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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Vom Zerknüllen der im Regen stehenden Worte

Hamburg

Ein grünes, ein sehr grünes Buch. Mit, auf dem Buchdeckel, goldener Schrift in „altertümlich“ anmutenden Lettern, Retro-Lettern.

Warum ich über Glückliche Niederlagen von Adrian Kasnitz schreiben wollte?

Weil es ein grünes, ein sehr grünes, ja ein hoffnungslos grünes Buch ist, mit, auf dem Buchdeckel, „altertümlich“ anmutenden, goldenen Lettern?

Ja, schon. Das schon auch.

Aber vor allem, weil ich Adrians Lyrik lesen wollte. Und weil mir der Titel gefiel und gefällt. Er hatte etwas Vielversprechendes: Glückliche Niederlagen. Das klang gut. Das, so sagte ich mir, kann nicht seicht oder oberflächlich gestrickt sein. Es versprach… ja, was? Jubelnde Abgründe versprach es. Oder etwas in der Art.

Nun wird man fragen: und? Hat es gehalten, was es versprach?

Ja, hat es. Allerdings anders als erwartet, was aber zu erwarten war.

Also keine jubelnden Abgründe?

Nein, nicht so sehr. Vielmehr ein leicht nostalgisches Ersaufen im Regen.

Was ich schätze an dem Band, ist die durch ihn hindurch stets fühlbare und hörbare Verwendung der Sprache. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Adrian Kasnitz hat hier Texte zusammengebracht, die – fast könnt man sagen und also sagen wir es doch – auf leisen, ziemlich sinnlichen Sohlen daherkommen. Und diese leisen, ziemlich sinnlichen Sohlen sind die Worte, die Kleines, Alltägliches in kleinen, alltäglichen Szenen erzählen, Kleines, das den Leser aber mitunter mitnimmt in weite Fernen, örtlich wie zeitlich.

Denn die Hauptmerkmale der hier versammelten Texte sind Folgende:

* Es regnet. Viel. Was eine gewisse Melancholie mit sich bringt.

* Die Tatsache, dass man mitgenommen wird an verschiedene Orte – z. Bsp. nach Köln, ins deutsche Mittelgebirge, nach Belgien (Ostende, Lüttich und an die belgische Küste), an die Havel, nach Dublin, nach Griechenland und bis nach Surinam (wo der Regen dann allerdings tropisch wäre).

* Die Tatsache, dass Kindheits- und Jugenderinnerungen eine wichtige Rolle spielen. Und auch, wie soll ich es nennen, Alltagserotisches vielleicht? Das klingt, ich weiß, drollig; es trifft es aber ganz gut: dieser Punkt hat nämlich unter anderem auch mit dem zuvor Genannten zu tun, mit den Kindheits- und Jugenderinnerungen, wenn auch nicht nur.

* Außerdem geht es ums Schreiben selbst, das häufig auch mit sich selbst ohne besonderes Thema auskommt und sich vor allem zu Papier bringt. Ja, doch, in diesem Band spielt das (beschriebene und zu beschriftende) Papier eine ganz wichtige Rolle. Es ist eines der Hauptmotive, wenn man so will. Und auch das Papier bleibt von dem Wasser nicht verschont; bisweilen geht es zusammen mit Regen und Trennung, d.h. mit dem mal wieder Verflossenen, dessen Spur dennoch sichtbar ist:

Zerknüllen

Um diese Zeit fällt draußen Regen
Eine Schale darin schwimmt ein Papier
bloß ein Stück ein zerknülltes Briefchen
mit geschwärzten Rändern handschriftlich
selbst das Vernichten gelingt dir nicht

Es ist unmöglich, in einer so kurzen Besprechung die zahlreichen Texte, die das Buch enthält, angemessen gründlich zu ergründen. Stattdessen deshalb hier nun noch einige Happen, um die bei allem anfänglichen Sprudeln (ich komme gleich darauf zu sprechen) doch eher gedämpfte, aber durchaus auch witzige Stimmung, die der Band erzeugt, weiter anklingen zu lassen:

Ich las die Glückliche(n) Niederlagen an einem meiner momentanen Hauptaufenthaltsorten: in Vilnius. Und ich las sie dann nochmal an der Ostsee. Sozusagen mit der Memel und mit mehr Zeit im Rücken. Die Zeit als nötiger Rückenwind, um einzutauchen.

Da erfreute mich natürlich das Entdecken eines Gedichts, das den Titel Bis zur Memel trägt und zu den besonders enigmatischen Texten des Bandes zählt. Auch dies übrigens, diese enigmatische Seite des Bandes, ist keine Selbstverständlichkeit, gerade in einer Zeit, wo Texte sonst vor allem dann gelobt werden, wenn sie in, wie es vielfach heißt, besonders ‚klarer‘ und mit wenigen Worten auskommender Sprache etwas zum Ausdruck bringen. Adrian Kasnitz jedoch scheut das Enigmatische nicht, und manche seiner Texte sind auch längere Kompositionen. Und ich bin ihm für beides sehr dankbar. Das Rätselhafte drückt sich in seinem Schreiben u.a. dadurch aus, dass es häufig zu Gedanken- und Bildsprüngen innerhalb eines Textes kommt, die jede „Logik“ im Ablauf scheinbar unterbrechen und so eine andere Art Ablauf schaffen – eher dem Traum verwandt. Bis zur Memel ist so ein Text:

Bis zur Memel

Wer weiß, was du wieder ausheckst.
Die Schlangen vor deiner Tür
Eine Brut im rostigen Wasser.
Du solltest öfters den Namen wechseln.
Vielleicht kreist ein Habicht
oder ein Fabeltier vor Ungeduld.
Und manchmal scheint es
als ob du noch eine Nacht bleiben könntest.
Der Trug ist größer und am Ufer gibt es
nichts, das wir anfassen könnten.

Die genannten Aspekte – Regen & Wasser, sehr verschiedene Orte, Erinnerungen an Empfindungen aus Kindheit und Jugend und auch Begebenheiten aus der jüngeren Zeit, Jugend- und Alltagserotisches (erlebt wie erträumt), Schreiben & Papier, Traum und besondere Sprachspürbarkeit – sind, wie gesagt, oft miteinander verquickt.

Ich möchte noch zwei weitere Beispiele bringen:

Aschewolken

Die Asche von Island über unseren Köpfen
und in unseren Triebwerken
                        mir ist schon länger, als sei
Sand in meinen Gedanken, das Einschalten
des Rechners, das Lesen der Nachrichten
das Aufpoppen von Meldungen
                                   leise rieselt herunter
der feine Ascheregen an den Scheiben
der Wagen, die mit immer demselben Geräusch
gegen die Wand donnern
                        in meinen Träumen
halte ich dich fest und befühle dich
wie die Packung eines Schokoriegels
            es knistert über unseren Köpfen
wenn die Treibwerke aussetzen und die
ungelenken Maschinen sich im Segelflug üben
            mir ist schon länger, als wären wir
nicht allein, sondern jemand hinter der Kamera
würde uns unermüdlich zuwinken
            wie aber kann ich ihm antworten      

Die durch den Ausbruch des Eyjafjallajökulls 2010 erzeugten Staub- und Aschepartikel werden zum Sand im Hirn, ein Knirschen der Gedanken; und der Trieb treibt voran. Im Traum sind ich und du beisammen, auf Tuch-, pardon auf Packungsfühlung.

Und das zweite Beispiel ist das Gedicht Die Wäsche. Ebenfalls eine Tuchfühlung. In ihm verquirlen sich besonders deutlich Wasser, Wein (und Wein zu Wasser), Papier, Physis und Erotik, jene Liebes- und Schreibmomente, die erst ineinander- und dann vereint davonfließen:

Die Wäsche

Die Wäsche auf einem Beistelltisch, darunter
ein Buch, oder Stifte. Bei etwas glück eine
Schreibmaschine, die dir gehörte, bevor du
sie verließt, die Tastatur verlässlich, bis auf
das E, die taste nachgebaut aus einem Korken
der Wein getrunken, längst wieder Wasser, ein
Rennrad an die Wand gelehnt, an die ich dich
nun drücke, der Rock rutscht hoch und alles
was ich dann seh, ein Bild an der Wand mit
dem Bild der Tapete eines anderen Zimmers
in das wir rüberwechseln sollten, ein alter Sessel
für deine Schuhe und den hochgerutschten Rock
der jetzt hinabgleitet wie ein Blatt Papier
das du beschriebst, eine Abschrift aus dem Buch
eine hingekritzelte Skizze, ein erstes Kapitel
einer größeren zusammenhanglosen Geschichte
ein jedes E, das stocken macht, der Schreibfluss
eine warme Brühe, an deinen Beinen läuft sie hinab

Es gibt in Kasnitz’ Band Herzhasen und Kackwürste der Hunde; und die Liebe verfließt hier wie das Wiederkehren des Regenwassers, das immer wieder erneut in Form von Wolken aufzieht, um sich wieder abzuregen; Kölns vom Erdboden verschlucktes Historisches Archiv schwingt mit; vielfach durchziehen Schlieren und Schweife die Seiten; der Regen ist meistens aus Wasser, wenn nicht gerade, wie eben gesehen, Islands Vulkan seine Asche speit und alles mit Staub bedeckt. Da ist dickfellig bleiben und bald fällig ein guter, ein willkommener Ratschlag, wenn mal wieder nichts mehr so richtig zu gehen scheint und alles dennoch stets weiter sachte in Bewegung ist.

Gleich der Einstieg in den Band hält ein Gedicht bereit, das nur so vor Sprachwitz sprüht. Es ist wohl auch das Sprachwitzigste des gesamten Bandes und steht nicht ohne Grund am Anfang. Haut sein Titel. Es sprudelt wie eine Mineralwasserflasche, die man zu lange herumgeschleppt hat und die nun beim Öffnen zischt und überquillt. Und danach, in den anderen Texten, wird das Sprudeln schwächer, aber es bleibt durchaus noch spürbar.

Dass Haut so sehr sprudelt, liegt natürlich besonders an den vielen a-s, ä-s, äu-s, au-s und ei-s und an den vielen Alliterierten – k, kr, kn und z verzahnen sich und prasseln aufeinander und auf Aug und Ohr des Lesers ein. Und diese wie auch die Haut stecken das alles weg und altern froh.

Haut

Was sich kräuselt, kraust, alter Zauser
was in Zäunen sitzt und tiriliert, was
auf Zack ist und uns beobachtet, zäh
und zag zugleich, was wir zählen können
in Tagen, Stunden, die verrinnende Zeit
an Zuses Erfindung, die purzelnden
Einsen und Nullen, was zähnelt und
an dir knabbert, was kneift und zärtelt
zugleich, was dir bezeugt, Kauz und
Waldschrat in einem zu sein, was dich
ziefern macht und auf dich niederziefert

Zum Abschluss möchte ich noch Amsterdam verregnet anführen, das ich gerne lese, schlägt es doch in einem Rutsch den Bogen vom nassgrauen Amsterdam zum Reiher in Surinam:

Amsterdam verregnet

Geduckt huschen die Passanten von Hauseingang
zu Hauseingang mit hoch geschlagenem Kragen
manche mit Schirm Frauen vermutlich die  auf Absätzen
Pfützen durchwaten und die einzigen Kinder
springen hinein und werden gescholten es tröstet
ein Obdachloser der die Worte der Mutter ironisiert
dann springen die verdrehten Augen wie Murmeln
und rollen in den nächsten Gully jetzt quillt er
weil Herbst ist über und später bückt sich danach
eine alte Surinamerin und bleckt die Zähne über den
geborgenen Schatz aber bevor sie sich versieht
kommt ein Reiher angeflogen mit ausgebreiteten
Flügeln und stiehlt den Schatz wie einen Fisch

Die Texte in Glückliche Niederlagen öffnen sich nicht von allein. Man muss – um im Bild der Sprudelflasche zu bleiben – die Flasche und damit das eigene Hirn immer wieder ein wenig ‚rütteln‘, um das leichte Prickeln zu spüren, d.h. man muss sich aktiv in die Texte hineindenken, damit sie anfangen, wirklich zu sprechen, aus ihren oft recht feinen Bildern heraus. Denn Adrian Kasnitz’ Texte sind voller, wenn man so sagen kann, ziemlich stiller Bilder und Szenen. Und mir scheint, als loteten sie zwischen dem Klanglichen ihrer Worte und dem Stofflichen ihrer Stille genau jene Momente aus, in denen sich Alltagsglück und Alltagsunglückseligkeit verschmitzt die Hand reichen.    

Adrian Kasnitz
Glückliche Niederlagen
Sprungturm Verlag
2016 · 80 Seiten · 15,90 Euro
ISBN:
978-3-9816990-6-7

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