Röntgenrealismus und prismatisches Spiel
In keiner der sozialen, kulturellen, beruflichen und ökonomischen Parallelwelten dieser »Zombies«, die A.J. Weigoni röntgenrealistisch abbildet, will man leben. Dieser Schriftsteller blickt mit einen naturwissenschaftlichen, medizinischen und kriminalistischen Blick, sozusagen „bis auf den Teufel hinunter“ (Lichtenberg). Mit der Traute, die Leser auch einmal zu überfordern, geht ein Angebot verschiedener Lesarten einher. Vieles schildert Weigoni als Farce und Persiflage, wobei er in seinen Erzählungen ganz nebenbei auch die Spielarten und Attitüden der Genreliteratur persifliert.
Alles scheint Marketing und nichts bietet ein Zentrum. Die Lebensumgangs- und Kommunikationsformen dieser »Zombies« sind technokratisch geprägt. Diese Kulturprimaten werden in einer emotional erkalteten Welt hinterfragt, sie versuchen eine durch Geld und Konsum beförderte Zufriedenheit für sich als Ziel zu bestimmen, dauerhafte Glücksgefühle erlangen sie damit nicht. Weigoni findet in seinen exakten Erzählungen hyperreal wirkende Szenen, er beobachtet das Geschehen zuweilen aus so abwegigen Perspektiven und kommt den Charakteren so unangenehm nah, das Leben wird zur Geisterbahnfahrt. Die Kosmologie von Weigoni besteht also aus einem rabenschwarzen Paradox: Handeln und Nicht–Handeln, beides führt in die Misere. Mit ihren Lebensverhinderungstaktiken bleibt die ersehnte Liebe seiner Figuren letztlich ein Phantom, was demzufolge bleibt sind Phantomschmerzen.
Das Tableau, das uns dieser Romancier auf 320 Seiten präsentiert hängt weder der Hippie-Ideologie nach, derzufolge „Alles mit Allem zu tun hat, noch kokettiert Weigoni mit dem postmodernen Etikett "Roman in Erzählungssegmenten". Ein Bezug ist bei der Beschreibung einer ähnlichen Epochenwende zu erkennen, den »Dubliners« von James Joyce. Mit diesen Erzählungen gibt Joyce Einblicke in die städtische Gesellschaft Irlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er zeigt darin eine Nation zwischen nationalem Aufbruch und kolonialer Mutlosigkeit, aufstrebendem Bürgertum und Emigration, der Beengtheit des Wohnens und der Sehnsucht nach der sich allmählich zu globalisierenden Welt. Weigonis Prosageflecht »Zombies« ist ein prismatisches Spiel, das in vielen Facetten aufleuchten: als leichtfüßige Komödie und ätzende Satire, als Fabel zur gesellschaftlichen Moral zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es sind Geschichten eines Übergangs: vom Sozial– zum Individualstaat, von der Fürsorgegesellschaft zu Verhältnissen, die jeden auf sich selbst verweisen.
Die Kapitel, die prosaische und essayistische Elemente verbinden sind praktisch Literaturclips mit filmischen Strukturen und Effekten, worin die Antihelden durch das Bild einer zerfallenden Wirklichkeit laufen, deren permanente Bewegung ihre zunehmende systemische Erstarrung zeigt. Bei der Lektüre kommt man den Denkweisen einzelner Figuren sehr nahe, es schleichen sich Veränderungen in den Lesenden ein, welche tageweise seine Wahrnehmung verändern. Weigonis »Vignetten« beschreiben authentische Sehnsuchtsträume, die »Zombies« überwiegend fabrizierte. Man kann Weigoni eine gewisse Lust an der Bosheit und einen manchmal allzu ungnädigen Umgang mit der conditio humana unterstellen, mit dem er seine Figuren ins scharfe Messer der Kontingenz laufen lässt, gerade das macht seine Erzählungen so unterhaltsam.
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