"yo future" bzw. Yoyo, biologischer Fußabdruck!
Absolut nichts gibt es auszusetzen an den knapp 200 Seiten mit künstlerisch anspruchsvollen Comics, die uns das Hamburger "Magazin für Illustration" bietet. Es gibt über sie kaum mehr zu sagen als: Es sind künstlerisch anspruchsvolle Comics. Sie sind von sechzehn Beiträgerinnen, die sehr verschiedene Stilrichtungen jenes Mediums bedienen; manche gehen mehr in Richtung Informationsdesign, manche in Richtung white-cube-Bildendekunstwelt, es gibt ein paar Posterkunst-Exponate und einige Beiträgerinnen, die näher an den Traditionen dessen bleiben, was wir im engeren Sinne "Comic" nennen. Sie leisten alles das, was dieses Medium leisten kann; das ist, wir wissen es, in den letzten Jahren immer mehr und interessanter geworden, seit einerseits "klassische" Comics und andererseits zeitgenössische street art Gegenstand der Verhandlungen über den bildungsbürgerlichen Kunstkanon sind.
Mit dem Hefttitel "yo future" ist übrigens leider nicht gemeint, es ginge hier um die Überwindung des Punk ("No Future") durch weiß-vorstädtisch verballhornte Hiphopkultur ("Yo yo yo!"). Vielmehr geht es bei diesem Titel und bei den einzelnen unter ihm versammelten Beiträgen um den fragwürdigen Umgang der Spezies Mensch mit ihrer Zukunft, ihren Ressourcen und dem Planeten Erde. Dazu passt das Vorwort von Lu Yen Roloff, "Kommunikationschefin der Kampagne 'Detox my fashion' bei Greenpeace". Und bei diesem Vorwort fangen die Probleme an, die wir mit dem vorliegenden Heft haben können, wenn wir denn welche haben wollen. Wenn wir denn wollen. Wie gesagt: An den einzelnen Beiträgen ist durchgängig nix auszusetzen, sie sind nicht unterkomplex, nicht doof noch bräsig, ach …
… aber es ist halt leider, was Lu Yen da schreibt, unrichtig; nein: Es will Unrichtiges. Und dadurch, dass es gerade dieses Vorwort ist, von welchem aus die systematischen Überlegungen und künstlerischen Einfälle der einzelnen Beiträge emanieren, erscheinen diese (zumindest mir) im Nachhinein kontaminiert – obwohl sie inhaltlich erstmal nichts Abzulehnendes zur Grundlage haben: Klar ist die Wirtschaftsweise, in der wir leben, doof. Sie opfert stetig langfristige Stabilität zugunsten kurzfristiger Gewinne; sie ruiniert Ökosysteme; sie sägt, wie das Sprichwort so schön sagt, "den Ast ab, auf dem sie sitzt". Aber was der Autorin des Vorworts zu diesem Thema einfällt, verändert den Kontext der Beiträge dahingehend, dass ihre Behandlung aller dieser Fragen unter der Hand nicht mehr komplex, sondern naiv erscheint; nicht mehr als stramme Wort-/Bild-Meldung ernstzunehmender Zeitgenossinnen, sondern als fromme Fürbitte.
Was schreibt Lu Yen? – Auf eine zutreffende Schilderung der widersprüchlichen Situation, in der wir uns befinden, wenn wir uns innerhalb der Gesellschaften, die wir bewohnen, so verhalten möchten, dass es die Erde als intaktes System möglichst auch in zwanzig Jahren noch gebe … also auf den Hinweis …
Bewusster Konsum verändert das auf Konsum angelegte System nicht.
… folgt in jenem Vorwort eine Art call to action:
Die Lösung beginnt dort, wo der individuelle Versuch scheitert. Dann können praktische, gemeinschaftliche Orte wie Gemeinschaftsgärten, Wohnprojekte und Kooperativen entstehen, in denen wirklich nachhaltige Alternativen zum ausbeuterischen Kapitalismus realisiert werden. (…) Gemeinsam können wir (…) eigene Regeln für den Umgang miteinander aufstellen.
(…)
Es liegt in der Natur des Menschen, gemeinschaftlich zu leben, etwas Sinnvolles zu tun und mit der Umwelt verbunden zu sein. Es ist alles in uns angelegt. Get organized!
Wenn das feiertägliche Wortgeräusche zum ausschließlichen Gebrauch bei Ansprachen u. ä. sein sollen, deren Details wir nicht weiter ernstnehmen müssen, solang das Großeganze stimmt ("Baum gut – siebenspurige Autobahn schlecht"), dann hat das SPRING-Kollektiv sich in der Einschätzung der eigenen Wichtigkeit geirrt (und wir beeilen uns, zu versichern: Was Ihr da habt, ist ein integraler Bestandteil unserer Mediendiät; glaubt nicht, es wäre egal.). Wenn wir es aber ernstnehmen sollen, so, wie es dasteht, dann bedeutet es uns ca.: "Die folgenden Beiträge sind bitte als künstlerische Plädoyers gegen die Zumutungen der Moderne und der Abstraktion zu interpretieren. Wir finden emotional orientierte, kryptoesoterische Ganzheitsideologien tragfähig und 'zukunftsweisend', weil emotional orientierter, kryptoesoterischer Quatsch eben 'in uns angelegt' ist. Unser Einwand gegen den Kapitalismus ist v. a., dass er überregional stattfindet und nicht unmittelbar 'Sinn' generiert. Auch verwenden wir das Wort 'Ausbeutung' anscheinend nicht im Marx'schen, sondern im Gesell'schen Sinn und glauben also wahrscheinlich auch, dass Regionalgeld eine super Idee ist."
Zum Glück wollen die Beiträge ihrerseits auf solches nicht hinaus. Sie sind sowohl künstlerisch als auch in ihren gesellschaftspolitischen Tragweiten anspruchsvoller als das Vorwort. Rekurrieren sie auf romantisierte, bildchenhafte Versionen irgendwelcher Diskurse? – Ei freilich, aber es handelt sich auch um Comics, und am Bildchen nebst seiner Überhöhung kommen die nicht vorbei. Entscheidend ist, dass sie mehr und Differenzierteres tun.
Anmerkung der Redaktion: Zeichnerinnen 2017 / Artists 2017 / Almuth Ertl / Carolin Löbbert / Cynthia Kittler / Edith Carron / Eva Revolver / Gabriela Jolowicz / Johanna Benz / Katia Fouquet / Laura Edelbache / marialuisa / Marijpol / moki / Paula Partzsch / Romy Blümel / Stephanie Wunderlich / Tiziana Jill Beck
© photo: Manfred Bogner, 2017
SPRING wurde 2004 von der gleichnamigen Künstlerinnengruppe in Hamburg gegründet. Seitdem erscheint jedes Jahr ein neuer Band der Anthologie, der die unterschiedlichsten Arbeiten aus den Bereichen Comic, Illustration und freier Zeichnung zu einem Thema bündelt. SPRING ist nicht-kommerziell und selbstverwaltet. Die Gruppe besteht seit Beginn ausschließlich aus Frauen und ist mittlerweile ein solides und wichtiges Netzwerk für Zeichnerinnen in Deutschland. Insgesamt haben bereits mehr als 40 Künstlerinnen unter anderem aus Hamburg, Berlin, Köln und New York ihr Können im SPRING-Magazin gezeigt. SPRING ist auf Buchmessen in Frankfurt und Leipzig und Comicfestivals in Erlangen, Angoulême, Linz und New York vertreten. 2010 erhielt SPRING den "Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comicpublikation" beim ICOM Independent Comic Preis. Im Frühjahr 2016 wurden Mitglieder der Gruppe vom Goethe Institut nach Indien eingeladen, um dort mit indischen Zeichnerinnen an der 13. Ausgabe des Magazins zu arbeiten
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