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Kritik

Sinn und Form Nr. 5

Platz für Lyrik
Hamburg

Wie schon oft sind auch in der aktuellen Ausgabe dieser Zeitschrift (die 6 Hefte im Jahr produziert) vielfältige Themenkreise abgehandelt, ohne dass auf die ersten ein, zwei (drei, vier …) Blicke so recht klar würde, wie die Folge der Texte entstanden sein könnte – eines der vielen anarchistisch anmutenden Staubkörnchen, die sich immer wieder in die Hefte geschmuggelt finden.

Nun denn, medias in res, es geht einmal mehr um die Bachmann, Christine Koschel, Bachmanns Herausgeberin veröffentlicht ihre eigenen Tagebuchaufzeichnungen von den letzten Tagen Ingeborg Bachmann im September / Oktober 2013 und schildert in einem Interview ihre Beziehung und den eigenen Werdegang. Etwas wabert der Geruch alter Fehden durch die Zeilen, ein authentischer Bericht ist dennoch vergraben in dem Emotionsgewusel und schließlich hat auch letzteres zumindest Unterhaltungswert, will sagen ist literaturhistorisch bedeutsam.

Damit  habe ich die Eingangstexte übersprungen, Peter Handke extrapoliert zum Briefwechsel zwischen Carlfriedrich Claus und dem nächstens in Bonn (Buchhandlung Böttger, 4.11.14) lesenden Urgestein der Avantgarde Franz Mon. Von dort geht es leicht östlich, der Ungar Miklós Szentkuthy wird in Auszügen und in einer kleinen Würdigung vorgestellt.

Die Lyrik hat diesmal viel Platz bekommen: zunächst sind einige Texte des Belarussen Aleś Razanau vorgestellt und dann gibt es endlich mal wieder etwas – All die toten Tiere – von dem Kolumbianer Tomás González zu lesen – (nur weil ich die Buchhandlung oben erwähnt hatte: in der edition boettger gibt es González‘ Gedicht Maleza spanisch-deutsch als limitierte Ausgabe). Weiter folgt Roberto Bolaño „Die romantischen Hunde“ – allein diese beiden Autoren sind das Heft wert.

Vielleicht weil nach Me wie Mexiko (Bolano, eigentlich Chilene, lebte dort 1966-1973) Moldawien kommt, nun ja, das war irgendwie Rumänien, Bessarabien, nicht? – ein Artikel von Carmina Peters über den Romancier M. Blecher und eine Leseprobe über das Spitaldorf ‚Berck, Stadt der Verdammten‘, in der in einer aus heutiger Sicht eigenwilligen Behandlungsmethode Knochentuberkulose therapiert wurde, ein vom Sujet genährtes Stück exquisiter Prosa – Berck litt selbst an der Krankheit und verbrachte weite Phasen seines schriftstellerischen Lebens eingegipst – ein Textstück, das allerdings die technischen Versprechen von Peters nicht ganz einlöst.

Wem ob der Vielfalt immer noch nicht der Kopf raucht, der bekommt zum Abschluss noch einen Aufsatz von Matthias Weichelt, in dem aus dem altbekannten Facettenkreis um Stefan George diesmal die Figur Kommerell vorgestellt wird, ein klassisches Beispiel für eine literaturhistorischen Essay nicht nur mit vielfältigsten Steinchen für den wikipedischen Setzkasten im Gehirn, sondern auch für eine Variante von Eintauchen in ein Ideologie-getränktes Umfeld und wieder ans Licht kommen.

Zum Schluss etwas Kurzprosa von Walle Sayer und, in der Umschau: Lobreden, eine unproblematische auf Abhas Khider, und einige technisch herausforderndere (auf das Ultramontane bei Mosebach, ganz ernst gemeint und gerade dadurch nicht humorfrei von H. Detering) und (das sind leider ganz getrennte Texte) auf Sibylle Lewitscharoff. Um zu zeigen, dass Sinn und Form sogar im Lob dieser von der Meute aktuell eher verbissenen Schreiber lesenswerte Perlen darbietet:

„Ich gehörte dem Schülerkader der KPD/ML an und probierte zaghaft Haschischzigaretten. Die Stuttgarter Gymnasiastin Lewitscharoff hatte sich einem trotzkistischen Splittergrüppchen verschrieben und stieg gleich mit LSD ein. Ohne Zweifel traf sie sowohl in ideologischer als auch in toxikologischer Hinsicht die weitsichtigere Entscheidung.“

Soweit die Laudatorin Ursula März. Was belegen soll, dass kaum jemand das Heft nach der Lektüre sogar der entlegensten Beiträge unerquickt zur Seite legen wird.

Akademie der Künste (Hg.)
Sinn und Form Nr. 5
Akademie der Künste
2014 · 9,00 Euro
ISBN:
ISBN 978-3-943297-19-5

Fixpoetry 2014
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