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Kritik

Gemälde mit Fischreiher

Es ist keine neue Erkenntnis, und jeder, der sich als Rädchen im lyrischen Markt bewegt, ist sich dessen bewusst, sollte sich dessen bewusst sein: Die Lyrik ist nicht die literarische Gattung, die den Jahresumsatz eines großen Publikumverlages zu verdoppeln vermag. Und dass viele größere Verlage nur sporadisch einen Gedichtband in ihr Programm nehmen, als Prestigeobjekt quasi, lässt sich mit der Verantwortung für die berufliche Zukunft ihrer Mitarbeiter erklären. Wo aber keine finanziellen Interessen vorherrschen, besteht für die Lyrik-Afficinados die Möglichkeit, mit und für die Liebe zum Gedicht in die Bresche zu springen, und so lassen sich unzählige Handpressen, Klein- und Kleinstverlage vom Lustprinzip leiten – ein großes und nicht zu ersetzendes Glück, durch das die Vielfalt an Autorentum und Texttypus erhalten bleibt.

Die Reihe der "LyrikHefte", die seit 2005 in unregelmäßigen Abständen (jedoch mindestens halbjährlich) in der von Bettina Haller initiierten Sonnenberg-Presse Chemnitz in einer Auflage von jeweils 200 Exemplaren erscheint, vereint anspruchsvolle (aber nicht hochtrabende, keine abgehobenen) Gedichte vornehmlich jüngerer Autoren mit einem Erscheinungsbild, wie es in dieser Ausführung und Preisklasse edler nicht sein könnte. 20 fadengeheftete Seiten, die von einem faksimile-bedruckten Kartonumschlag umschlossen werden und heftweise wechselnd mit Grafiken von Bettina Haller und Andrea Lange ausgestattet sind.  

Als momentan aktuelle Ausgabe liegt das "LyrikHeft 6 – Gemälde mit Fischreiher" vor, welches Naturgedichte des 1963 geborenen Andreas Altmann enthält. Ich bezeichne die in "Gemälde mit Fischreiher" präsentierten Gedichte vornehmlich deshalb als Naturgedichte, weil sich die in ihnen geschilderten Vorgänge und Bilder mehrheitlich im Freien abspielen: an Seen, auf Wegen, in und unter Vogelnestern – und auch deshalb, weil sich in Altmanns Gedichten auffällig viele Tiere, Federn und Winde tummeln.   

Nun ist es ein Leichtes, sich mit einfältigen oder ins Kitschige abgleitenden Gedichten über die Natur für naiv zu verkaufen, wenn nicht gar lächerlich zu machen: Bei Andreas Altmann besteht diese Gefahr zu keiner Sekunde, in keiner Zeile. Seine von den Augen ausgehenden Beobachtungen, die zunächst wie schlichte Notate der Dokumentation erscheinen, formuliert er mit den anderen Sinnen aus. Poetisch nähert er sich in seinen Gedichten so oftmals einem stimmungsvollem Ende, welches die Texte nachklingen lässt und sie von Unverbindlichkeit befreit:

DAS GRAS IST GEMÄHT. eine bank lehnt am baum.
er ist ausgetrocknet. das klopfen des spechtes
an der grenze zur nacht klingt schüssen ähnlich,
die ihre erinnerung verfehlen. unter den flügen
des fischreihers, der jeden abend den gleichen bogen
über das haus spannt, bewegt sich das land. es ist
still in den geräuschen der grillen und wind
umhänge, die von den ästen gleiten. hier hörst du
das schweigen, das dir die tür öffnet. die südlichen
störche haben ihre nester dem himmel überlassen
.auf dem haff schlüpfen die mücken. zwei ältere
frauen stehen bis zu den knieen im wasser. aus
ihren händen gleitet das licht, sinkt auf den grund.

Kein Stürmer, der ohne ein unterstützendes Mittelfeld ein Spiel gewinnt; kein Politiker, der eine Wahl im Alleingang entscheidet – manchmal muss es einfach passen. Die Gedichte von Andreas Altmann passen ausgezeichnet zu den für diese Ausgabe entstandenen und mit guter Farbwahl in Szene gesetzten Holzschnitten von Bettina Haller. Wenn es nicht so ausgelutscht wäre, würde ich schreiben: ein Fest für die Sinne. Ach, jetzt habe ich es schon geschrieben.

Andreas Altmann
Gemälde mit Fischreiher
Sonnenberg Presse
2008

Fixpoetry 2009
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