band, die viele Fragen aber nicht immer Antworten anbieten, oder Antworten auf Fragen, die nie gestellt wurden. Was machen also zwei Romantiker, wenn sie beim Metzger sind? Sie bestellen Mischhack.

Oh, die Welt hebt/ an zu singen! Sagt/ das Mischhack: Das war/ nicht die Welt,/ das war ich!“

So ist Rincks Band zwar zuweilen etwas gaga, aber definitiv nicht Dada. Während der Dadaismus mit einem Gestus des großen und absolut Letzten operiert, einer gewollten Zertrümmerung aller Sinnzusammenhänge, der nichts mehr nachfolgen kann, ist in Rincks Texten definitiv noch Kohärenz- und Sinnangebot, ein ausgeprägter Spieltrieb und Sprachlust vorhanden. (Diese Randbemerkung auch nur, weil der Begriff dadaistisch heute gerne inflationär und fälschlicherweise für alle nicht sogleich durchschaubaren humoristischen Torpedierungen von Sinnzusammenhängen missbraucht wird.)

Wie schon erwähnt wird, in diesem Band erprobt, ob und in welcher Form das, was Schlegel als progressive Universalpoesie benannt hatte, auch heute noch trägt. Das umgekehrt erhabene Element der Poesie wird hier gefeiert, nicht das formstreng schöne Apollinische, sondern ihr dionysisches Element. Die Rausch- und Taumelspiele, wie es an einer Stelle heißt. Oder eben die „Majestät des Absurden“, wie Celan in seiner Büchner-Preise Rede 1960 dieses Widerwort, das die Dichtung auch ausmacht, nannte. Luciles „Es lebe der König!“ aus Dantons Tod.

Die Rezensentin zumindest ist ganz entzückt von diesem Lern-, Lach-, Lyrikbuch und wünscht sich noch mehr derartigen seriösen Blödsinn in der deutschsprachigen Literatur!

Und wer sich jetzt immer noch fragt, Was macht das Brot in der Nacht?

Das Brot in der Nacht, das Brot in der Nacht?
(Das Brot ist in der Nacht zuhause.) Es macht sich ein Messer.

 

Monika Rinck
Hasenhass
Eine Fibel in 47 Bildern
Peter Engstler Verlag
2013 · 12,00 Euro

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