Das Tier, der unbekannte User
Grumpy Cat, Nyan Cat, Katzen auf Synthesizern im Weltraum, Lil‘ Bub, Corgnelius, Doge, all die Pandas, Wölfe und seit Neuestem auch Opossums: Das Internet ist voller Tiere. Manche von ihnen sind echt, manche erfunden, auf eine gewisse Symbolfunktion im Mem-Gewimmel des Netzes werden sie jedoch alle reduziert. Als »Tiere des Internets« bezeichnet der Cicero-Autor, Philosoph und Germanist Alexander Pschera sie in seinem neuen Buch, das sich allerdings dem Internet der Tiere widmet. Denn auf das Internet der Menschen, das uns global untereinander vernetzte, und dem Internet der Dinge, das uns mit unseren smarten Gadgets eins werden lässt, folge dieses als dritte Evolutionsstufe der Digitalisierung. Wie aber soll ein solches Internet der Tiere aussehen? Welchen Nutzen hat es? Und überhaupt: Hat eigentlich jemand daran gedacht, die Tiere zu fragen, ob sie den AGB dafür zustimmen würden?
Zuerst aber geht es in Das Internet der Tiere. Der neue Dialog zwischen Mensch und Natur um den Menschen. Nicht um irgendeinen, sondern um die Grimmsche (Symbol-)Figur Rotkäppchen, der von Pschera ein Smartphone mit Animaltracker-App ins Beutelchen gesteckt und in den Wald geschickt wird. Dort trifft sie auf den großen Wolf, der so böse gar nicht ist – ganz im Gegenteil, lässt er sich doch bereitwillig vom jungen Rotkäppchen filmen, bevor diese auf ihrem Weg zur Großmutter weitertrottet. Das Wolf-Video derweil kommt bei Facebook gut an. Es ist eine nette, aber auch ein bisschen naive Menschenfabel, die Pschera im gemütlichen Duktus erzählt, ihr didaktischer Tenor kaum zu überlesen. Um eine utopische Zukunftsvision, das wird er nicht müde zu betonen, handelt es sich dabei nicht. Denn das Internet der Tiere ist »hyperreal und sensuell«, wir haben es wie zufällig eingerichtet und müssen nun lernen, es richtig zu benutzen.
Das heißt zuerst, dass wir uns der Natur neu annähern, die Grenzen zwischen grünen und grauen Ghettos, das heißt Waldgebiet und urbanem Raum, auch in unseren Köpfen einreißen müssen. Das heißt, dass wir zuerst die Bilder, durch die wir uns täglich klicken, neu justieren und also die Tiere hinter den Mems sehen müssen. Dass wir, kurz gesagt, mit dem Smartphone im Beutel unserer vom Bildungssystem und Digitalentfremdung verursachten »Entsinnlichung« entgegenarbeiten müssen. Leicht sollte uns das Pschera zufolge fallen, weil es eben das Internet gibt. Als Informationssammelbecken, das von den »Humboldts des Digitalen« mit big animal data angereichert wird. Die neue Naturforschung, so argumentiert Pschera, zieht sich keinen Tropenhelm mehr über und macht mit engmaschigen Keschern Beutejagd auf Schmetterlinge, sondern verteilt Chips, wertet die damit aufgezeichneten Daten aus und teilt die Ergebnisse bequem im Internet der Menschen.
Der Tod von Bruno dem Bären hätte auf diese Art ebenso verhindert werden können wie Krankheitsepidemien unter Menschen oder Ölkatastrophen in von Tieren frequentierten Gebieten, behauptet Pschera enthusiastisch. Ihm schwebt eine »soziale Ökologie«, die auf Basis von Biophilie die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur mit viel Empathie gestaltet. Das Prinzip Nachhaltigkeit, so Pschera gegen Ende von Das Internet der Tiere, habe versagt. Es helfe nicht, die Natur zur Stagnation zu zwingen, sie vielleicht zu restaurieren und schützend zu umzäunen. Dafür sei es bereits zu spät, was nun zählt ist die Praxis der Resilienz – eine Art wechselseitige Anpassung an die neuen Gegebenheiten. So könne nicht nur die Fauna, sondern auch die Flora und vielleicht sogar die Welt gerettet werden.
Pscheras zum Teil bis zur absoluten Redundanz ausgereizten Gedankenspiele kreisen hierbei vor allem um eine Frage: Wie lässt sich Fortschritt gemeinsam mit Rücksicht denken? Wie müssen die Tierrechte im Zeitalter der Totalüberwachung aussehen? Wie vor allem müssen wir Menschen an die Natur herangehen? Die Antworten auf diese Fragen fallen hoffnungsvoll, gar utopisch aus. Doch Pschera, dessen Ton sich an die gutmütige Erklärbärigkeit der pop science anlehnt und mit Referenzen auf philosophische und kulturtheoretische Denkschulen nicht spart, nähert sich dem großen Finale seines Langplädoyers für einen neuen geprägten Dialog zwischen Mensch und Natur vorsichtig, selbstreflexiv und empathisch gegenüber den Tieren. Denn die hat zwar wirklich niemand gefragt – ihr Wohlergehen liegt Pschera jedoch offenkundig am Herzen.
Das Internet der Tiere versucht sich an einem ebenso evolutionären wie revolutionären Projekt. Pschera will die Uhr weder zurückdrehen, noch will er die Zeit einfrieren. Stattdessen versucht er mittels mal mehr, mal weniger waghalsig in den Text eingeflochtene Anekdoten, Statistiken und kulturphilosophische Theorien den Status Quo in Richtung einer besseren Zukunft weiterzudenken. Sein Programm ist ebenso progressiv wie ehrbar, ihm aber stehen Sachzwänge entgegen, die selbst Pscheras ausgewogene Argumentation erschreckend leichtfertig marginalisiert. Denn obgleich der von Pschera attestierte langsame, immerhin aber vorhandene Fortschritt von politischer Seite keine Fiktion ist, der Kapitalismus in all seinen disparaten kulturellen Ausprägungen ist es nicht. Der reduziert nicht allein die Menschen, sondern vor allem die Tiere auf ihren Warenwert – ein Wert, er für gewöhnlich gegen Null konvergiert. Solange das noch der Fall ist, bleiben die Implikationen des Internets der Tiere bloße Hoffnungen. Und somit ein aufgeklärtes, digital native Rotkäppchen eine utopische Zukunftsvision.
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