Tage wie lauwarme Hamburger
Disclaimer
Ich halte mich seit geraumer Zeit eigentlich aus den Debatten und Debättchen der Lyrikszene raus. Weil sie mich langweilen. Und weil ich glaube, dass sie nirgendwohin führen. Da es in der jüngsten Debatte um Lyrikkritik geht und ich keine Lust habe, mich Verdächtigungen auszusetzen, ein paar Takte dazu: Ich bin mit Amir Shaheen seit Jahren eng befreundet. Wir reden oft stundenlang über Literatur, Politik, Frauen und Rock n' Roll und zischen dabei diverse Bierchen. Seine Bücher erscheinen im selben Verlag wie einige von meinen – bei Sujet in Bremen. An der jüngst erschienen Auswahl habe ich insofern mitgewirkt, als dass ich meine Meinung dazu abgab, welche Gedichte rein sollten und welche nicht. Das hätte ich nicht getan, wenn mir Amirs Gedichte nicht so nah wären – oft schmerzhaft nah. Er gehört zu den wenigen Dichtern, deren Bücher ich wieder und wieder lese. Und deshalb schreibe ich hier drüber. Und nur deshalb. Nicht weil wir Freunde sind, nicht weil wir Verlagskollegen sind. Mein Anspruch (und grob geschätzt auch der von 99% aller Menschen, die Rezensionen lesen) an Literaturkritik ist simpel: Ist das Buch meine Zeit und mein Geld wert? In diesem Falle: Ja und ja. Aber zur Sache...
Best of vom anderen Ende der Schlaflosigkeit
In den letzten zwanzig Jahren hat Amir Shaheen vier Lyrikbände veröffentlicht. Die ersten drei (damals im Verlag Ralf Liebe, Weilerswist) sind längst vergriffen. Diese Tatsache und der runde Geburtstag mit der 5 im Jahr 2016 gaben Anlass für den unlängst bei Sujet erschienen Band „Fußnoten und Papiertüten. Ausgewählte Gedichte 1991 – 2016“, begleitet von einer CD mit 31 Gedichten, gesprochen vom Autor.
Ich entdeckte Amir zum ersten Mal vor genau zehn Jahren, als meine „Tage wie lauwarme Hamburger“ (Titel eines meiner Lieblingsgedichte) dahingammelten und seine Verse ein Volltreffer in mein Stimmungstief waren, weil sie eine Haltung von Melancholie und Fuck-You transportierten, mit der ich mich identifizieren konnte wie mit einem guten Song von Axl Rose oder Johnny Cash. Kann ich bis heute. Ich kannte fast alle Gedichte dieses „Best of“, abgesehen von zwei, drei neueren – und doch hat es beim Wiederlesen nichts von seiner Kraft verloren.
Es geht um Liebe (verlorene, meistens), um Resignation, um ungelebtes Leben, verpasste Chancen, einsame Nächte, Ichsuche im Jetzt-Irrsinn, und ja – oft denkt man an den jungen Fauser oder Brinkmann, wenn eine Metapher richtig knallt. Und das passiert alle paar Seiten. Es sind Gedichte, zu denen ein Bier und (mindestens) eine Zigarette gehören und ein ordentlicher Schuss Weltschmerz. Der Dichter sitzt am „Flughafen“, die „Gedanken voller Konjunktive (…) auf gepackten Koffern / Voller ungelebter Ideen“, aber „die Bordkarte für den Leben“ wird dir nicht ausgehändigt. Wer kennt das nicht: Nachts vor der Kneipe:
Was uns verband waren die Beulen
In den Hosentaschen
Links wie's sich gehört
Ein gesunder Rest von Anarchie
Und rechts ein ganzer Haufen
Konservativer Werte
Die wir von zu Hause als Wegzehrung
Mitbekommen hatten und die ums Verrecken
Einfach nicht weniger wurden
Politik und was sie mit einem macht ist ohnehin ein ähnlicher Verzweiflungsabgrund wie die amourösen Untiefen, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln und zu schalen Erinnerungen werden, deren Verblassen man ebenso ums Verrecken nicht verhindern kann – und statt die Uhr zurückzudrehen nimmt man wie Shaheen ein Blatt vom Kalender und klebt es hinten wieder dran:
Die Narben auf den Herzen
Sind bloß Schleifspuren
Zählebiger Kompromisse
Die wir hinter unseren Küssen herzogen
Ab einem bestimmten Punkt gibt es „Keine Wendemöglichkeit“ mehr, man ist nicht mehr „Unterwegs an all den Stränden“ und vielleicht war man es auch nie. Aber man wäre es gern gewesen. Shaheens Verse folgen einem langsamen Takt schlafloser Nächte, in denen man jede einzelne Straßenbahn am Fenster vorbeiziehen hört und sich Gedanken macht über jedes einzelne Leben, das in ihnen ins Irgendwo transportiert wird. „Es ist als sei der Himmel / An Land gegangen.“ Anwesend ist immer nur die Abwesenheit, die einen, wie es bei Gezim Hajdari heißt, aus jeder Ecke des Zimmers umarmt. Nicht die Hits machen das Leben aus, sondern die B-Seiten, die man mühevoll aus den Archiven kramt. Ein Schattenspiel, und natürlich hat man von Ikarus nichts gelernt, sondern fällt selbst auf die Schnauze. Immer wieder. Und steht auf. Oder auch nicht: und bleibt einfach mal liegen, weil der letzte Akkord schon vor Jahrzehnten gespielt war. Man hat es bloß nicht sofort verstanden.
Notiere ein gültiges Wort
Das wäre ein Anfang
Ein Anfang sind auch diese Gedichte, so sehr sie auch manchmal nach Ende klingen. Wie das lyrische Ich an einer Stelle auf die Frage nach seinem Beruf antwortet: Ich gebe die Hoffnung nicht auf.
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