«Der geweihte Raum erknirscht»
Im Grunde könnten wir in unserer etwas ausgeleierten Spotteswut von Stefan George guten Gebrauch machen, dem Dichter, der der deutschen Sprache das Mieder so sehr zuschnürte, dass sie gleich in Ohnmacht fiel, ja, eigentlich wäre ein fokussierter Auswahlband seiner Gedichte durchaus opportun. Nun hat aber der C.H.Beck-Verlag einen von Helmuth Kiesel kuratierten Band vorgelegt, dessen Auswahl eher merkwürdig ist, handelt es sich doch um einen Strauß Deutschlandgedichte mit dem Titel, sage und schreibe, «Geheimes Deutschland». Ich weiß nicht, wie Sie zu Deutschlandgedichten stehen, erst noch dem geheimen, aber der arme Rezensent vor Ihren Augen steht als Ausländer zu ihnen, im wörtlichen wie auch in mehr als einem nur erdenklichen Sinn. So hat der erwähnte Rezensent mit zitternder Hand nach dem erwähnten Buch gegriffen, mit der Frage: Wozu?
In seinem pointierten Nachwort bietet uns Kiesel die Gedichte Georges als «Korrektiv für das anything goes der Postmoderne» an. Mit der Epochenbezeichnung kann aber kaum die literarische Postmoderne gemeint sein, deren bestimmende Werke, wie Pynchons «V.» oder Gaddis’ «The Recognitions», sich genau die satirische Aufarbeitung der ästhetischen und anderweitigen Beliebigkeit zum Ziel gesetzt haben. Georges Gedichte müssten also als Mittel gegen die kulturelle oder soziale Postmoderne ganz allgemein verstanden werden. Wie angedeutet, ist das auf den ersten Blick nicht unplausibel, da das ernsthafte Pathos, das sich zum Beispiel in den «Traurigen Tänzen» des «Jahres der Seele» findet, die teilweise verbreitete Neigung zur Flapsigkeit ausgleichen könnte. Nur ist dafür George natürlich nicht notwendig, da sich Dutzende andere Dichter für denselben Zweck eignen. Zudem ist bei weitem nicht klar, warum ausgerechnet die hier versammelten George-Gedichte jene wichtige Rolle spielen sollen.
Der Band verfährt chronologisch und enthält zunächst verschiedene Gedichte aus eher früheren Sammlungen, die vor europäischen Kulturkulissen spielen, in Parks oder einschlägigen Städten. Im Zentrum stehen aber eindeutig die späteren Gedichte aus dem «Siebenten Ring» und dem «Neuen Reich», gekrönt vom berüchtigten, hier titelgebenden Gedicht «Geheimes Deutschland». Diese Gedichte, die von Oden an verehrte deutsche Männer bis zu großangelegten kulturpessimistischen Tiraden reichen, haben bekanntlich einen weihevollen, altertümelnden Ton gemein, in dem Ausgewählte wenig kritisch in den Himmel gehoben werden und mitunter unangenehme Botschaften verkündet werden. Zur Kostprobe:
Mit den frauen fremder ordnung
Sollt ihr nicht den leib beflecken
Harret! lasset pfau bei affe!
Dort am see wirkt die Wellede
Weckt den mädchen tote kunde:
Weibes eigenstes geheimnis.
Nach den urbestimmten bräuchen
Eint sie euch den reifen schoossen
Euren samen wert zu tragen.
Die geistlose Misogynie und weiteres, die aus diesen 1914 veröffentlichten Versen sprechen, sind abstoßend, und welchen Beitrag solche Gedichte zur «Neubewertung dieses bedeutenden Dichters», wie sie uns C.H.Beck verspricht, leisten oder auf welche Weise wir uns mit ihnen gegen die Gefahren der Postmoderne wappnen sollen, bleibt, gelinde gesagt, rätselhaft.
Im eponymen «Geheimen Deutschland» schließlich laufen verschiedene Stränge zusammen, die die uns vorgelegten Gedichte insgesamt prägen, zum einen der klassisch-romantische Topos der Heimkehr aus der südlichen in die nördliche Welt, der wie bereits in «Goethes lezte Nacht in Italien» anhand des Dichteradlers durchexerziert wird, zum anderen die mythische Überhöhung von Georges eigener Gruppe als Heilsbringer für das degenerierte Deutschland. Dabei verwendet der Dichter ziemlich distanzlos abgegriffene mythologische Motive, spricht von Riesen, Jungfrauen und Pan, der ihn «anstiess mit dem tierfuss» und ihn auffordert, er solle doch in die «heilige heimat» zurückkehren. Seine Freunde werden zum «Gott der blumigen Bahn» oder zur «apostelgestalt», denen es vergönnt sein mag, nach «weihlicher erde» zu greifen, anstelle des «faulen laubes im herbstwind».
Solche bedeutungsschwangere Motive und die weihevolle Stimmung, die sie portieren, fügen sich nun aber wunderbar in den Kitsch der Postmoderne ein, ebenso wie die Bemühung einer utopischen Heimat, wo alles wieder so sein wird, wie es nie war, und das Beharren auf einer Clique der tadellosen Weltretter, wie es uns jeder Blockbuster vorführt, von Parteitagen einmal zu schweigen. Gerade wenn man sich also von der Literatur mehr erhofft als vom Kirschsteinspucken und deshalb auf George zurückgreifen möchte, dessen traurige Musikalität zumindest in den früheren Gedichten etwas von der abgehalfterten Sprachmacht verspricht, nach der man sich doch zurücksehnt, gerade dann sollte einen dieses welke Bouquet betrüben, das höchstens die Absurdität darstellt, auf die sich womöglich Georges gesamtes Bemühen um einen hohen lyrischen Ton reduzieren lässt.
Zuletzt scheint die vorliegende Auswahl genau das Gegenteil dessen zu erreichen, was sie sich vorgenommen hat. Der Dichter wird nicht als reflexionsscharfer, gar europäischer Intellektueller vorgestellt, an dem man sich in den gegenwärtigen Wirren aufrichten kann, sondern verkörpert das George-Klischee des sich gedankenlos einem hohlen Innerlichkeitsgefühl ausliefernden falschen Propheten, dessen geringe geistige Resilienz dem Nationalsozialismus gegenüber leider wenig erstaunt. Die Frage, die dieser Band aufwirft, nämlich, wie wir Georges Lyrik auf sinnvolle Art ernstnehmen können, ist wichtig, bleibt aber unbeantwortet, erweist sich vielleicht als schwerer zu beantworten, als man es ohnehin schon erwartet hatte.
Das Titelzitat stammt aus dem Gedicht «Goethe-Tag».
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