Der Glanz des nicht ganz Verständlichen
Mit dem von der Edition Lyrik Kabinett herausgegebenen Band „Unsichtbare Hand“ liegt eine Auswahl aus drei polnischen Gedichtbänden Zagajewskis vor, die nach seiner Rückkehr nach Polen entstanden sind.
Adam Zagajewski, 1945 in Lemberg geboren, wurde vier Monate nach seiner Geburt mit seiner Familie nach Gleiwitz vertrieben. Später schloss er sich als Bürgerrechtler dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter an, von 1976 bis 1989 bestand ein Veröffentlichungsverbot seiner Bücher in Polen. Nach der Verhängung des Kriegsrechts emigrierte Zagajewski 1981 zunächst nach Berlin und in die USA, bis er 1982 in Paris sein Exil fand. Nach dem Sieg der demokratischen Bewegung in Polen 2002 kehrte er in die Heimat zurück.
Als Vertreter der „Neuen Welle“ in Polen, bevorzugte Zagajewski von Anfang an die unmißverständliche, direkte Rede, klare Worte. Und Bilder.
„Das Bild ist für mich das Wesen des Schreibens. Meine Gedichte sind aus Bildern gebaut“, sagt Zagajewski in einem Interview in der FAZ vom Februar dieses Jahres.
Auch dieser Gedichtband wird von drei Leitbildern bestimmt; Rückkehr, Antennen und die Unsichtbare Hand.
Rückkehr
Viele Straßen gibt es in Zagajewskis Gedichten und in jeder wohnen Vergänglichkeit und die Frage, wie weit die Rückkehr gehen kann. Findet man nur die Orte wieder, oder einen Teil der Person, die man damals gewesen ist, bevor man ging? In Lange Straße heißt es:
„Und jetzt überlegst du, ob du
zurückkehren kannst zu der Begeisterung
jener Jahre, ob du noch so sehr
nicht wissen und so sehr begehren kannst,
und so sehr warten, ein wenig einschlafen
und so geschickt wieder aufwachen,
dass du den letzten Traum nicht vertreibst
trotz der Dunkelheit des Dezembermorgens.
Die lange Straße, lang wie die Geduld.
Eine Straße, lang wie die Flucht vor dem Brand,
wie ein Wunschtraum, der niemals
endet.“
So ist die Rückkehr „ein Wunschtraum, der niemals endet“, aber auch eine Versöhnung mit der Vergänglichkeit. Aus Morgen:
„Der Moment ist gekommen, da nach langen Verhandlungen,
abgebrochen, wiederaufgenommen und wieder verworfen,
die Vergangenheit, klug und trocken wie manches Pergament,
beschlossen hat, sich mit der Belanglosigkeit des Tages zu versöhnen[¡K]
der Moment ist gekommen und wird gleich vergehen.“
Antennen
Im zweiten Teil, einer Auswahl aus dem Gedichtband Antennen, ist vom Vater die Rede, der nur noch in seinen Erinnerungen lebt. Es geht um Dichter, die Zagajewski bewundert, die ihn befruchten, oder um Gedichte, die trösten und um ihrer Schönheit willen genossen werden. Seine Verbindung mit den Dichtern, schlägt sich in zum Beispiel in Widmungen für Brodsky und Milosz nieder. Aber die Gedichte handeln auch von Städten, Ländern und Delphinen auf Briefmarken.
Die Antennen, die ein Dichter wie Adam Zagajewski für seine Umwelt hat, für den Jungen zum Beispiel, der eine junge Katze in seiner Jacke transportiert und auf diese Weise für Zagajewski zu einem „zweiköpfigen Jungen“ wird, „reicher um die Unruhe des Tieres.“
Die Erinnerungen sind Antennen, die uns helfen, unser Leben zu empfangen, diese Schwingungen für die es keine Worte gibt, nur Musik, Bilder oder Gedichte.
Unsichtbare Hand
Der abschließende und umfangreichste Teil ist „unsichtbare Hand“ überschrieben. Für mich ist damit die unsichtbare Hand gemeint, die ein Leben lang nach uns greift, die dafür sorgt, dass Gedichte entstehen. Diese Gedichte, die nicht gemacht werden, die zu dem Dichter kommen, in seine Hand fließen, um niedergeschrieben zu werden. Die den Raum des Schweigens durchmessen und die Erinnerung und das Wissen um die Vergeblichkeit brauchen. Und die Kraft, die Suche nach Schönheit entgegen zu setzen. Diese Gedichte nehmen den Dichter an die Hand.
In Berlin, auf der Museumsinsel, beim Betrachten des Pergamon Altars ergreift Zagajewski die unsichtbare Hand, oder wenn aus der Bitterkeit bei der Klavierstunde Freude wird. Aber auch in Nachrufen und Selbstportraits. Auch wenn Zagajewski vom Zweifel beim Verfassen von Gedichten schreibt, bleibt deutlich, er kann nicht nur beobachten, sondern sich so von der Beobachtung ergreifen lassen, dass in dem Bild, das er mit Worten malt, ein Zipfel des Unaussprechlichen spürbar wird, dass auch der Leser berührt wird von dieser unsichtbaren Hand. Aus „Unmöglich:
„Manchmal beneide ich die verstorbenen Dichter:
Sie haben keine „schlechten Tage“ mehr, kennen
keine „Melancholie“, haben sich verabschiedet von „Leere“,
„Rhetorik“, Regen, Tiefdruck,
haben aufgehört, „scharfsinnige Kritiken“ zu verfolgen,
und sprechen dennoch weiter zu uns.
Ihre Zweifel sind mit ihnen verschwunden,
ihre Begeisterung lebt.“
„Ich muss sagen, dass ich keinen dummen Lyriker spielen möchte“, sagt Zagajewski im bereits erwähnten Interview in der FAZ, „aber ich verstehe meine Gedichte nicht ganz. Das ist das Süße und Wunderbare an der Lyrik: dass wir nicht ganz verstehen, was wir herstellen.“
Für Zagajewski ist „Poesie [...] die Suche nach Glanz“, und seine Gedichte glänzen, weshalb man diesen Gedichtband zwar besprechen kann, gerecht werden kann man ihm nur, indem man ihn immer wieder liest.
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