Schwarz-Weiß-Malereien
Die Jury des Deutschen Buchpreises bezeichnete Das Ungeheuer als tiefbewegenden und zeitdiagnostischen Roman. Literaturkritiker Denis Scheck hingegen hat die Vergabe des Preises an Terézia Mora als unglaubliche Fehlentscheidung quittiert und verlauten lassen, das Ungeheuer sei die Autorin selbst.
Nicht nur die Meinungen darüber, auch Terézia Moras neuer und dritter Roman ist zweigespalten.
Wortwörtlich teilt eine dünne schwarze Linie die Buchseiten in zwei Hälften. Die obere gehört dem Protagonisten Darius Kopp, der schon im letzten Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent sympathisch verdattelt durch das Leben stolpert. Die untere Hälfte bleibt bis zur 82. Seite zunächst leer, dann kommt darin Darius Kopps Frau Flora zur Sprache. Die hat sich im Wald das Leben genommen und der verdutzte Darius erfährt erst durch ihre hinterlassenen Tagebuchaufzeichnungen, dass er all die Jahre nicht bemerkt hat, mit einer selbstzerstörerischen, promiskuitiven und hochdepressiven Frau zusammengelebt zu haben.
Hier hat der Roman, für den die ungarisch stämmige Autorin gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde schon seine ersten Glaubwürdigkeitsprobleme.
Aber zurück zur Linie: Sie teilt den Roman also in zwei parallel verlaufende Handlungsstränge. Die diesseitige Darius Kopps, der nach einer langen Untätigkeitsdepression in Form von massivem Pizza- und Fernsehkonsum, mit Floras Asche im Kofferraum zu einer Odyssee durch Osteuropa aufbricht. Und die quasi jenseitige Stimme Floras, die akribisch genau den innerpsychischen und klinischen Verlauf ihrer schweren Depression in mal hochpoetischen, mal nüchternen medizinischen Notaten dokumentiert. Hier drängt sich schon die nächste Frage auf: Für wen hat sie das getan?
Flora ist keine Autorin, sie tingelt von einem schlecht bezahlten Dienstleistungsjob zum anderen, ab und an übersetzt sie aus dem Ungarischen. Ihre Aufzeichnungen aber sind so kunstvoll inszeniert und konstruiert, dass es für Tagebucheinträge nicht so recht passen will. Nicht in den protokollarisch so exakten, aber vor allem in den literarisch anspruchsvollen Aufzeichnungen meint man eher Terézia Mora in ihrer frühen, noch stark durchpoetisierten Prosa raunen zu hören.
Was man nicht// verrechnen kann/ oder auch nur: drüber reden/ die sieben Jahre, die ich hinter einem schrank wohnte/ ein totes reh vor dem bett/ in seinem fell die feuchtigkeit und aus der wand wuchsen pilze/ nachts giftige sporen atmend/ obwohl es sein kann, dass ich das nur träumte/ wie auch, dass eine traube aus grauen mäusen/ oben in der decke hängt.
Nochmals also die Frage, für wen, außer für den Leser hat Flora Meier sich all die Mühe gemacht? Seitenlang quält man sich durch Diagnosekataloge, Beipackzettel von Antidepressiva und klinische Befundberichte, dass man selbst ganz depressiv davon wird. Wiederum fragt man sich, wie jemand, der stillgelegt und hochdepressiv, tagelang schlafend daliegend, die Energie aufbringt, das dann wiederum so akribisch zu dokumentieren? Es ist unglaubwürdig.
Auch als Selbsterforschung Floras gelesen ist die untere Hälfte dieses Buches nichts weiter als ein selbstmitleidiges, larmoyantes Stochern im Dunklen. Die Ursachen ihrer Krankheit sieht sie bei der verrückten, toten Mutter, dem abwesenden Vater und der kalten Großmutter. Nennt sich Niemandskind. Überlegt, ob Depressionen nicht auch einen evolutionären Vorteil haben müssen, sonst wären sie ja ausgestorben. Die behandelnde Ärztin rät,
Sie müssen gleichgültiger werden. / Ich muss gleichgültiger werden?/ Menschen haben sogar das KZ überlebt. / Ja. Das verlangte ihnen sicher nicht wenig Stärke ab. Aber ein KZ ist eindeutig. Es ist das Böse. Wovon ich rede, gilt als das Normale.
Da ist also die kalte, unempathische Klinikwelt, mit ihren Katalogen und Medikamenten einerseits. Und da ist andererseits Floras durch und durch schwarzer Blick auf das Leben, ihre ratlose Anklage an Gott (wortwörtlich) und die von ihm scheinbar so ungerecht eingerichtete Welt. Flora gelingt es nicht irgendeinen Mehrwert, eine Erkenntnis aus ihrem Leid zu ziehen, die ihr oder der Welt weiterhelfen würde. Der Suizid zum Schluss ist daher konsequent, aber auch leer und bedeutungslos. Diesen Nihilismus gab es schon mit einer existenziell größeren und glaubwürdigeren Dringlichkeit.
Auf der anderen, der hellen Seite des Lebens steht ihr Witwer Darius Kopp. Ein liebenswerter, leicht übergewichtiger IT-Spezialist, der, wenn er nicht gerade Pizza isst,
einer von diesen Wichtigtuern ist, die sich an öffentliche Orte setzen, um dort abwechselnd mit dem Laptop und dem Smartphone herumzumachen, grabbel hier, grabbel da, wie eine Jazzimprovisation, nur dass man – sofern man Glück hat – nichts davon hören muss.
In seiner unschuldigen Unbeholfenheit fährt er zunächst geradewegs nach Ungarn, in der vergeblichen Hoffnung in der Heimat seiner Frau etwas über diesen ihm anscheinend doch so unbekannten Menschen zu erfahren. Er besucht das Dorf und das Schulheim seiner verstorbenen Frau, ohne ihr als Person dadurch irgendwie näher kommen zu können. Während dieses Roadmovie verschränken sich Erinnerung und Gegenwart immer wieder gekonnt ineinander, ohne dass man aber mehr erführe, als dass die Ehe der beiden scheinbar ganz harmonisch war. Darius Kopp ergeht sich entweder in sentimentalen Geliebte, Geliebte-Rufen, oder von der Welt entnervten Bonmots wie: Ist doch egal, das Leben ist eine dreckige Hure, wieso soll ich dann sauber sein?
Auf der Fahrt steigt dann die albanische Geschichtsstudentin Oda zu, dass überbordend überzeichnete fidele, lebensfrohe Gegenstück zu Flora und weicht Darius Kopp fortan auch nicht mehr von der Seite, ohne dass klar würde warum. Darius verliebt sich, Oda verschwindet und wird durch den Engländer Doiv, als weiteren Reisegefährten auf Zeit, ersetzt.
Am Ende ist Darius Kopp über Ungarn, Kroatien, Albanien und Armenien bis nach Athen gereist und sich selbst dennoch treu geblieben. Die Asche Floras liegt immer noch ohne letzte Ruhestätte im Kofferraum und der Held, erniedrigt und niedergeprügelt auf der Straße, erhebt sich wieder, lacht und droht nach 680 Seiten an, mindestens noch 20 Jahre zu haben, bis zum Greisen-Alter. Alles ohne dich. Das Nicht-Greis-Sein und dann das Greis-Sein. Wie auch Terézia Mora einen dritten Teil der Geschichte um die beiden angedroht hat.
Terézia Moras Prosa hat einen höchst eigenwilligen Entwicklungsverlauf genommen:
Die frühen Texte, allen voran die Erzählungen aus dem Band Seltsame Materie, für die die Autorin u.a. mit dem Bachmannpreis ausgezeichnet wurde, waren poetisch verdichtete Kleinode, vor allem auf sprachlicher Ebene. Die darin verhandelte Gewalt im Gegensatz zur Sprache aber umso brachialer. Die Autorin selbst nannte das einmal „die süße Pille“, durch die sie den bitteren Inhalt vermitteln wollte.
Im Laufe der Jahre, vor allem in den letzten beiden Romanen um Darius Kopp, ist die Sprache alltäglicher, frivoler, auch obszöner geworden – es wird ausgiebig geflucht und beschimpft –, die verhandelten Inhalte wiederum aber werden immer weniger drastisch, um nicht zu sagen, fast schon seicht.
Im großartigen Roman Alle Tage war die Weltentfremdung des Protagonisten Abel Nema, der nach einem Unfall alle Sprachen erlernen vermochte, die er nur wollte und sich dennoch nicht verständlich machen konnte eindringlich und gekonnt gezeichnet.
Die erzählerischen Mittel, der Autorin sind mit den Jahren immer raffinierter geworden. Sie beherrscht sie ohne Frage virtuos. Allen voran die rasanten Schnittwechsel zwischen Innen- und Außenperspektiven der Figur waren schon in Der einzige Mann auf dem Kontinent beeindruckend. Der Erkenntniswert der verhandelten Themen hingegen verflacht zunehmend.
Für ihr handwerkliches Können hat Terézia Mora den Deutschen Buchpreis allemal verdient. Für ihre Figurenzeichnung, Originalität und Erkenntnisvermittlung wäre eher die Goldene Himbeere angemessen, wenn es im Literaturbetrieb ein Äquivalent dafür gäbe.
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben